Eine Rezension von Volker Strebel


Grüß dich, Sheriff!

Jirí Weil: Leben mit dem Stern
Aus dem Tschechischen von Gustav Just.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2000, 389 S.

Der Autor Jirí Weil, Jahrgang 1900, hat den Hereinbruch der Katastrophe in seine Heimatstadt Prag selbst erlebt. Als Jude hatte er die deutsche Besetzung nur durch einen fingierten Selbstmord überlebt. Die Schilderung des ehemaligen Bankbeamten Josef Roubícek war ihm im vorliegenden Roman um so authentischer gelungen. Das Leben mit dem Stern, jenem diskriminierenden gelben Stern, den sich die Juden laut Nazibefehl anzunähen hatten, war Jirí Weil aus eigener Erfahrung vertraut: „Ich ging nach Hause und säumte die Zacken des Sterns ein. Es waren sechs, und von dem Stern grinste mich die Aufschrift in der fremden Sprache an, sie war krumm und gedruckt. Ich ertastete auf meinem Rock die Stelle, hinter der das Herz schlug, und bezeichnete sie mit Stecknadeln, das Herz schlug ganz regelmäßig.“ Josef Roubícek erlebt die Blicke der fremden Leute beim Einkaufen: „... sie blieben stehen und betrachteten mich, ich gehörte nicht mehr zu ihnen.“ Ruzena, Josef Roubíceks Geliebte, war schon lange nicht mehr bei ihm, und dennoch begleitete sie den einsamen, ausgegrenzten Juden in seinen Gedanken, begleitete ihn somit auf seinen wenigen Ausflügen in die Stadt. „,Grüß dich, Sheriff!` rief mir ein kleiner Junge zu. Und alle lachten, aber ich wußte, daß sie nicht über mich lachten, ich lachte auch, das war eine unterhaltsame Sache, mit einem solchen Abzeichnen herumzulaufen, eine Maskerade war das, die überhaupt nicht in eine Welt gehörte, in der Menschen arbeiten, sie gehörte auf einen Rummel, in eine Jahrmarktsbude, zu ihr gehörten Purzelbäume, gepuderte Gesichter und Fußtritte.“

Fiktionen der Phantasie wie Ruzena prägen das Leben von Josef Roubícek. Auch die Verantwortlichen dieser entsetzlichen Situation werden nicht weiter beschrieben. Die Bezeichnung „Tiergesichter in Uniform“ geht deutlich über das übliche, kursiv gedruckte „sie“ hinaus. Ein Reduktionismus, welcher auch die äußeren Lebensumstände Josef Roubíceks prägt. Schritt für Schritt wird die Bewegungsfreiheit beschnitten, ein Erlaß nach dem anderen reglementiert immer kleinlicher das Alltagsleben, bis hin zum Verbot der Tierhaltung oder der Begehung bestimmter Straßen und Plätze. Und Zug um Zug werden jüdische Freunde und Bekannte vor den Augen einer schweigenden Öffentlichkeit abtransportiert: „Aber offenbar waren wir für sie nicht mehr da, weil sie sich wünschten, daß wir nicht mehr da wären, daß sie uns nicht mehr anzuschauen brauchten, denn sie gingen schnell an uns vorbei und wandten die Gesichter ab; es war eben doch nötig, alles schnell zu vergessen und niemals etwas zu wissen und gewußt zu haben.“

Die Herausgabe des Romans Leben mit dem Stern in der verdienstvollen Reihe der „Tschechischen Bibliothek“ wird durch den von Bettina Kaibach übertragenen „Klagegesang für 77 297 Opfer“ ergänzt und ist mit einem kundigen Nachwort von Urs Heftrich versehen.

Jirí Weil konnte im Jahre 1949 seinen autobiographischen Roman gerade noch der Öffentlichkeit vorlegen, bevor er abermals zum Schweigen verurteilt wurde. Dabei hatte Jirí Weil bereits in der Zeit vor der deutschen Besetzung schlimme Jahre hinter sich gehabt. Als überzeugter Kommunist waren ihm als Kominternangestellter in der Sowjetunion aufschlußreiche Einblicke in den Säuberungsapparat des Stalinismus gegeben, die er 1937 in seinem Roman Moskau - die Grenze veröffentlichte. Diese deutsche Abrechnung mit den Zerstörern seiner Jugendträume hatten Jirí Weil auch prompt die zeitweilige Verbannung nach Sibirien eingebracht. Fortan blieb Jirí Weil seinen früheren Genossen als „Antisowjetist“ in Erinnerung, seine Bücher wurden zu seinen Lebzeiten auch so gut wie nicht mehr veröffentlicht. Jirí Weil starb 1959 in Prag an Krebs.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite