Eine Rezension von Anne Mann


Ein letzter Glanz von Geist

Hermann Simon: Das Berliner Jüdische Museum. Geschichte einer
zerstörten Kulturstätte.
Verlag Hentrich & Hentrich, Teetz 2000, 184 S.

Deutschlands im und nach dem Zweiten Weltkrieg zum Teil vom Sieger Sowjetunion verbrachten Kunstschätze - die sogenannte Beutekunst - ist immer mal wieder Gegenstand politischer Aktivitäten. Es wird geforscht, verhandelt und getauscht, um Vermißtes endlich zurück zu bekommen. Kunst als identitätsstiftendes Element nationaler, kultureller und gesellschaftlicher Entwicklung ist kaum zu entbehren. Man weiß, wie schmerzlich die Verluste sind. Grad in den letzten Jahren war oft davon zu hören. Ein Kapitel Beutekunst der ausgesprochen deutschen Art spielt in der vereinigten Öffentlichkeit bisher allerdings eine eher marginale Rolle. Die Rede ist von den Beständen des Berliner Jüdischen Museums, in das „in der sogenannten Kristallnacht ... uniformierte SA-Vandalen (...) eindrangen und von dort zahlreiche Kunstschätze entfernten“. Ein anderer Zeitzeuge erinnert sich, daß der Eingang des Museums versperrt war mit dem Siegel der Gestapo. „Die Kunstschätze gehörten uns nicht mehr. Sie waren beschlagnahmt, das heißt mit anderen Worten geraubt.“ Teile davon wurden auf Veranlassung des damaligen Finanzministers auf dem internationalen Kunstmarkt zum Kauf angeboten. Nichts Neues im NS-Deutschland: Raub, dem Mord folgte. Oder umgekehrt. Der Untertitel des Buches bezieht sich sowohl auf konkrete Verluste als auch auf den generellen Vorgang der „Schließung“ einer jüdischen Institution.

In seiner „Geschichte einer zerstörten Kulturstätte“ erweist sich der Autor als sorgfältiger Chronist des ersten modernen jüdischen Museums in Europa. Es ist zugleich eine kleine Geschichte über jüdische Tradition und kulturelles Selbstverständnis, die sich dem Leser am Beispiel vieler interessanter Details erschließt. Als Hermann Simon im Jahr 1979 das unvollständige Exemplar einer Broschüre über das Jüdische Museum entdeckt, beginnt er seine Nachforschungen, um zum 50. Jubiläum des Museums 1983 einen Aufsatz zu schreiben. Es entstand eine Broschüre, die 1988 als Buch herauskam. Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Ausgabe. Die Spuren des Museums führen in das zu Ende gehende 19.Jahrhundert. Jüdisches Selbstbewußtsein und Interesse für die eigene Geschichte richten sich nun auch auf Kunst. Das Gebot jüdischer Religion „Du sollst dir kein Bildnis machen“ hatte zwar nie über künstlerischen Gestaltungswillen siegen, wohl aber Kunst aus der Wahrnehmung verdrängen können. Mit zunehmender Einordnung in die bürgerliche Gesellschaft, mit der Liberalisierung konservativer jüdischer Lebensweise wächst das Bedürfnis, jüdische Kunst zu sammeln. Der französische Sammler Isaac Strauss z.B. stellt als erster Kultgerät zusammen, das Teil der auf der Pariser Weltausstellung 1878 erstmals öffentlich gezeigten jüdischen Zeremonialkunst ist. Die früheste Erwähnung des Begriffes jüdische Kunst erfolgt im gleichen Jahr in einem Aufsatz zur Pariser Ausstellung.

Auch Hermann Simon setzt sich mit dem Begriff auseinander. Was ist jüdische Kunst? Sind es nur an die Religion gebundene Sujets, gleichgültig, ob ihre Schöpfer Juden oder Nichtjuden waren, oder ist dann von jüdischer Kunst zu sprechen, wenn es um die Werke ausschließlich jüdischer Künstler geht, unabhängig davon, ob ein thematischer Bezug zum Judentum vorliegt? Der Autor plädiert für eine im weitesten Umfang verstandene Begriffsinterpretation, da dies der Konzeption des Jüdischen Museums entspreche.

Als der Dresdner Juwelier Albert Wolf 1905 seine Sammlung Judaica der Jüdischen Gemeinde Berlin vermacht, war das der Anfang der „Kunstsammlung“, aus der später das Berliner Jüdische Museum wurde. Die „Kunstsammlung“ (auch Wolf'sche Stiftung) wurde 1917 von Moritz Stern aufgebaut und im Verwaltungsgebäude der Jüdischen Gemeinde in der Oranienburger Straße 29 untergebracht. Ein weiterer Sammler, Salli Kirschstein, gab 1928 die entscheidende Empfehlung zur Ausweitung der Sammlung in ein Museum sowie zur Gründung eines Museumsvereins, die ein Jahr später auch erfolgte. Der Verein sah seine Aufgaben vor allem in der Erschließung jüdischer Kulturschätze, um sie „der Allgemeinheit zugänglich zu machen und so eine empfindliche Lücke in unserem Geistesleben auszufüllen“. Zu den prominenten Mitgliedern gehörten u.a. der Schriftsteller Arnold Zweig, und der Maler Max Liebermann, Präsident der Akademie der Künste, war Ehrenvorsitzender. Ein letzter Glanz von Geist behauptete sich gegen die beginnende Barbarei in Deutschland.

Der Ausbau der Sammlung ging nicht ohne Schwierigkeiten voran, trotzdem entstand unter der Leitung von Karl Schwarz „die umfangreichste und gehaltvollste jüdische Kunstsammlung in Deutschland, vielleicht in Europa“. So stieg die Zahl der Gemälde von 18 auf 80, die der Kultgeräte von 227 auf 348, die der Münzen und Medaillen von 794 auf 910 und die der graphischen Blätter von 3384 auf 6694, die der palästinensischen Altertümer von 12 auf 187. Es wurde eng für die Sammlung und höchste Zeit für ein Museum. Passende Räume fanden sich im Haus Oranienburger Straße 31. Dann war es soweit:Am 24. Januar 1933 wurde das Museum eingeweiht. Knapp eine Woche vor der faschistischen Machtergreifung war es „der letzte bedeutsame, noch einigermaßen unbeschwerte, gleichsam abendscheinbesonnte jüdische Gesamtkulturakt ... Da war noch einmal alles versammelt...,was Klang und Rang im jüdischen wie im allgemeinen Geistes- und Kunstleben hatte.“ Max Liebermann schenkte dem Museum ein Selbstporträt, das erst wenige Tage zuvor fertig geworden war. Rechtzeitig zur Eröffnung lag der von Karl Schwarz verfaßte „Führer durch das Jüdische Museum“ vor. Er enthält eine genaue Beschreibung der Räume und Ausstellungsstücke, über die im Buch informiert wird. Schon im Mai 1933 verließ Karl Schwarz Deutschland, die Direktionsgeschäfte übernahm bis 1955 Erna Stein (bekannt unter Stein-Blumenthal). Mit ihrem Namen verbinden sich die Ausstellung zu Ehren der Maler Eugen Spiro und Ludwig Meidner (Mitbegründer der Sezession, Vorkämpfer des Expressionismus) sowie eine Bildnisausstellung „Jüdische Köpfe“. Viel beachtet auch die unter dem neuen Direktor Prof. Franz Landsberger gestaltete Max-Liebermann-Gedenkausstellung im Februar 1936. Als Höhepunkt der kurzen Museumsgeschichte gelten die Abrabanel- und die Eger-Schau im Jahr 1937. Thematisch verbunden, führten sie die Besucher in die verschiedenen Welten des sefardischen und aschkenasischen Judentums. Es ist bemerkenswert, wie trotz der politischen Verhältnisse und ihrer Folgen für den Lebensalltag jüdischer Bürger die Arbeit im Museum fortgesetzt wurde. So mußte auch die Organisatorin der eben genannten Ausstellungen im April 1938 emigrieren. Noch für den Herbst dieses Jahres plante Direktor Landsberger die Ausstellung „Jüdische Künstler erleben die Bibel“. Das Gemeindeblatt kündigt deshalb die Schließung des Museums vom 31. Oktober bis 10. November 1938 an. In derselben Nummer wird über die Verschiebung der Ausstellung und die Aufhebung der Schließung informiert. Am 6. November stellte Franz Landsberger in einem Artikel Kultgeräte vor, die dem Museum infolge der „Verkleinerung des Wohnraumes der Juden ... und ihrer gesteigerten Auswanderung“ (!) von ebendiesen betroffenen Juden übergeben worden waren. Verfolgung und Vernichtung durch die NS-Maschinerie bedrohten auch das Museum. Das Pogrom am 9. November beendete die knapp sechsjährige Existenz der Kulturinstitution. Sie wurde geplündert, Kunstgegenstände beschlagnahmt, die Räume versiegelt. Franz Landsberger mit vielen anderen Berliner Juden in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Eine Einladung nach Oxford rettete ihm das Leben.

Nachforschungen über den Verbleib der Museumsbestände ergaben, daß ein Großteil der Gemälde im Keller der ehemaligen Reichskulturkammer lagerte. Alle aus früherem jüdischen Bestz stammenden Bilder und Gegenstände wurden neu inventarisiert. Hermann Simon beschreibt die Nachkriegsbemühungen um die Kunstschätze, weist, soweit belegt, ihren Verbleib nach und muß am Ende konstatieren, daß viele Kunstwerke unwiederbringlich verloren sind: Beute der Gewalt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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