Eine Rezension von Kathrin Chod


Wo Damen hofhielten

Petra Wilhelmy-Dollinger: Die Berliner Salons
Mit kulturhistorischen Spaziergängen.
Walter de Gruyter, Berlin 2000, 448 S.

„Es gibt kaum ein Ding in neuester Zeit, das so vieldeutig geworden, das so verbraucht und verpönt worden als der Salon; jetzt gibt es juridische, ästhetische, politische, radikale, konservative, Damen-, Herren-, Friseur- und Schneidersalons, während ich in den glücklichen Tagen meiner Kindheit keinen anderen kannte als unseren Gartensalon, der acht hölzerne Säulen hatte und rot angestrichen war - jetzt gibt es solche, aus deren Mund man jeden Augenblick das Wort ,fade Salonfigur‘, ,Blasiertheit des Salonlebens‘, ,Langeweile - Servilismus - Steifheit des Salons‘ usw. vernehmen kann, während unserem Gartensalon nur lauter Liebes und Gutes nachgesagt werden konnte ...“ So klagte Adalbert Stifter 1844, aber der Begriff Salon war eben seinerzeit einfach „in“. Ironie der Geschichte ist, daß die Gastgeberinnen jener geselligen Zusammenkünfte, die wir heute mit Salon bezeichnen, diesen Begriff eher vermieden. Rahel Levin lud in ihre „Dachstube“ und Hedwig von Olfers sprach von ihren „Teetischen“ oder ihren „Donnerstagen“. Für die vorliegende Arbeit von Petra Wilhelmy-Dollinger ist es dabei recht unerheblich, ob die Damen ihren Salon nun als Salon bezeichneten oder als Teekränzchen. Die Autorin entwickelt in ihrem Buch zum Berliner Salon feste Kriterien dafür, ob nun eine Geselligkeit als Salon zu bezeichnen ist oder nicht. Ein Salon ist so in allererster Linie „die Hofhaltung einer Dame“, nicht die der gastfreundlichen Hausfrau eines berühmten Mannes, sondern einer Frau, die im Mittelpunkt steht. Die Gastgeberin war es, „die man in erster Linie treffen, mit der man sich unterhalten wollte, die man verehrte, gerne leiden mochte und vielleicht auch liebte“. Eine Frau, die zuhören, aber auch dem Gespräch einen anderen Impuls geben konnte. Für sie selbst bedeutete dies seinerzeit Freiheit und Selbstverwirklichung. Weitere Kriterien für einen Salon sieht Petra Wilhelmy-Dollinger in festen Empfangstagen, einem Kreis fast regelmäßig anwesender Gäste aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, Lebens- und Berufskreisen, einer zwanglosen Konversation über Kunst, Literatur, Philosophie, Musik und Politik, einer bestimmten kulturellen Anziehungskraft und Ausstrahlung sowie darin, daß sie einen gesellschaftlichen Freiraum - frei von Dogmen, Satzungen u. ä. - boten. Nach diesen Kriterien zählt die Autorin von 1780 bis 1914 in Berlin 90 Salons , wovon ein Drittel von ihr als bedeutsam eingeschätzt wird.

Über welche besonderen Fähigkeiten eine Salonnière verfügen mußte, wird deutlich, wenn man bedenkt, was für gegensätzliche Charaktere sie in ihren Zusammenkünften unter einen Hut zu bringen hatte. Als Beispiel seien nur zwei Gäste des Salons von Lina Duncker angeführt: Ferdinand Lassalle, der sich beklagte, daß Frau Duncker ihn nicht ausreichend vor den anderen Gästen des Salons auszeichnete, und Gottfried Keller, der sich bei der Gastgeberin beschwerte, daß sie einen Autor einlud, obwohl er, Gottfried Keller, ihr doch ausdrücklich seine Meinung über ihn gesagt habe. Zudem bedachte er Lina Duncker noch mit folgendem Kompliment: „Obgleich ich weiß, daß Sie, Frau Duncker, ein Taugenichts sind, so kann ich Ihnen doch nicht ernstlich böse sein und muß Sie schließlich immer wieder gern haben ...“

