Eine Rezension von Reinhard Mocek

Bruch und Neubeginn

Günter Reimann/Herbert Wehner: Zwischen zwei Epochen
Briefe 1946.
Herausgegeben von Claus Baumgart und Manfred Neuhaus.
Mit einem Vorwort von Hermann Weber.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1998; Greta Wehner 1998, 159 S.

Ein nachdenklich stimmender Briefwechsel zweier ehemaliger kommunistischer Funktionäre, geschrieben in einer Umbruchszeit, die mehrere politische Neuanfänge für das am Boden liegende Deutschland nach dem Zusammenbruch des Hitlerfaschismus möglich machte, wobei der Weg zu einer unabhängigen politischen Demokratie oder zu einem Anhängsel an die jeweilige Besatzungsmacht die beiden Hauptpole bildeten. Dabei hatten sich beide feindlichen Brüder, Kommunisten und Sozialdemokraten, die gleichermaßen von Hitlers Schergen verfolgt worden waren, schon unmittelbar nach Kriegsende für einen demokratischen Neuanfang ausgesprochen - auch die KPD, die in ihrem Aufruf vom Juni 1945 die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie gefordert und damit implizit den radikalpolitischen Vorstellungen zur Errichtung einer deutschen Sowjetrepublik abgeschworen und sich (wie man es heute ausdrückt) zu rechtsstaatlichen Positionen bekannt hat. Doch die politischen Geschicke im Nachkriegsdeutschland wurden zunächst durch die Besatzungsmächte bestimmt, die beiden politischen Parteien der Arbeiterbewegung hatten keinerlei politischen Einfluß und waren zudem ohne eine entsprechende organisatorische Basis. Dennoch war der Zulauf enorm; es sei daran erinnert, daß die KPD in Westdeutschland zwei Jahre nach Kriegsende rund 300 000 Mitglieder zählte und bei den ersten Wahlen bis zu 10 Prozent Wählerstimmen auf sich vereinigte. Diese Kräfteverhältnisse erforderten die Herauskristallisierung politischer Handlungskonzepte; und genau das ist der Einstiegspunkt für den Briefwechsel zwischen Herbert Wehner, der sich 1946 noch in der Emigration befand, nach seiner Haftentlassung in Stockholm mit der KPD gebrochen hatte und deshalb politisch weitgehend isoliert war, und Günter Reimann, der bereits 1935 den Schlußstrich unter seine KPD-Mitgliedschaft gezogen hatte und als Emigrant in den USA ein angesehener finanzpolitischer Experte geworden war. Während Wehner für den deutschen Leser in bester Erinnerung ist, dürfte Reimann weit weniger bekannt sein. Manch einer wird ihn höchstens mit dem vormaligen Vorsitzenden der westdeutschen KPD, Max Reimann, verwechseln. Aus Hermann Webers Vorwort, das insgesamt für das Verständnis des Briefwechsels unerläßlich ist, erfahren wir, daß Günter Reimann als Hans Steinicke am 13. November 1904 in Angermünde als Sohn eines jüdischen Kaufmannes geboren wurde, in radikal-pazifistischen Kreisen seine ersten politischen Erfahrungen sammelte und 1923 zur Kommunistischen Jugend übertrat. Bereits 1925 wurde er in die Wirtschaftsredaktion der „Roten Fahne“ übernommen und war bald einer der wichtigsten Experten für Weltwirtschaftsfragen in den Reihen der KPD. Nach einmonatiger Inhaftierung, die in Verbindung mit von ihm zu verantwortenden Artikeln in der „Roten Fahne“ stand, zog er sich aus der Parteiarbeit zurück. Als freier Schriftsteller bereiste er 1932 die Sowjetunion, worüber er 60 Jahre später ein sehr lesenswertes Buch vorlegte ( Berlin-Moskau 1932. Das Jahr der Entscheidung, Hamburg 1993). 1933 ging Reimann in die Emigration, zunächst nach Frankreich und Großbritannien, 1938 in die USA. Eines seiner in den USA verfaßten Bücher, The Myth of the Total State (1941), hatte Reimann an Wehner nach Schweden gesandt - eine der Quellen, auf denen die Briefbekanntschaft des Jahres 1946 beruht. Von 1947 bis 1983 leitete Reimann die von ihm gegründete Agentur „International Reports on Finance and Currencies“. Weitere Angaben zu Reimanns Leben und Lebenswerk kann man übrigens dem von Klaus Kinner und Manfred Neuhaus 1994 herausgegebenem Buch Günter Reimann. Zwischenbilanz. Ein Zeuge des Jahrhunderts gibt zu Protokoll entnehmen, das in den Frankfurter Oder Editionen erschienen ist und im vorliegenden Buch eigenartigerweise nicht erwähnt wird.

Daß neben den strategischen Hauptfragen des Neubeginns reformorientierter Arbeiterpolitik die politiktheoretische Abrechnung mit dem Realkommunismus Stalinscher Prägung bzw. dem Wirtschaftsprogramm des „russischen Staatskapitalismus“ (ein von Reimann oft verwendeter Begriff) im Vordergrund steht, verwundert nicht. Gerade weil es sich hier um die Urteilsfindung zu selbst erlebten und teilweise mitgestalteten politischen Vorgängen des 20. Jahrhunderts handelt, wird die Lektüre der Briefe bei aller Sachlichkeit des persönlichen Stils der Verfasser zu einem viel Nachdenklichkeit provozierenden Leseerlebnis.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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