Eine Annotation von Bernd Heimberger

Gsteiger, Manfred (Hrsg.):

Träume in der Weltliteratur

Manesse Verlag, Zürich 1999, 398 S.

„Träume, die narren den Geist des Menschen mit flüchtigen Schatten“, konnte Petronius in aller Unschuld rund 2 000 Jahre vor Freud dichten. Seit Träume nicht mehr als Narretei, Schatten, Schäume abgetan werden, sind Träume in der Literatur und literarische Träumereien erheblich im Wert gestiegen. Der Fachwelt stellten sich neue Fragen. Sind die Erzählungen des E. T. A. Hoffmann, Edgar Allan Poe, Franz Kafka nicht authentische Träume? Manfred Gsteiger läßt auch heute noch die Frage Frage sein. Gestellt hat er sie im Nachwort der von ihm herausgegebenen Sammlung Träume in der Weltliteratur. Wer das Nachwort des Herausgebers zum Vor-Wort macht, wird's nicht bereuen. Der Essay ist eine Chronik. Dargelegt wird die Bedeutung des Traums in der Literatur, bevor Dr. Freud aus Wien die bedeutungsvolle Rolle des Traums bestimmte. Der Analyse gemäß ist die Anthologie eine Chronologie der literarischen Träumer und der Träume in der Literatur. Mit „Lukians Traum“ wird ein fast zwei Jahrtausende alter Wach-Traum vorgelegt. Der Realitätssinn gibt der Traum-Erzählung eine verblüffende Zeitlosigkeit, die den Text zu einem reinen Lesevergnügen macht. Daß in der Sammlung Namen von Dante bis Shakespeare, Heine bis Hugo, Keller bis Thomas Mann, Borges bis Oavase nicht fehlen, wundert nicht. Von Namen oder Überschriften gelockt, überrascht immer wieder, wie lebhaft-bewegt die poetischen oder prosaischen Traum-Geschichten sind. Ob ernst oder heiter, vieles hat eine literarische Flugkraft, was eine gute Landung auf dem Platz der Unterhaltung sichert. Mit „dem Traume“, so Karl Kraus, „läuft er leichter, der Lebenslauf“. Und, wie zu lesen, läuft Literatur beschwingter. Auch, wenn Angstträume geschildert werden. Eine Chance! Nicht verträumen!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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