Eine Rezension von Hans-Rainer John

Auf ausgeschrittenem Terrain

Donna Leon: In Sachen Signora Brunetti
Der achte Fall.
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Monika Elwenspoek.
Diogenes Verlag, Zürich 2000, 320 S.

Und wieder schlendert der sympathische und warmherzige Commissario Guido Brunetti über den Markt von Venedig, die Rialto-Brücke, den Campo Santa Maria Formosa. Wieder erscheint er als harmoniesüchtiger Familienvater, der seine Frau Paola und seine Kinder Chiara und Raffi herzlich liebt. Wieder erweist er sich in der Questura als scharfsichtiger und tüchtiger Ermittler, anerkannt von den einen, befehdet von den anderen. Noch immer ist sein Verhältnis zum Vorgesetzten gespannt, aber nach wie vor versteht er auch, dessen Sekretärin Elettra um den Finger zu wickeln, so daß sie ihm zuliebe ihrem Computer und ihren Freunden letzte Geheimnisse entlockt. Und wenn noch irgendwelche Informationen fehlen, ist da der reiche, angesehene, seine vielfältigen Beziehungen spielen lassende Schwiegervater, der Conte Falier, in der Hinterhand, der weiterzuhelfen versteht. Es hat sich also nichts geändert bei unserem Commissario.

Nur der Auftakt ist diesmal wenig glaubhaft. Brunettis Gattin, kein aufgeregter Backfisch mehr, sondern eine reife Frau, eine Wissenschaftlerin zudem, Professorin genau gesagt, steht da mehrmals nächtlich auf und wirft einen Stein in das Schaufenster eines Reisebüros, um gegen den dort käuflichen Sextourismus zu protestieren! Nun, Kinderprostitution in Thailand ist eine schreckliche Sache fürwahr, aber solche kindischen, öffentlichkeitsunwirksamen Aktionen sind für die Gattin eines Polizeikommissars denn doch etwas zu unglaubhaft und abenteuerlich, und uneffektiv dazu, weil nicht mit einem Programm verbunden, für das ureigentliche Anliegen zu werben (das kann man doch bei Greenpeace lernen). So kann es glatt unterschlagen und - als Vandalismus oder Feminismus gewendet - gegen den Urheber ins Feld geführt werden. Und wenn dann Paola noch erstaunt und überrascht ist, als die Presse den Fall auf ihre Weise aufgreift und ihr Mann von seinem Amte entbunden wird, ist der Gipfel der Naivität erreicht. Dann kann die Autorin zwar darstellen, daß die Ehe der Brunettis auch solchen Stürmen zu widerstehen vermag (wobei man den Commissario nur bewundern kann), aber für einen Krimi ergibt das eigentlich nichts.

Das muß die aus New Jersey stammende Wahlitalienerin Donna Leon (58) dann auch recht bald gespürt haben. Sie hat die Geschichte flugs auf ein anderes Gleis gelenkt. Der Inhaber des Reisebüros wird nämlich erdrosselt und Guido Brunetti postwendend reaktiviert. Obwohl seine Frau in den Fall involviert ist, wird er merkwürdigerweise ausgerechnet ihm übertragen. Etwaigen Gewissenskonflikten beugt die Autorin aber gleich vor: Dottore Mitri ist zwar Besitzer des Reisebüros, hat es aber verpachtet (die Reiseangebote hat der Pächter zu verantworten, die Sache wird fortan auch gar nicht weiterverfolgt, und Paola ist aus dem Schneider), und eigentlich leitet er eine Reihe von Fabriken, die pharmazeutische Erzeugnisse herstellen. In diesen kommt Brunetti nun im Zuge seiner Ermittlungen Schweinereien auf die Spur, die wirklich zum Himmel stinken. Da werden überalterte und aus dem Verkehr gezogene Medikamente umetikettiert und zu hohem Preis an Länder der dritten Welt verscherbelt, da werden nutzlose Placebos hergestellt und für Hilfsmaßnahmen profitabel der UN untergeschoben. Kein Wunder, wenn Leute, die solcherart zu Reichtum kommen, einander in die Haare geraten und sich den Auftragsmörder mit der Garotte ins Haus schicken ...

Die Autorin hat ohne Zweifel auch hier wieder ihre Stärken ausgespielt. Ihr Text liest sich, literarisch funkelnd, wie stets mit großem Genuß. Die empörenden kriminellen Konstellationen kontrastieren wirkungsvoll mit der bedächtigen Art von Brunettis Ermittlungen und Verhören, die des öfteren vom Abstecher in eine Bar oder von einem Schläfchen nach dem Mittagessen unterbrochen werden. Hier waltet bürgerliche Behäbigkeit, und Schimanski lebt auf einem anderen Stern. Da gibt es keine Hast und keinen Druck. Keine atemberaubenden Ereignisse, keine Endzeitstimmung. Venedig mit seinen Kanälen ist stets gegenwärtig. Farbige Sozialporträts sind wieder entstanden und Nahaufnahmen einer mitleidlosen und profitsüchtigen Gesellschaft. Aber die supernaive Paola und daß der Auftakt mit dem Sextourismus so folgenlos bleibt, daß der Buchtitel am Ende nicht mehr gerechtfertigt scheint, kann man der Autorin diesmal kaum verzeihen. Da zeigt sich doch, wie schwer es fällt, dem ausgeschrittenen Terrain noch neue Seiten abzugewinnen. Vielleicht sollte Donna Leon ihren Brunetti doch bald in Rente schicken.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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