Eine Rezension von Dieter Weigert


Reformer, Staatsmann, Diplomat

Thomas Stamm-Kuhlmann: Karl August von Hardenberg 1750-1822
Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen.
Herausgegeben und eingeleitet von Thomas Stamm-Kuhlmann.
Harald Boldt Verlag im R. Oldenbourg Verlag, München 2000, 1108 S.

Fast unmerklich ging er am 31. Mai 2000 vorbei, der 250. Geburtstag des Freiherrn Karl Friedrich von Hardenberg, eines der bedeutendsten Denker und Reformer der Periode zwischen 1770 und 1815, der Goethezeit, der Zeit Napoleons und der Zeit von Preußens tiefster Staats- und Geisteskrise.

Ein gewichtiges Präsent von 1108 Druckseiten gab es doch, das Ergebnis der akribischen Arbeit von Jahrzehnten, eine umfassende biographische Skizze, bestehend aus der Gesamtheit der persönlichen autobiographischen Aufzeichnungen Hardenbergs, die er in Tagebüchern, Notaten und anderen Niederschriften hinterlassen hat.

Der Herausgeber ist Professor für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit an der Universität Greifswald, früher am Historischen Seminar der Universität Kiel. Bekannt wurde Thomas Stamm-Kuhlmann vor Jahren durch die Monographie König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III., der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992.

Nach dem König nun der Kanzler. Hardenberg wird vorgestellt im Spiegel seiner schriftlichen Selbstzeugnisse - mit Ausnahme der Briefe. Aber sie fehlen in diesem Kontext nicht, denn die ausgewerteten Quellen sind aussagekräftig genug. Der Mann wird in diesem Spiegel lebendig, der begüterte Adlige, der Mensch, der Staatsmann, der Liebhaber der Künste und der Frauen, der große Anreger für die Anlage von Bauten und Gärten.

Von Kindheit und Jugend des Freiherrn sprechen die ersten 20 Seiten des Buches. Hardenberg hatte um das Jahr 1807 mit autobiographischen Aufzeichnungen begonnen, teils in deutscher, teils in französischer Sprache. Der Anlaß dieser Notizen war seine Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst und sein erzwungenes Exil in Riga. Das Bedürfnis eines Staatsmannes, aus dem Zentrum der politischen Geschehnisse durch Napoleons Druck entfernt, nach Selbstfindung und nach öffentlicher Rechtfertigung seiner Entscheidungen, läßt in Hardenberg den Plan einer Niederschrift von Memoiren reifen. Die Entwürfe jener Jahre sind zu seinen Lebzeiten zwar überarbeitet, aber nicht publiziert worden, denn schon 1810 steht der Freiherr wieder im Mittelpunkt der Politik, mächtiger als je zuvor.

Kindheit und Jugend im Hannoverschen waren geprägt vom Spielen, von den Genüssen des adligen Familienlebens, von Liederlichkeiten, von den ersten Liebeleien, aber vorrangig vom Lesen, vom intensiven Privatunterricht bei den besten Wissenschaftlern des Hofes von Hannover. Das Studium in Göttingen und in Leipzig schließt sich an - und in Leipzig in den Jahren 1766/67 die Bekanntschaft mit dem Studenten Goethe, ihre gemeinsamen Stunden beim Direktor der Kunstakademie Adam Friedrich Oeser. Dessen Einfluß auf den jungen Freiherrn ist bedeutend, liegen hier doch die geistigen Quellen für Hardenbergs Kunstsammlungen und sein Verständnis für Kunstgeschichte, insbesondere für Winckelmanns Antike-Rezeption.

In mehrfachen Ansätzen finden sich in den Niederschriften die ersten politischen Aktivitäten in den Diensten des Kurfürsten von Hannover, gleichzeitig König von England, und des Herzogs von Braunschweig zwischen 1770 und 1788. Der Kampf um die Durchsetzung der dringlichsten Reformen in der Verwaltung, die täglichen Auseinandersetzungen mit der verknöcherten Bürokratie, mit dem Schlendrian und den Intrigen waren nunmehr ständiger Gegenstand der Eintragungen in Tagebücher und Reisejournale. An beiden Höfen war der ehrgeizige Reformer Hardenberg gescheitert - politisch und menschlich. Die Texte schweigen über die detaillierten Gründe des Scheiterns, nur durch den Begriff „Explosion“ am Ende der Braunschweigischen Periode umschrieben.

