Eine Rezension von Karl Friedrich


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Heiter, verrückt, traurig

Malachy McCourt: Der Junge aus Limerick
Erinnerungen.
Aus dem Englischen von Claudia Feldmann.
Argon Verlag, Berlin 1999, 332 S.

Frank McCourt, der Bruder von Malachy, verblüffte 1996 die Lesewelt mit seinen Erinnerungen Die Asche meiner Mutter. Das Buch wurde indessen in 35 Sprachen übersetzt, es sollen weltweit bereits 15 Millionen Exemplare verkauft worden sein. Nun hat auch der etwas jüngere Bruder seine Erinnerungen aufgeschrieben. Vermutlich ermuntert durch den erfolgreichen Bruder. Beide hatten eine gemeinsame Kindheit und frühe Jugend in Irland. Beide erlebten Armut und Demütigungen, einen versoffenen Vater und immer etwas Hoffnung auf ein anderes Leben. Malachy McCourt erzählt seine Abenteuer mit einem geringeren Aufwand von Phantasie als sein Bruder. Derber, herber, immer ein bißchen verrückt und alkoholisiert, kämpft er sich, nachdem er Irland und den Ort Limerick 1952 verlassen hat, durch die kleinen und aufregenden Höllen Amerikas. Arbeitet in New York auf den Docks, spielt Football und Rugby und ist erstaunt, daß er „in der so genannten ,zivilisierten Mittelschicht ‘ zugelassen“ wird. Keine Armut, keine Demütigungen. Doch Glück bedeutet das noch lange nicht. Denn es ist ein teuflischer Kreislauf. Zwar weit weg von Limerick, beginnt nun ein wilder Tanz um ein anderes Leben, das auch nicht viel besser zu sein scheint. Frauen faszinieren ihn derart, daß er beständig über sie - zumeist zotenhaft - schreiben muß. Es mischt sich aber in die ungehemmte Lust bald ein Makel. Er hat keine Sprache, um mit ihnen zu reden. Also landet er regelmäßig in Bordellen, wo er seine schlechte Schulbildung, die ihn als ewige „Schrumpferfahrung“ begleitet, durch Rausch und Ablenkung vergessen kann. Ein unstetes Leben beginnt. In Bars, auch selbst als Kneipier, dann etwas Schauspielerei, beständig auf Reisen und Goldschmuggel in Indien. Und Frauen, Frauen, Frauen. Er schüttelt seine Abenteuer locker aus dem Ärmel der Erinnerungen. Lässig, arglos, mitunter in wüst zurechtgeschneiderten Bildern sprudelt Malachy McCourt drauflos. Er spielt Rollen, so lange, bis er selbst zu einer Attraktion geworden ist, worüber er froh ist. Denn er muß nicht mehr so oft ans alte irische Elend denken. Daß er statt dessen ein amerikanisches Elend erlebt, ist ihm kaum bewußt. So sehr rauscht er ab und durch die Bordelle. Die vielen jungen, manchmal hübschen „jungen Dinger“, denen er begegnet, legt er pausenlos flach und fühlt sich als Held. Das Leben, für Malachy McCourt ist es ein einziger Kitzel. Ruhigere Tage gibt es auch, und da schimmert etwas durch, was ihn bedrückt: „Ich war fit, gesund und jung, und vor mir breitete sich ein weites Panorama von Lust und Leben aus. Und doch gab es Tage, an denen ich mutterseelenallein dahockte und all die kleinen Dämonen in meinem Innern hervorkrochen, um mich daran zu erinnern, daß ich eine Niete war, ein Trottel ohne jeden Anstand und Geist.“ Nicht andere werden eines Tages entdecken, daß er aus den Slums von Limerick stammte, er selbst nähert sich in den sechziger Jahren immer mehr diesem Ausgangspunkt all seiner wüsten Ausschweifungen. Es ist das Bild des versoffenen Vaters, dem er sich nähert, das ihn verfolgt. Am Ende seiner wilden Reisen steht das magere Fazit: „Wie am Anfang: pleite und verlassen.“ Zwischendurch gibt es flüchtige Begegnungen mit dem Bruder Frank. Das Schlußkapitel ist überschrieben „Die Spuren des Vaters“ und führt zurück ins alte Elend, in die Hoffnungslosigkeit, aber auch in die nicht aufgegangenen Träume der Kindheit. Er sucht den Brunnen der Vergangenheit, an den ihn einst der Vater geführt hatte, doch er findet weder Brunnen noch Vater wieder. Die Leere nach überreizten Abenteuern ist riesig, ein fades Ende in einem ernüchternden Buch, das flott erzählt, aber viel zu überreizt ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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