Eine Rezension von Björn Sagé


Ja, Jerusalem!

Michael Zeller:
Und nächstes Jahr in Jerusalem!
ars vivendi verlag, Cadolzburg 1999, 184 S.

Der Reißverschluß ist eine polnisch-amerikanische Erfindung. Vor allem aber ist die Geschichte des Reißverschlusses eine jüdische Geschichte. Die erzählt Michael Zeller, der Deutsche aus Breslau, im Stil der besten jüdischen Erzähler. Zeller erzählt mehr und auf andere Art. Erzählt, was „Solnischke“ bedeutet. Nämliche „Kleine Sonne“, wie Marienkäfer in der Ukraine genannt werden. Was New York und Ludwigslust in Mecklenburg gemeinsam haben - nicht an Uwe Johnson denken! - ist in den Erzählungen „Professor Siebrasse“ und „Nackte Fersen“ auszumachen. Mit beiden Geschichten beginnt der Band Und nächstes Jahr in Jerusalem!, der fünfzehn Geschichten vereint, die Michael Zeller geschrieben hat. „Geschichten am Weg“. Der Weg ist die Welt. In den Geschichten ist viel wirkliche Welt aus aller Welt. In den Geschichten ist lauter Leben. Bewegtes, bewegendes Leben. Weit weg von den täglichen Brand- und Mord-Geschichten. Ganz nah den Bränden und Morden moderner Menschheitsgeschichte. Geschichten, denen - noch - an den Restauranttischen der Welt begegnet, wer für Begegnungen bereit ist. Michael Zeller ist offen für Begegnungen. Er erwartet nicht, daß die Welt auf ihn zu kommt. Er geht auf die Welt zu. Die Welt ist ihm, scheint's, ein einziges Restaurant. Er geht hinein, sieht sich um, hört zu, läßt sprechen und spricht. So kommt der Schriftsteller zu den Geschichten der Geschichte, die in ihm ihren Erzähler finden. Michael Zeller ist eher ein findender, denn erfindender Geschichtenerzähler. Er weiß, nichts erklärt die Geschichte besser als die Geschichten der Geschichte. Die Geschichten der Menschen der Welt. Das ist die Gewißheit, die den Erzähler stark macht, starke Menschen-Geschichten zu erzählen.

Geschichten zu schreiben ist schwierig und riskant. Riskant, weil sich Geschichten keiner Beliebtheit bei Verlegern erfreuen. Womit auch angedeutet ist, weshalb es in der deutschen Literatur der Gegenwart so wenig gute Geschichtenerzähler gibt? Zeller wagt das Riskant-Schwierige immer wieder, weil er den siebten, also literarischen Sinn für ungewöhnliche Geschichten hat. Der Autor ist neugierig auf das, was mehr sagt, als Zeitungsberichte zu sagen vermögen. Michael Zeller ist ein Wahr-Nehmer, der Wahres erzählen will. Und zwar so, daß seine Neugier am Unbekannten zur Neugier der Leser wird. Neugier zu wecken und zu erhalten macht das Schreiben von Geschichten schwer. Zeller ist ein Autor mit pädagogischen Ambitionen. Zum Vor- und Nachteil akzeptiert er sie als Leitplanken seiner Literatur. Der Erzähler erzieht. Als Erzieher kann er sich nicht seiner Neigung entziehen, „die Moral von der Geschichte“ mitzuliefern. Meist folgt dem Ende der Geschichte, sie unnötig verlängernd, der Moral-Nachsatz. Der Versuch, Pointen pädagogisch zu pointieren, macht weder Erzähler nach Erzählung stärker. Mißtraut Zeller der Phantasie der Leser? Manchmal bringt er die Phantasie mit dem Rhythmus seiner Prosa ordentlich in Schwung. Wenn er schreibt: „Wie die Toga eines Triumphators flatterte das Tuch ...“ Wenn er empfiehlt, das Blau des New Yorker Himmels „nicht verfallen zu lassen“. Die Welt-Wege, die Michael Zeller in Und nächstes Jahr in Jerusalem! geht und weist, können an einem Tag nachgegangen werden. Und zwar mit dem immer kräftiger werdenden Gefühl: Es ist ein guter Tag! Der Geschichtenerzähler rückt nicht vom Erzählten ab. Immer erzählt der Erzähler auch von Michael Zeller. Ein Mensch spricht von und nicht über den Menschen. Mensch, Zeller, das hat was!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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