Eine Rezension von Cristina Tudorica

Auf den Spuren der rumänischen Revolution

Carmen-Francesca Banciu: Ein Land voller Helden
Roman.
Ullstein Berlin Verlag, Berlin 2000, 254 S.

Zwei Jahre nach dem in deutscher Sprache verfaßten Roman Vaterflucht (Volk und Welt, 1998) erscheint Ein Land voller Helden als Übersetzung des rumänischen Ein Tag ohne Präsident. Der Originaltitel läßt einen direkteren Bezug zum Inhalt herstellen. Das Geschehen dreht sich um den Machtwechsel in Rumänien, um die Zeit unmittelbar davor und danach.

Der 33jährige Radu Iosif arbeitet als Journalist für die Zeitung Aufschrei der Freiheit und unternimmt auf eigene Faust eine Recherche zum Thema: War es Kitsch, Putsch, Krieg oder Revolution? Grund und Ziel dieses Unterfangens bleiben im Zeichen der Ungewißheit: „Das Ergebnis verkaufe ich vielleicht einer anderen Zeitung. [...] Vielleicht verkaufe ich es gar keiner Zeitung. Vielleicht schreibe ich ein Buch. Vielleicht will ich es einfach nur wissen.“

Das Buch setzt sich zusammen aus Aussagen - Kommentaren, Erinnerungen, Gedanken - einer Gruppe junger Intellektueller, der sich auch Radu Iosif in den Zeiten der Diktatur zugehörig fühlte. Er soll der einzige gewesen sein, der an der Revolution nicht beteiligt war. Was das genau zu bedeuten hat, wird nicht näher erläutert.

Die Äußerungen verschiedener Personen - Valer, Maria-Maria, Ilina, Varvara, Maxim etc. - werden in einer zufälligen Reihenfolge auf Cassetten aufgenommen. Was man liest, erscheint wie die wahrheitsgetreue Transkription eines Tonbands. Ort des Geschehens ist mal Bukarest - als Zentrum der Ereignisse um den Sturz Ceausescus - mal der ländliche Raum. Dem Leser fällt es nicht leicht, aufgrund der eher knappen und lapidaren Beschreibung der Umgebung den Szenenwechsel überhaupt und dann auch rechtzeitig mitzubekommen.

Verwirrend ist auch das Auftreten der verschiedenen Akteure: Versucht man am Anfang, die Wortfetzen dem einen oder anderen zuzuordnen, so gibt man dies nach einigen Seiten auf. Die Perspektive wechselt so häufig und so schnell, daß jeder mit dem anderen austauschbar wird. Die Stimmen fließen ineinander über, und hinter unterschiedlichen Namen, denen das Gesagte in den Mund gelegt wird, vermutet man zwar Individuen, kann aber ihre Konturen nicht erkennen.

Das einzige verbindende Element dieser konfus auftretenden Gruppe bleibt auf inhaltlicher und formaler Ebene Radu Iosif, der regelmäßig und gewissenhaft die Nummer der Cassetten angibt, deren Inhalte er gerade niederschreibt. Offensichtlich will Carmen-Francesca Banciu auf diese Weise einen unmittelbaren Realitätsbezug herstellen.

Gerade diesem Anspruch werden die Aufzeichnungen nicht gerecht. Man liest über Seiten abgehackte, unvollständige Sätze und vermutet darin die Intension der Autorin, die Orientierungslosigkeit der „Stunde Null“ darzustellen. Der epische Erzählfluß kommt aber gar nicht erst in Gang, was hauptsächlich auf die fehlende Auseinandersetzung mit dem dargestellten Stoff zurückzuführen ist. Man vermißt die Reflektion, das Nachdenken über die Ereignisse, die Wertung des Geschehenen. Schließlich fragt man sich mit dem Journalisten Radu Iosif: „Die Wahrheit. Was ist die Wahrheit? Und in den Akten. Was steht in den Akten? Und was werde ich schreiben. Ich, der Sammler. Was werde ich beisteuern zu anderen Akten, die aufgrund von Zeitungsmaterialien angelegt werden.“

Häufige Rückblenden beziehen sich auf Situationen, die man nur als Eingeweihter nachvollziehen kann. Man müßte zum Beispiel wissen, daß zu Ceausescus Zeiten die Abtreibung in Rumänien gesetzlich verboten war, daß keine Verhütungsmittel erhältlich waren und es verboten war, Devisen zu besitzen oder sich mit Ausländern zu treffen, geschweige denn, sie zu Hause unterzubringen, mit Ausnahme von Verwandtschaft ersten Grades. Außerdem sind mindestens Grundkenntnisse der rumänischen Geschichte erforderlich, um in dem ersten Präsidenten der Nachkriegszeit Gheorghe Gheorghiu-Dej, den Vorgänger Ceausescus, zu erkennen. Nicht anders verhält es sich mit der Zeit nach der Revolution. Es wird zum Beispiel als bekannt vorausgesetzt, daß im Ausland lebende Rumänen, die hohe Positionen im Staatsapparat anstreben, einen festen Wohnsitz in Rumänien nachweisen müssen. Genauso selbstverständlich sind Anspielungen auf Gesetze, die die Ausfuhr von Devisen verbieten oder die Entschädigung der nach 1947 Enteigneten regeln. Nach mühevoller und stockender Lektüre hat man zwar begriffen, daß Intellektuelle einen Wandlungs- und Introspektionsprozeß durchleben, daß sie sich - eingeklemmt zwischen Vergangenheit und Zukunft - die Frage nach der eigenen Identität stellen, daß das Gemeinsame und Verbindende einer Gruppe von Menschen in Einzelschicksale auseinanderläuft.

An der Essenz der Revolution, an dem wirklichen Wandel der Menschen und der Gesellschaft und an den Permanenzen geht dieses Buch allerdings vorbei. Und ob man den Text tatsächlich als Roman bezeichnen kann, bleibt offen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite