Eine Rezension von Gerhard Keiderling

„Berlin, das ist wie Knast“

Horst Bosetzky: Quetschkartoffeln und Karriere
Argon Verlag, Berlin 2000, 554 S.

Manfred Matuschewski, der in Sachen Berliner Familienroman kundige Leser hat ihn längst als das einstige Neuköllner Schlüsselkind und den nachmaligen strebsamen FU-Studenten wiedererkannt (vgl. Lesezeichen 1/1999), entschließt sich zu Beginn der siebziger Jahre, das von den Kommunisten eingemauerte Westberlin zu verlassen und dem „Duft der großen, weiten Welt“ - so lockt eine Zigarettenreklame - zu folgen. Weit kommt er nicht, im kleinsten Bundesland Bremen bleibt er hängen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Senatsbehörde erklimmt der inzwischen 32jährige auf seinem Fachgebiet Soziologie die ersten Sprossen der Karriereleiter. Der erhoffte Aufstieg in den „Koschnick-Clan“ bleibt ihm aber verwehrt, zumal ein Anlauf auf der SPD-Spur schnell ins Stocken kommt. Was tun? Das „Heimweh nach dem Kurfürstendamm“ treibt ihn zurück in die Mauerstadt. Hier erhält er eine Professur an der neugegründeten Verwaltungsakademie des Senats. Nun gehört er zum Establishment, das er als 68er Student vehement attackiert hatte. Er kann sich für seine Familie eine Wohnung im vornehmen bürgerlichen Wilmersdorf leisten und kauft sogar ein etwas verlottertes Gartengrundstück im Norden der Stadt, das er unter großen Mühen wohnlich herrichtet. Am Ende fällt ihm das Glück doch noch in den Schoß: Von einer verblichenen Tante erbt er ein Häuschen im schönen Wittenau.

Im Grunde ist das schon die ganze autobiographische Story. Ein Jahrzehnt (von 1970 bis 1981) ohne große Höhepunkte, statt dessen Behörden- und Hochschulalltag, viel Familiäres, viel Triviales. Das Leben plätschert halt so vor sich hin. Doch wer seit Jahren mit spannenden Kriminalgeschichten und historischen Romanen eine große Lesergemeinde fesselt, vermag auch aus solch dürrem Stoff ein flüssig geschriebenes, unterhaltsames, mitunter amüsant zu lesendes und - last, but not least - ein voluminöses Buch zu machen.

Horst Bosetzky ist ein großer Erzähler, der sich in seinem Metier auskennt. Zwar scheint die innere Dynamik, die den vorangegangenen Bänden innewohnte, an Schwung zu verlieren (Abenteuer - wie der Klappentext verspricht - kann man die Erlebnisse des Manfred Matuschewki nun wahrlich nicht nennen), doch der Meister versteht es geschickt, den Erzählfluß mit guter Beobachtung und mit Liebe zum Detail nicht abreißen zu lassen. Seine Sprache ist unverstellt und doch bildreich, sie macht auch nicht vor Derbheiten halt, wenn es gilt, Herkunft und Entwicklung des aus einfachen Verhältnissen stammenden Haupthelden zu unterstreichen.

Wie steht es nun um das lebendige Epochenbild, das die Kritik den früheren Bänden zugesprochen hatte? Es sind die siebziger Jahre; nach dem Viermächteabkommen von 1971 muß sich West-Berlin mit der Rolle einer „normalen Stadt im Schatten der Mauer“ begnügen. Bezeichnend ein Dialog zwischen Manfred und einem Westdeutschen: „Berlin ist nur als Sehnsucht schön und nicht als Realität. Jeden Tag die Mauer.“ - „Seien Sie doch froh, daß Sie eine haben. Ohne Mauer wäre Berlin nur halb so interessant.“ Unterschwellig durchzieht eine Art von Haßliebe zur „Inselstadt“ das ganze Buch. Manchmal bricht es offen heraus, und Hauptheld Manfred Matuschewski bekennt: „Berlin, das ist wie ein Knast ... In Berlin bist du immer eingesperrt. An der Grenze wirst du wie ein Schwerverbrecher behandelt. Und irgendwie bist du staatenlos, denn auf deinem Ausweis steht nur ,behelfsmäßig‘ drauf. Wenn du spazierengehst: überall Mauer und Stacheldraht. Und, Gott, ist die Stadt häßlich, wenn ich da an Paris denke, an Wien, an Rom ... und, und, und. Die Menschen erst: kein Charme, kein Esprit, alles Muffelköppe.“ Hier trifft der Autor die Grundstimmung der siebziger Jahre, und gewißlich ist es dieses alte West-Berlin-Gefühl, was manchem die Lektüre vertraut macht.

Nach dem Gesetz der Serie, kann der geneigte Leser noch mit zwei Fortsetzungsbänden rechnen: einen für die achtziger und einen weiteren für die neunziger Jahre. Eines läßt sich jetzt schon sagen: Dem Autor verbleibt bei der Titelgebung keine große Auswahl. Nach Kartoffelschalen, Kartoffelpuffer, Kartoffelchips und nun Quetschkartoffeln könnte der letzte Band vielleicht „Einheitskartoffelsuppe“ heißen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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