Eine Annotation von Thomas Przybilka


Fullerton, John:

Das Affenhaus

Scherz Verlag, München 1999, 272 S.

Das Szenario ist für einen Kriminalroman reichlich ungewöhnlich: Sarajewo, vier Tage im Winter 1993. Eine Stadt, die langsam vor sich hin stirbt. Eine Stadt, in der das Morden zu einer Alltäglichkeit geworden ist. Eine Stadt, in der sich Bosnier, Kroaten und Serben mit unversöhnlichem Haß gegenüberstehen. Hier werden die obskursten Koalitionen geschlossen - für Stunden nur oder für wenige Tage. Und hierher kommt der Polizeioffizier Rosso, um inmitten eines brutalen Grabenkrieges der verschiedenen ethnischen Belagerer und Bewohner einen Mord an einer Frau aufzuklären. Rossos Dienstweg wird die Sniper-Alley sein, um zum „Affenhaus“ zu gelangen. Dort hat man zufällig die Tote, übel zugerichtet, in der Badewanne ihres kleinen Appartements gefunden. „Das Affenhaus“ wird der Wohnblock No. 9 in Alipasino Polje genannt, weil dort die wenigen Serben wohnen, die in Sarajewo überlebt haben. Das Affenhaus steht nahe bei den Scharfschützenstellungen der Tschetniks, und die nehmen ihre Leute natürlich nicht ins Visier. Rosso ist Kroate, die Tote Serbin, und in Rossos verbliebenem Team des Polizeipräsidiums Sarajewo sind alle ethnischen Gruppen vertreten. Ob unter den waltenden Umständen die Aufklärung eines einzelnen Mordes Sinn macht oder nicht, Polizeichef Rosso beginnt seinen Kampf um Gerechtigkeit für die ermordete Serbin. Rosso ist am Leben und schämt sich dafür.

John Fullertons Kriminalroman Das Affenhaus zeichnet eindrucksvoll den Alptraum eines Seiltanzes zwischen Überleben und plötzlichem Tod durch Scharfschützenkugeln oder Artilleriebeschuß in der eingekesselten und zerstörten Stadt. Dem Leser kehren automatisch die seinerzeit täglichen Bilder der Fernsehnachrichten vor Augen zurück. Fullerton hat einen Plot gefunden, der es in sich hat.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite