Eine Rezension von Gerhard Keiderling
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Der Kalte Krieg im Gerichtssaal

Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg
Deutsche Geschichte in politischen Prozessen 1951-1968.
Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger, Bonn 2000, 382 S.

Das vorliegende Buch erschien erstmals 1991 bei C. Bertelsmann. Es fand damals vermutlich kein besonderes Interesse, denn die Bundesjustiz schickte sich da gerade an, den „Unrechts-Staat“ DDR strafrechtlich „aufzuarbeiten“. Daher ist die Neuauflage lobenswert.

Diether Posser trat 1951 in die Rechtsanwaltskanzlei von Gustav Heinemann in Essen ein. Dieser hatte gerade aus Protest gegen Adenauers Wiederaufrüstungspolitik sein Amt als Bundesinnenminister niedergelegt, die CDU verlassen und zusammen mit Helene Wessel 1952 die Gesamtdeutsche Volkspartei gegründet. Posser folgte ihm, gemeinsam gingen sie 1957 in die SPD. Von 1970 bis 1986 gehörte er dem Parteivorstand der SPD und von 1968 bis 1988 der Landeregierung Nordrhein-Westfalen in verschiedenen Ministerressorts an.

Nicht die politische Karriere ist Gegenstand des Buches, sondern die Mühsal eines Strafverteidigers, politisch Andersdenkende im Rechtsstaat vor Kriminalisierung, Verfolgung und Strafjustiz zu schützen. Über die Dimension des Problems heißt es im Vorwort: „Während in den USA der McCarthyismus nach wenigen Jahren überwunden werden konnte, dauerte die Verfolgungswelle in der Bundesrepublik über 17 Jahre. Mehr als 150 000 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurden nach neuen Straftatbeständen eingeleitet, für die es in keinem westeuropäischen Staat ein Beispiel gab ... Bei der Überführung der in solchen Prozessen Angeklagten wurden Methoden angewandt, die eines Rechtsstaates unwürdig waren. Beweisanträge, die den Verdacht gegen einen Angeklagten ausräumen konnten, wurden als ,verfahrensfremd‘ abgelehnt.“

Den ersten Fall, den Posser auf Anraten Gustav Heinemanns übernahm, war die Verteidigung dreier Funktionäre der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Westdeutschlands, die 1950 gegründet und bald darauf behindert und schließlich wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Staatsgefährdung, Geheimbündelei und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung“ verboten wurde. Dabei lernte Posser nach eigenen Worten die bundesdeutsche politische Strafjustiz mit ihrem voreingenommenen und unberechenbaren Vorgehen kennen. Seine Beweisanträge wurden nicht nur wegen „Verfahrensfremdheit“ abgelehnt, gegen ihn wurde sogar ein Verfahren wegen „standeswidrigen Verhaltens und Staatsgefährdung“ eingeleitet, das später eingestellt werden mußte. Auch in den weiteren Fällen, die Posser beschreibt, ging es nicht anders zu. Schließlich verteidigte er „Feinde“ des Rechtsstaates: die katholische Pazifisten Prof. Klara Maria Faßbinder, den 11 Jahre lang von den Nazis im KZ inhaftierten Kommunisten Karl Schabrod, die katholische Schriftstellerin Christa Thomas, den stellvertretenden KPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag Heinz Renner, den angesehenen sozialdemokratischen Wirtschaftsexperten Dr. Victor Agartz und den ehemaligen CDU-Oberbürgermeister von Mönchengladbach Wilhelm Elfes. Ihnen war zur Last gelegt worden, eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands, militärische Neutralität und gute Nachbarschaft zum Osten anzustreben. Bei jedem dieser Fälle überkommen den Leser noch heute Zweifel am Rechtsstaat und seiner vielgepriesenen unabhängigen Justiz. Verleumdungen, Rufmordkampagnen, zweifelhafte Zeugenaussagen, Berichte von „V-Leuten“ des Bundesnachrichtendienstes und immer wieder Unterstellungen, die Betroffenen würden „im Dienste des zerstörerischen Weltkommunismus“ stehen, waren seitens der Staatsanwaltschaft im Spiel. Diese stützte sich dabei auf ein Strafrechtsänderungsgesetz von 1951, das nach Possers Ansicht 98 Prozent des Juristenstandes gar nicht gekannt hätten. Für Berufungsverfahren fehlte eine zweite Kammer; der politische Strafsenat beim Bundesgerichtshof fällte in Musterprozessen - wie gegen die KPD 1956 - Urteile, gegen die es keine Rechtsmittel gab. Eine solche Strafjustiz war nach Meinung des Autors nicht zuletzt möglich, weil die bundesdeutsche Öffentlichkeit davon überhaupt keine Notiz nahm. Nach langjährigen Bemühungen, bei denen Gustav Heinemann (inzwischen Bundespräsident von 1969-1974) und Diether Posser einenentscheidenden Anteil hatten, beschloß der Bundestag im Mai 1968, „dieses politische Strafrecht abzuschaffen, das den Ruf der Bundesrepublik Deutschland schwer beschädigt hatte“. Das erklärt auch den zeitlichen Rahmen des Buches. Der Radikalenerlaß, den das erste sozialliberale Kabinett unter Bundeskanzler Willy Brandt 1972 zur Sicherung der „Ordnung im Innern“ beschloß und der wiederum bei Tausenden von Bundesbürgern tiefe Spuren hinterließ, gehört ins nächste, hier nicht zur Betrachtung stehende Kapitel politischer Strafjustiz in der BRD.

Possers Pitaval politischer Strafjustiz beschränkt sich nicht nur auf die frühere BRD. Ihm wurden auch einige Verteidigungen von politischen Häftlingen in der DDR angetragen. Der spektakulärste Fall war die Freikämpfung des DGB-Funktionärs Heinz Brandt, der 1958 mit dem SED-Regime brach, in den Westen flüchtete und 1961 nach Ostberlin verschleppt und dort vor Gericht gestellt worden war. Auch an Häftlingsfreikäufen, wie sie seit 1963 zwischen BRD und DDR üblich wurden, war Posser beteiligt. Dabei lernte er die inhumane politische Strafjustiz des SED-Staates kennen. Seinen „Gegenspielern“, den DDR-Rechtsanwälten Friedrich Kaul und Friedrich Wolff, bescheinigt er Verständnis und Entgegenkommen innerhalb der ihnen gesetzten Räume.

Wichtig und unbedingt lesenswert ist die längere, teilweise autobiographisch gehaltene Einleitung, die den zeitgeschichtlichen Hintergrund dieses Pitavals aufhellt. Insgesamt stimmt das Buch nachdenklich, wie stark beide deutsche Staaten in den Kalten Krieg zwischen Ost und West eingebunden waren. In einem Interview, das Diether Posser anläßlich der Erstausgabe von 1991 der „Berliner Zeitung“ gab, mahnte er: „Gerade in dieser Zeit sollten wir Westdeutschen uns vor Überheblichkeit hüten. Ich verstehe mein Buch als einen Beweis dafür, daß selbst ein Staat wie die Bundesrepublik, der nach seiner Verfassung ein ausgesprochener Rechtsstaat sein wollte und es weithin auch war, bei der Behandlung politisch Andersdenkender Irrwege ging, die wirklich schlimm waren.“ Was die vorliegende Ausgabe betrifft, so ist es ärgerlich, daß der Verlag nicht auf die Konkordanz von Text und Personenverzeichnis achtete.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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