Eine Annotation von Helmut Eikermann


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Müller-Turpath, Karla:

Reichsführers gehorsamster Becher

Eine deutsche Karriere.
Aufbau-Verlag, Berlin 1999, 240 S.

Gerade hat - fünfundfünfzig Jahre nach Ende der Naziherrschaft - ein amerikanischer Detektiv einen der Mörder von Theresienstadt entdeckt, der sich vor der bundesdeutschen Justiz nicht einmal unter falschem Namen verbergen mußte, ja, wie sich herausstellte, ein scheinbar honoriger Träger des Bundesverdienstkreuzes ist. Angesichts dieser Meldung wundert man sich nicht über Karla Müller-Turpaths bereits 1982 veröffentlichten und jetzt in erweiterter Fassung bei Aufbau neu aufgelegten Report über den SS-Standartenführer und noch am 9. April 1945 zum „Reichssonderkommissar für sämtliche deutsche Konzentrationslager“ ernannten Kurt A. Becher, der im August 1995 hochbetagt und unbestraft in Bremen starb.

Müller-Turpath schildert Bechers Aufstieg vom reitenden Prokuristen einer Hamburger Futtermittelfirma zum Stabsoffizier der SS-Kavallerie, der sich seine Sporen beim Judenmord in den Pripjet-Sümpfen verdient, gegen Kriegsende mit weitreichenden Vollmachten in Budapest residiert und mit Adolf Eichmann bei der Deportation der ungarischen Juden zusammenarbeitet. Er spielt eine führende Rolle bei den Geschäften, die Himmler mit jüdischen Organisationen einfädelt und abwickelt. Später geriert er sich dafür als „Retter der Juden“ - und kommt damit durch. Nach dem Krieg großherzig als „Mitläufer“ eingestuft, hatte Becher es nicht nötig, sich zu tarnen oder wie andere SS-Größen via Italien nach Südamerika zu fliehen. Als wohlhabender Getreidegroßhändler lebte er in Bremen - und machte Geschäfte ausgerechnet mit den Machthabern in Ungarn, denen seine Vergangenheit kein Geheimnis war. 1945/46 hatten ihn die Amerikaner als Zeugen nach Budapest „ausgeliehen“; in dieser Rolle überstand er auch Nürnberg und eine Reihe weiterer Prozesse. Selbst im Eichmann-Prozeß war er als Zeuge geladen, zog es jedoch vor, seine Aussage nur vor der deutschen Justiz zu machen, die ihn trotz der bekannten Fakten stets mit Samthandschuhen anfaßte. Noch kurz vor seinem Tode beharrte er in einem Interview mit einer israelischen Journalistin auf seiner selbsterfundenen Retter-Story.

Karla Müller-Turpaths erschreckendes Buch beleuchtet nur einen weiteren, besonders dunklen Fleck in der unendlichen Geschichte des Versagens der westdeutschen Nachkriegsjustiz.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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