Wiedergelesen von Eberhard Fromm

Heinrich Böll: ... und sagte kein einziges Wort

Köln 1953
Die deutschsprachigen Literaturnobelpreisträger (9)

Als Heinrich Böll 1972 den Nobelpreis für Literatur erhielt, waren dreiundvierzig Jahre vergangen, seit 1929 mit Thomas Mann ein Deutscher diese Auszeichnung erhalten hatte. Das war eine deutliche Antwort auf die tiefen Wunden, die Deutschland in der Zwischenzeit der Welt geschlagen hatte. Zwar waren mit Hermann Hesse 1946 und Nelly Sachs 1966 zwei deutschsprachige Dichter geehrt worden, aber beide waren zur Zeit ihrer Auszeichnung Bürger der Schweiz bzw. Schwedens. Ein wenig erstaunlich ist es allerdings, daß auch kein Repräsentant der antifaschistischen Emigranten den Nobelpreis verliehen bekam; weder auf Heinrich Mann noch auf Anna Seghers, weder auf Ernst Bloch noch auf Bertolt Brecht fiel die mögliche Wahl.

Der Nobelpreis von 1972 wie auch andere internationale Ehrungen in dieser Zeit - zum Beispiel die Ernennung zum Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters in New York - haben Heinrich Böll ein wenig Rückhalt gegeben und geholfen, die massiven Attacken auf ihn in der Bundesrepublik durchzustehen. Denn spätestens seit seiner Veröffentlichung von „Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit“ im Jahre 1972 war der unbequeme Böll zur Zielscheibe öffentlicher Angriffe, Verdächtigungen, Hausdurchsuchungen und Verleumdungen geworden. Die herrschenden Kreise sahen in ihm einen geistigen Urheber des linken Terrorismus, die Medien kolportierten dieses Bild in ständig schärferen Nuancen und manipulierten so eine „öffentliche Meinung“, die eigentlich nichts anderes war als Volksverhetzung, verbunden mit der in Deutschland so beliebten Intellektuellenschelte.

Wie wirkungsvoll diese Attacken waren, zeigt sich bis heute. Immer wieder stößt man noch auf Aussagen und Einschätzungen zu Heinrich Böll, in denen er vorrangig als kritischer Intellektueller, als linker Kritiker u. ä. beschrieben wird, während der Schriftsteller Böll mit seinem gewaltigen erzählerischen Werk beinahe verschwindet. Er selbst schrieb dazu: „Ich will nicht Deutschlands Heinrich sein. Gerade das meine ich ja, wenn ich von Austauschbarkeit spreche. Ich will kein Image haben und keins sein, und die, die eins aus mir machen, sollten es selbst verantworten. Deutschland braucht keine Präzeptoren, deren hat es genug gehabt, es braucht kritische, aufmerksame Bürger, die nicht immer und unbedingt Autoren sein müssen. Was Autoren sind: auch Bürger, möglicherweise artikulierte, sonst nichts. Ich bin gegen Helden-Verehrung, Denkmäler, Images und Ikonen.“

Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 in Köln geboren. Sein Vater Viktor Böll, von Beruf Schreinermeister, war 1896 aus Essen nach Köln gekommen, wo er mit einem Partner ein Atelier für kirchliche Kunst gegründet hatte. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er Maria Hermanns aus Düren. Von den sieben Kindern aus beiden Ehen war Hein, wie er in der Familie gerufen wurde, das jüngste. Wie Böll später häufig betonte, war seine Familie streng katholisch. Ansonsten sei eine soziale Einordnung aber nicht so einfach. „Ich weiß es bis heute nicht; wir waren weder rechte Kleinbürger noch bewußte Proleten, hatten einen starken Einschlag von Boheme; das Wort ,bürgerlich‘ war eins unserer klassischen Schimpfworte geworden ...“, heißt es in dem autobiographischen Bericht Was soll aus dem Jungen bloß werden? Oder: Irgendwas mit Büchern.

Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums - das Reifezeugnis erhielt er im Februar 1937 - und einem kurzen Versuch als Buchhandelslehrling in Bonn entschloß sich der junge Mann, als freier Schriftsteller leben zu wollen. Das daraus zu diesem Zeitpunkt nichts wurde, dafür sorgte der Arbeitsdienst, zu dem Böll im Herbst 1938 einberufen wurde. Und auch seine Anmeldung bei der Kölner Universität im Sommer 1939 konnte er bald vergessen: Bereits im Juli 1939 erhielt er seinen Einberufungsbefehl. Den Zweiten Weltkrieg erlebte er so von Anfang bis zum bitteren Ende an den verschiedensten Fronten: in Polen und Frankreich, an der Ostfront auf der Krim, in Rumänien und Ungarn. Dabei blieb er weder von einer schweren Ruhrerkrankung noch von Verwundungen verschont. Im Mai 1945 in amerikanische Gefangenschaft geraten, wurde er bereits im September entlassen und konnte zu seiner Familie nach Köln zurückkehren. Und eine eigene Familie besaß er bereits. Noch während des Krieges hatte er die Lehrerin Annemarie Cech geheiratet. Ihr im Juli 1945 geborener Sohn Christoph starb jedoch bereits im Oktober des gleichen Jahres.

Dem Nationalsozialismus stand Heinrich Böll auf Grund seiner katholischen Erziehung und seines kritischen Elternhauses ablehnend gegenüber. „Meine unüberwindliche (und bis heute unüberwundene) Abneigung gegen die Nazis war kein Widerstand, sie widerstanden mir, waren mir widerwärtig auf allen Ebenen meiner Existenz: bewußt und instinktiv, ästhetisch und politisch ...“ Für sein ganzes weiteres Leben wurden dann seine Kriegserlebnisse entscheidend. Böll lernte den Krieg hassen; und diese konsequente Haltung hat ihn nie wieder verlassen.

Die unmittelbaren Nachkriegsjahre waren für Böll eine harte Zeit. Auf der einen Seite mußte er Geld verdienen, um seine Familie zu ernähren, die sich schnell vergrößerte: Zwischen 1947 und 1950 wurden seine drei Söhne Raimund, René und Vincent geboren. Auf der anderen Seite wollte er seinen Traum vom Schreiben als Lebensinhalt nicht aufgeben. „Die Universität besuche ich alle halbe Jahr einmal - was soll mir das wesenslose Gerede da nützen; meinen Lebensunterhalt verdiene ich im Moment noch bei meinem Bruder als Hilfsarbeiter ... Und meine eigentliche Arbeit, meine große Freude und meine große Not ist, daß ich abends schreibe; ja, ich habe das Wagnis begonnen und schreibe“, schrieb er im Oktober 1946 an seinen Kriegskameraden und Freund Ernst-Adolf Kunz. Die ersten Ergebnisse dieser schriftstellerischen Arbeit blieben lange Zeit unbekannt; der zwischen 1949 und 1951 entstandene Roman Der Engel schwieg erschien zum Beispiel erst 1992. Zu ersten größeren Veröffentlichungen kam es 1949 mit der Erzählung Der Zug war pünktlich und 1950 mit einer Sammlung von 25 Kurzgeschichten unter dem Titel Wanderer, kommst du nach Spa ... Aber seine Brotarbeit leistete er anderswo, so beim Statistischen Amt der Stadt Köln.

Eine Wende in dieser nicht gerade hoffnungsvollen Situation brachte eine Einladung, im Mai 1951 an einer Tagung der Gruppe 47 in Dürkheim teilzunehmen. Hier las er seine Erzählung Die schwarzen Schafe vor und erhielt den damals mit 1000,- DM notierten Preis der Gruppe 47. Von nun an ging es aufwärts, und Böll entschloß sich endgültig, als freier Schriftsteller zu leben.

Betrachtet man sein Leben in den folgenden Jahrzehnten, dann stellt man einige auffällige Momente fest, Wesenszüge im Leben von Heinrich Böll. Da ist zuerst und vor allem seine geradezu unwahrscheinlich anmutende Produktivität. Der Erzähler Böll hat nicht nur viel auf dem Herzen; er erlebt auch die sich verändernde Welt, indem er schreibt. Da sind seine weit über hundert Kurzgeschichten, Satiren, viele kleinere und bis in romanhafte Länge reichende große Erzählungen. Da sind seine Romane Wo warst du, Adam? (1951), Haus ohne Hüter (1954), Billard um halb zehn (1959), Ansichten eines Clowns (1963), Gruppenbild mit Dame (1971), Fürsorgliche Belagerung (1979) sowie der kurz nach seinem Tod erschienene Roman Frauen vor Flußlandschaft. Darüber hinaus schrieb er sein vielgelesenes Irisches Tagebuch, unzählige Essays, Artikel und Rezensionen. Nicht vergessen darf man seine Hörspiele und Hörbilder sowie die Übersetzungen, die er oft gemeinsam mit seiner Frau erarbeitete. Auch auf dem Gebiet des Theaters versuchte er sich, wovon zum Beispiel das im Dezember 1961 uraufgeführte Stück Ein Schluck Erde zeugt. Viele seine Arbeiten, wie zum Beispiel Das Brot der frühen Jahre, Die Ansichten eines Clowns, Ende einer Dienstfahrt oder Die verlorene Ehre der Katharina Blum wurden verfilmt. Die letztgenannte Erzählung erhielt durch Margarethe von Trotta eine Bühnenfassung, und 1991 wurde die nach dieser Erzählung gestaltete Oper von Tilo und Dorothea Medek uraufgeführt.

Diese unerhörte schöpferische Arbeitsleistung als Schriftsteller war verbunden mit einer stetig anwachsenden Aktivität im kulturellen und gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik und darüber hinaus. Böll gehörte zu den Mitbegründern der Zeitschriften „Labyrinth“ und „L '76“. 1969 wurde er Präsident des deutschen PEN-Zentrums, von 1971 bis 1974 hatte er diese Funktion im internationalen PEN-Zentrum inne. Er engagierte sich in innenpolitischen Auseinandersetzungen, gehörte zum Beispiel 1972 der sozialdemokratischen Wählerinitiative an und trat in der Friedensbewegung aktiv auf. Auch in der persönlichen Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche zog er Konsequenzen: Nachdem er seit 1969 keine Kirchensteuern mehr bezahlt hatte, trat er 1976 gemeinsam mit seiner Frau aus der Kirche aus.

Schließlich ist nicht eine gewisse Unrast zu übersehen, die Böll in diesen Jahren umtrieb. So wechselte er seit 1945 mehrfach seine Kölner Wohnung, bis er 1982 nach Bornheim-Merten zog. Viel Zeit verbrachte er auf seinen ländlichen Anwesen in Irland und in Langenbroich in der Eifel. Darüber hinaus unternahm er unzählige Reisen, die ihn nach Irland und Frankreich, in die Sowjetunion und die Tschechoslowakei, nach Italien und Israel führten.

Die Produktivität des Schriftstellers und die Aktivität des Bürgers Böll brachten ihm viele Preise und Ehrungen ein. Aber sie führten häufig auch dazu, daß er im Zentrum der geistigen und politischen Polemik stand. So verteidigte er sich zum Beispiel gegen Einwände und Vorwürfe seitens der Literaturkritik, er betreibe nur eine Kriegs- und Trümmerliteratur, mit den Worten: „Es ist unsere Aufgabe, daran zu erinnern, daß der Mensch nicht nur existiert, um verwaltet zu werden - und daß die Zerstörungen in unserer Welt nicht nur äußerer Art sind und nicht so geringfügiger Natur, daß man sich anmaßen kann, sie in wenigen Jahren zu heilen. Der Name Homer ist der gesamten abendländischen Bildungswelt unverdächtig: Homer ist der Stammvater europäischer Epik, aber Homer erzählt vom Trojanischen Krieg, von der Zerstörung Trojas und von der Heimkehr des Odysseus - Kriegs-, Trümmer- und Heimkehrerliteratur-, wir haben keinen Grund, uns dieser Bezeichnung zu schämen.“ Und den verschiedensten Unterstellungen und Verdächtigungen zu seinem politischen Standort setzte er das klare Bekenntnis entgegen: „Ich bin bewußter und überzeugter Bürger der Bundesrepublik Deutschland, deren Grundgesetz ich für sehr gut halte.“ Ende der sechziger Jahre erkrankte Böll, der nie über eine kräftige Konstitution verfügt hatte, an Diabetes und Hepatitis.

