Eine Rezension von Bernd Heimberger

Gegen die Gefangenschaft

Henryk Bereska:
Und wenn die mageren Jahre die fetten waren?
Ausgewählte Werke, Band 2.
Corvinus Presse, Berlin 1999, 108 S.

Es ist nicht unehrenhaft, Henryk Bereska einen Polen zu nennen. Polen hat den Deutschen besser geehrt als Deutschland. Dem Übersetzer aus dem Polnischen und ins Polnische ist Völkerverständigung keine beliebige Vokabel, die nur für Gedenkfeierstunden geeignet ist. Der Germanist und Slawist, in einem Katowicer Vorort geboren, ist ein Vermittler zwischen den Völkern. Mittel der Verständigung sind dem Vermittler die Sprachen. Zudem ist die Sprache des Henryk Bereska für Henryk Bereska die beste Möglichkeit, sich zu verständigen und verständlich zu machen.

Der engagierte Berliner Verlag Corvinus Presse bemüht sich, das eigenständige literarische Werk Bereskas zu verbreiten. Nachdem Märkische Gedichte, als Band 1 der Ausgewählten Werke, aufgelegt wurde, ist nun Band 2 da. Und wenn die mageren Jahre die fetten waren? ist eine Sammlung der Aphorismen und Notate des Dichters Bereska. Allgemein gesagt: Manches Notat ist ein besserer Aphorismus, mancher Aphorismus ein besseres Notat. Die komprimierten Bemerkungen des Henryk Bereska sind Bemerkungen, die nicht alles bemerkt haben wollen, sollen, müssen. Wenn die Bemerkungen nicht Wiederholtes wiederholen, sind sie wahre Bereska-Bemerkungen. Leser werden sich schnell die Frage stellen, wieso sie nicht so genau gesehen, gedacht, sich geäußert haben. Wer vom Wiederholten lebt, spürt selten, in welcher Gefangenschaft der Geist steckt. Henryk Bereskas Geist ist ein freier Geist. Seine Bemerkungen haben die Beweglichkeit des befreiten Geistes. Was Bereska an Geistigem weitergibt, befreit vermutlich keinen Gedankenwiederholer aus der Gefangenschaft. Wenn, dann lockert Bereska geistige Fesseln. Der Sprachmächtige mischt sich ein. Er nimmt die maßlose, mittelmäßige, miserable Sprache der Mächtigen der Macht und Medien am Schlafittchen. Nicht, um zu sticheln. Nicht, um zu denunzieren. Das öffentliche Deutschland denunziert sich durch das Dumm-Deutsch und die Dummheiten der Deutschen. Bereskas Worte sind Widerworte, die die Dumm-Dreistigkeit abwehren. Bereskas Bemerkungen sind Polemiken. Der Schriftsteller greift die Vergeßlichkeit der Landsleute an, die sich so mangelhaft an die deutschen Geschichten des 20. Jahrhunderts erinnern. Bereskas Sätze helfen den Vergeßlichen auf die Sprünge. Das ist amüsant, zumal der Autor seinen Lesern auch den Aphorismus mit auf den Weg gibt: „Das wahre Glück bringt einem erst die Vergeßlichkeit.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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