Eine Rezension von Christel Berger

Literaturkritik aus dem Buddelkasten

Marcel Reich-Ranicki/Hellmuth Karasek/Sigrid Löffler:
„... und alle Fragen offen“
Das Beste aus dem Literarischen Quartett.
Herausgegeben von Stephan Reichenberger unter Mitarbeit von
Alex Rühle.
Wilhelm Heyne Verlag, München 2000, 768 S.

Seit zwölf Jahren sitzen sie nun zu dritt mit einem Gast zusammen und spielen Streit über Bücher, was offenbar beim Fernsehpublikum gut ankommt, sonst hätte das ZDF ihnen ja längst den Kanal gesperrt. Aber nein - es geht immer weiter, selbst dann, wenn die ewige Dritte es nun endgültig satt hat, angemotzt zu werden. Sie haben schon eine Neue!

Natürlich ist die Rede von Marcel Reich-Ranickis „Literarischem Quartett“, einem Medien-Phänomen in vielerlei Hinsicht, über das die Meinungen ebenso konträr sind, wie die Akteure dies in ihren Ansichten über Bücher vormachen. Daß ich hier Gelegenheit habe, darüber zu schreiben, ist dem Umstand zu verdanken, daß der Heyne Verlag mit Stephan Reichenberger (unter Mitarbeit von Alex Rühle) einen Herausgeber gefunden hat, der „Das Beste aus dem Literarischen Quartett“ in einem fast 800seitigen Taschenbuch „zusammenfaßte“.

Nachdem ich alles gelesen habe, hätte ich es leicht - in Anlehnung an den Hauptmann dieser „Viererbande“ - abzuwinken: „zu lang“ ... „langweilig“ ... „interessiert mich nicht“. Das sind die wichtigsten Argumente Reich-Ranickis gegen ein Buch. Und da die vier Diskutanten oft genug die vorgeschriebene selbstgewählte Lektüre als qualvolle Pflicht empfanden - so um Bewunderung oder Mitleid der Zuschauer und Leser buhlend -, waren die Verrisse häufiger als ein Lob. Aber das Spiel ist, wenn auch simpel, etwas komplizierter. Meist findet sich ein Gegensprecher, und dessen Argumente heißen dann schlicht: „nein“ ... „nicht doch“ ... „gar nicht“. Streitereien im Buddelkasten unter Dreijährigen haben dieses Niveau. Das wird wiederum ausgeglichen oder kaschiert, indem man nicht etwa über Karl May, Rosamunde Pilcher oder auch nur Stefan Heym spricht. Der Niveauhüter Karasek ist da eigen und eitel. An Franz Kafka und Thomas Mann kommt leider keiner der ausgewählten Autoren heran, aber da in der Nähe sollten sie schon sein. Es geht also mit trivialen Maßstäben um „gehobene“ Literatur, und heraus kommt der Beweis, daß es für Literatur keine Kriterien, sondern nur Geschmacksurteile gibt. (Merke: Es gibt „gute Bücher“, leider auch „schlechte“ und gar „gewisse“!) Geschmack hat, wer selbstbewußt genug ist, die größten Plattheiten als Weisheiten zu verbreiten. Auffällig dabei, daß alle Diskutanten ihre eigene Lebenserfahrung und ihr spezielles Interesse (als Jude, als Frau, als Westdeutscher, als vermeintlicher Kenner der DDR, als Einheits-Befürworter, als Alternder, als Mann, als Profi in Sex und Erotik) eher argumentierend anführen, als daß ein Literaturverständnis, das auf einem ästhetischen Konzept beruht, erkennbar wird. Sigrid Löffler unterscheidet sich in dieser Hinsicht wohltuend von den beiden Herren. Auch die meisten der Gäste sind um eine Argumentation bemüht, die mehr auf das jeweilige Buch zielt als auf die Vorstellung eines streitsüchtigen, rechthaberischen Ego. Aber „Lieblinge“ haben sie alle. Was dem Reich-Ranicki seine Monika Maron ist, ist für Sigrid Löffler Paul Auster und für Hellmuth Karasek eventuell António Lobo Antunes. Leser haben halt Lieblingsautoren, und mehr als „Leser vom Dienst“ wollen die drei nicht darstellen. So wirkt dann das Urteil gegenüber dem „Erwählten“ besonders hohl und blind, und überhaupt habe ich es mir nach siebenhundert Seiten abgewöhnt, die Bewertungen ernst zu nehmen. Es geht ja wohl um Show und Business, und dafür hat Reich-Ranicki das beste Gespür: „Im Fernsehen müssen wir immer ein bißchen unter unser Niveau gehen.“ Glücklich ist er nicht etwa, weil er sich mit einem von seiner Meinung abweichenden Urteil auseinandersetzen muß und möglicherweise den Kontrahenten überzeugen will. Seine Freude über die Divergenz beruht auf der Erfahrung, daß das die Zuhörer mögen. Das wiederum hat damit zu tun, daß die wenigen Bewertungen, bei denen alle vier einigermaßen übereinstimmem, als „Talk“ eben langweilig sind. Und „dumm“ kommt besser an als „langweilig“.

So bleiben für mich als einzig Informatives, ja Wertvolles am Buch die kurzen, sachlich gehaltenen Inhaltsangaben der besprochenen Bücher. Die Referenten bemühen sich um eine abgerundete Vorstellung und beweisen, daß sie zu mehr imstande sind als zum kindischen „Warum-Darum“.

In einem Punkt erstaunt mich die Publikation dennoch: Als Literaturkritiker müßten eigentlich alle Diskutanten um die Eigenart von Geschriebenem im Vergleich mit Gesprochenem wissen. Das hätte sie - wären sie ein bißchem weniger von sich überzeugt - abhalten müssen, dieser Publikation zuzustimmen. In leichter Abwandlung eines Zitats aus dem Buch kann ich da nur sagen: „Aber für ein Buch sind diese Gespräche, diese Plaudereien immer etwas zu schwach.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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