Auch häufige Sanatorien-Aufenthalte in der Schweiz, die er seit 1976 unternahm, brachten keine endgültige Besserung. Als er Ende 1979 mit seiner Frau zu seinem Sohn Vincent nach Quito in Ecuador reiste, kam es zum Zusammenbruch. Er mußte sich einer komplizierten Operation unterziehen. Auch nach seiner Rückkehr 1980 nach Deutschland kam es zu einer schweren Operation mit mehrmonatigem Krankenhausaufenthalt. Als er 1985 erneut operiert werden mußte, starb er nur einen Tag nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus - am 16. Juli 1985 — in seinem Haus in Langenbroich. Beigesetzt wurde Heinrich Böll auf dem Friedhof von Bornheim-Merten.

In seiner 2000 erschienenen Biographie Der andere Deutsche - Heinrich Böll schreibt der Kölner Literaturkritiker Heinrich Vormweg über seinen langjährigen Freund: „Literatur war für Heinrich Böll nicht ein Höheres, das erlaubte, von gesellschaftlicher Realität abzusehen. Für ihn war Literatur ein Medium, in dem diese Realität zu sich selbst kam, und darin war er unbeirrbar.“

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Als das Buch ... und sagte kein einziges Wort im April 1953 bei Kiepenheur & Witsch in Köln erschien, war es ein Gegenwartsroman, wie er unmittelbarer nicht sein konnte. Etwas mehr als vierundzwanzig Stunden im Leben der Familie Bogner werden erzählt, ein Tag in den frühen fünfziger Jahren, eine Geschichte im deutschen Nachkriegsmilieu, zwischen den äußeren und inneren Trümmern und dem hektischen „neuen“ Leben.

Liest man das Buch heute, wird es zum historischen Roman, beschwört eine Zeit herauf, die fünfzig Jahre zurückliegt, fast vergessen, bestimmt verdrängt. Es ist nicht die Zeit des Neubeginns, nicht der Vorhof des Wirtschaftswunders, was hier beschrieben wird. Die Menschen, denen man begegnet, sind keine Aktivisten der ersten Stunden; es sind Opfer des vergangenen Krieges und parasitäre Nutznießer der neuen Zeit. So herrscht denn auch ein seltsames Klima in dem Buch, das Erinnerungen weckt an die eigenen Zustände und Erlebnisse, die man eigentlich zu vergessen gehofft hat.

Käte und Fred Bogner haben vor dem Krieg geheiratet, ein ganz normales Leben geführt, eine schöne Wohnung besessen. Dann kam der Krieg, in dem Fred als Nachrichtensoldat gedient hat und erleben mußte, wie immer wieder der Tod durchs Telefon geschickt wurde. Ausgebombt und in einem kleinen Zimmer als nur geduldete Untermieter erlebt die nunmehr fünfköpfige Familie die Nachkriegszeit. Fred arbeitet in der bischöflichen Verwaltung als Telefonist. Und er trinkt. Seit einiger Zeit hat er seine Familie verlassen, weil er die Enge nicht mehr ertragen konnte und begonnen hatte, seine Kinder zu schlagen.

Das alles erfährt der Leser wie nebenbei aus den Erinnerungen der beiden Eheleute und ihren Gesprächen. Die dreizehn Kapitel des Buches werden im ständigen Wechsel aus der Sicht von Fred bzw. Käte erzählt. Fred bemüht sich, Geld geliehen zu bekommen, um für die gemeinsame Nacht mit seiner Frau ein Hotelzimmer mieten zu können; Käte bereitet sich auf dieses Treffen vor: Sie versorgt die Kinder, beichtet ausführlich und gerät beinahe in Panik, als sie ahnt, bereits wieder schwanger zu sein.

Im Mittelpunkt des Romans steht das Zusammensein der beiden Eheleute, das nicht wie so oft vorher zu einem flüchtigen sexuellen Beisammensein wird, sondern zu einem Schlußpunkt: Beide reden sich ihren Frust von der Seele und wissen, daß es so nicht weitergehen kann.