Viele Salonnièren traten nicht nur als Vermittlerin, gute Gastgeberin und Gesprächspartnerin in Erscheinung, sondern auch als Musikerin, Malerin oder Autorin und Übersetzerin hervor: Amalie von Helvig übertrug etwa die Frithjofs-Sage ins Deutsche und Elise von Hohenhausen u. a. Werke Sir Walter Scotts und Lord Byrons. Salonnièren beteiligten sich auch intensiv am politischen Leben wie Bettine von Arnim, die sich mit ihrem Dieses Buch gehört dem König mit unwürdigen Wohnverhältnissen in Berliner Elendsquartieren befaßte. Andere Damen setzten sich für die Verbesserung des Bildungswesens für Mädchen ein. Sie registrierten die geistigen Strömungen ihrer Zeit, wie Anna von Helmholtz, die 1889 anläßlich des Selbstmordes des österreichischen Kronprinzen schrieb: „Des Jahrhunderts oberflächlicher Pessimismus hat wohl in ihm, wie in allen jungen vornehmen Leuten gesteckt. Es ist so viel bequemer und leichter Schopenhauer'sche Lebensverachtung zu erwerben als Kants kategorischen Imperativ zu erfassen und zu durchleben.“ Oder Hildegard von Spitzemberg, die um 1910 ein nachlassendes Pflichtgefühl, Oberflächlichkeit und Verantwortungslosigkeit in Politik und Gesellschaft konstatiert.

Das Aussterben der Salonkultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führt die Autorin auch darauf zurück, daß klugen, gebildeten Frauen jetzt andere Möglichkeiten der Selbstbestätigung, berufliche Chancen und Freizeitbeschäftigungen offenstanden. Weitere Gründe nennen die Salonnièren Marie von Bunsen mit der Kriegs- und Inflationskatastrophe sowie dem neuen Lebensstil der 20er Jahre, „die Überhastung, der Amerikanismus unseres Daseins, das unruhige Reise- und Abwechslungsbedürfnis, das Zunehmen der Gasthofgeselligkeit, der Klubs, die Leidenschaft für allen Sport“ und Sabine Lepsius mit fehlender Sprachkultur, mangelnder Höflichkeit, der Unfähigkeit zum Zuhören und der Neigung, den Gesprächspartner zu unterbrechen.

Wer den Berliner Salon untersucht, kommt natürlich an der hohen Zahl von Salonnièren jüdischer Herkunft - im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil - nicht vorbei. Einerseits hatten diese jüdischen Mädchen, Töchter wohlhabender Väter, eine hervorragende Erziehung genossen, andererseits waren sie von „weitaus härteren Konventionen und Traditionen“ als christliche Mädchen eingeschränkt: „In den meisten Fällen wurden sie zum Beispiel als halbe Kinder von ihren Eltern verheiratet, ohne Einfluß auf die Wahl ihrer Ehemänner nehmen zu können.“ Für sie, die als Frauen „in den engen, patriarchalischen Strukturen der jüdischen Gemeinde stark bevormundet und eingeschränkt“ waren und in der Mehrzahl später zum Protestantismus konvertierten, bot sich hier eine einzigartige Chance zur Emanzipation. So war es nicht nur eine Äußerlichkeit, daß Fanny Baronin von Arnstein und Henriette Herz nicht mehr den vorgeschriebenen, traditionellen Kopfputz der verheirateten jüdischen Frauen trugen. Ein anders Beispiel für diese Emanzipation ist Dorothea Mendelssohn, die von ihrem Vater, dem Aufklärer und Philosophen Moritz Mendelssohn, an einen ungeliebten Mann verheiratet wurde. Sie lernte im Salon von Henriette Herz Friedrich Schlegel kennen, den sie nach ihrer Scheidung auch heiratete.

Petra Wilhelmy-Dollinger, deren Arbeit 1989 von der Historischen Kommission zu Berlin veröffentlicht wurde, erfaßte erstmals das gesamte gedruckte Quellenmaterial zum Berliner Salon. Der umfangreiche wissenschaftliche Apparat ist in der vorliegenden Ausgabe nicht enthalten, dafür wurden Spaziergänge zu den wichtigsten Adressen Berliner Salons aufgenommen. Die Autorin zeigt mit ihrem Buch, daß eine wissenschaftliche Arbeit (1987 als Dissertation angenommen) anschaulich und fesselnd sein kann. Sie läßt Zeitzeugen zu Wort kommen und verzichtet auch nicht auf die kleinen Gehässigkeiten, die oft aus Eifersucht über einige Salonnièren verbreitet wurden: Henriette Herz habe ihre Gäste allein durch ihre Schönheit, nicht durch ihren Geist gefesselt (Varnhagen). Die nahen Beziehungen der Frau von Grotthuß zu bedeutenden Zeitgenossen seien nur auf die Aufmerksamkeiten zurückzuführen gewesen, die sie den Berühmtheiten erwies (Henriette Herz). Und zu Anna vom Raths lang ersehnter, aber später Erhebung in den Adelsstand hieß es, sie sei die Erlkönigin, denn sie habe den Hof mit Müh' und Not erreicht. Petra Wilhelmy-Dollinger läßt die Atmosphäre der Salons wieder lebendig werden, eines Phänomens, das 140 Jahre eine bedeutsame kulturelle Attraktion Berlins bildete, und verwirklicht so den Anspruch: „Wer die Berliner Salons kennt, wird das 19. Jahrhundert und Berlin besser verstehen.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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