Käte will so nicht weiterleben und spricht von endgültiger Trennung. Sie will für ihre Kinder da sein und verzweifelt doch, wenn sie an die Zukunft denkt; „... aber wenn ich sie so dahinschlendern sehe, haben sie etwas von dieser verzweifelt sinnlosen Demut, die mir Tränen des Trotzes und der Angst in die Augen treibt.“

Fred, als er seine Kinder heimlich bei einer Prozession beobachtet, gelangt zu einer anderen, nicht weniger deprimierenden Einsicht: „Und an diesen meinen Kindern, die langsam und feierlich, die Kerzen haltend, durch mein winziges Blickfeld schritten, an ihnen sah ich es, was ich immer begriffen zu haben glaubte, aber jetzt erst begriff: daß wir arm sind.“ Und an dieser Armut scheitert sein Leben. Er liebt den Aufenthalt auf Friedhöfen und denkt viel über den Tod nach. Er erzählt seiner Frau, wie er manchmal im Krieg, wenn er eine zerschossene Telefonleitung flicken mußte und durch die Gräben kroch und dabei auf gefallene Soldaten stieß, einfach bei ihnen liegen blieb. „Und ich langweilte mich, als ich zu den Lebenden zurück mußte - du glaubst nicht, wie langweilig die meisten Menschen sind, die Toten sind großartig.“

Eine besondere Rolle spielt das Wohnen. Daß man mit einer Wohnung einen Menschen erschlagen kann, weiß man nicht erst seit Heinrich Zille. Daß eine Wohnung ein Statussymbol darstellt, gilt bis heute. Aber in der Nachkriegszeit war das alles noch verschärft und konfliktträchtiger. Für die Bogners war die einstige eigene große Vorkriegswohnung in weite Ferne gerückt. Die jetzige Einzimmerwohnung wird zum Alptraum, mit dem man Tag und Nacht schlimme Kämpfe zu bestehen hat. Die üppigen Wohnverhältnisse der Familie Franke, bei der man zur Untermiete wohnt, erscheinen Käte als ständige Herausforderung. Auf seinen Bittgängen besichtigt Fred mehr die jeweiligen Wohnungen, als daß er Kontakt zu den Menschen hat. Das triste Hotelzimmer erscheint geradezu angenehm, weil man es für Stunden ganz für sich allein hat. Und die kaum genutzte Dreizehn-Zimmer-Wohnung, in der Fred in einer Abstellkammer manchmal übernachtet und wo der Hund ein größeres Zimmer besitzt als die Bogners für ihre ganze Familie, wird zum Objekt des blanken Hasses. „Ich muß über das Haus sprechen, ich träume davon, ich saufe, um es zu vergessen, aber auch wenn ich besoffen bin, vergesse ich es nicht ...“

Neben der Armut, dem Krieg und der materiellen und geistigen Not des Nachkrieges stellt auch die Beziehung zur katholischen Kirche ein Thema des Buches dar. Die Gespräche der Eheleute über ihren Glauben, die Beziehung Kätes zum Pfarrer, bei dem sie beichtet, die Beobachtungen Freds an seinem Arbeitsplatz - all das kennzeichnet das widersprüchliche, oft kritische Verhältnis zur Kirche und ihren Repräsentanten. Charakteristisch dafür ist die Feststellung, die Fred trifft, als er den Bischof während der Prozession beobachtet: „Der Bischof war Offizier gewesen. Sein Asketengesicht war photogen. Es eignete sich gut als Titelblatt für religiöse Illustrierte ... Der Bischof war dumm.“

Der Leser findet in diesem frühen Roman so alle jene Themen, die Heinrich Böll immer wieder bewegt haben, die ihn nie losgelassen haben, mit denen er sich auseinandersetzte, auch als eigentlich keiner mehr etwas davon wissen wollte. „Ich weiß zwar, daß das Thema Krieg nicht gesucht und nicht beliebt ist, aber ich kann nichts daran ändern, und leider bin ich wirklich nicht - so glaube ich - dazu ausersehen, mich der allgemeinen Pralinenproduktion anzugliedern“, schrieb er 1949.

... und sagte kein einziges Wort liest sich wie ein Buch, geschrieben gegen die Heroisierung einer Zeit, die heute zu oft erscheint als bloßer meßbarer Aufschwung und die doch auch massenhaft voller tiefer menschlicher Wunden war.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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