Für den Freiherrn von Hardenberg war der Bruch mit Braunschweig eine schwere persönliche, finanzielle und berufliche Krise. Aber für einen Menschen wie Hardenberg - 38Jahre, diplomatische Erfahrungen im Umgang mit Fürsten und beste Voraussetzungen für die Gewinnung junger Mitarbeiter bei neuen Aufgaben, reformbesessen und Kenner der Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen der deutschen Kleinstaaten wie kein anderer - war sofort eine neue Herausforderung am Horizont.

Für das Königreich Preußen zeichnete sich in Süddeutschland ein Machtzuwachs, ein größerer Territorialerwerb ab. Der Markgraf Alexander von Ansbach und Bayreuth, ein Neffe Friedrichs II., trug sich mit Rücktrittsgedanken, und da diese beiden Ländchen schon über Jahrhunderte mit der Dynastie der Hohenzollern verbunden waren und Österreich im sogenannten Kartoffelkrieg 1778/79 zurückgehalten wurde, stand Preußen als Erbe fest.

König Friedrich Wilhelm II. suchte einen fähigen Sonderminister für die Verwaltung und Umgestaltung dieser Gebiete - 1790 sollte der Anschluß erfolgen. Hardenberg trat im Oktober 1790 in Ansbach seinen Dienst an, zuerst als Berater des Markgrafen, dann offiziell als preußischer Minister. Ausführlich werden in den Tagebüchern die Bedingungen des Amtsantritts beschrieben (S. 119 ff.) und auch nicht die Bemerkung unterdrückt, daß sich Hardenberg in den Verhandlungen nicht hart genug für die Immediatstellung unter dem König eingesetzt hatte, sondern im Ergebnis eine Unterordnung unter das Kabinett in Berlin entstand. (S. 125)

Dennoch - der Reformer, der Stürmer und Dränger hatte nun sein Betätigungsfeld. In kurzer Zeit reformierte Hardenberg die Verwaltung der Markgrafschaft derart, daß man mit neidischem Blick aus den alten preußischen Provinzen nach Ansbach und Bayreuth sah. Seine persönliche Stellung hatte der Freiherr zu einer Art Vizekönig ausgebaut. Er hatte vor allem die Möglichkeit genutzt, eine eigene Mannschaft zu formen, die ihn auf allen weiteren Wegen begleitete. Die bekanntesten Mitarbeiter waren Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein (1770-1840), geboren in Ansbach, 1808-1810 Finanzminister, 1817-1837 Kultusminister Preußens, der spätere Kultusminister (S. 355 ff.), und Friedrich von Nagler (1770-1846), späterer preußischer Generalpostmeister, Gesandter beim Bundestag in Frankfurt/Main und Geheimer Staatsminister, einer der eifrigsten Verfechter der Polizeistaatsmaßnahmen Metternichs, der spätere Generalpostmeister (S. 374 ff.). Eine dritte Person muß genannt werden - Alexander von Humboldt. Nach Abschluß des Studiums an der Bergakademie Freiberg sucht Humboldt eine Stelle und wird durch Minister Heinitz, einen engen Bekannten des Freiherrn von und zum Stein, als oberster Leiter des Bergwesens von Ansbach und Bayreuth 1792 zu Hardenberg geschickt (S. 236 ff). Humboldt bleibt dort bis 1797. Hardenberg erkennt sofort die genialen Fähigkeiten Humboldts und setzt ihn auch als Berater bei den diplomatischen Verhandlungen mit Frankreich ein (S. 309 ff.).

In diese Aufbauphase fiel der Krieg gegen Frankreich (S. 230 ff.). 1792 hatte sich der preußische König im Bündnis mit Österreich auf Drängen der französischen adligen Emigranten zum Marsch auf Paris entschlossen, um dem königlichen Bruder Ludwig XVI. im Kampf gegen die Revolution zu helfen. Kluge Leute rieten zum Bündnis mit Frankreich, um in Preußen selbst notwendige Staats- und Wirtschaftsreformen durchsetzen zu können - aber der Hof dachte nicht in solchen Begriffen.

Hardenberg mußte 1793/94 in den Krieg - als Politischer Kommissar, als Sonder-Außenminister für innerdeutsche Beziehungen mit Sitz in Frankfurt/Main und als Generalbevollmächtigter für die Versorgung der 55 000-Mann-Armee.

Der Freiherr hatte die komplizierteste politisch-diplomatische Aufgabe des Feldzuges zu lösen: die Verhandlungen mit den deutschen Territorialmächten zu führen, um den preußischen Armeekorps Durchmarschrechte, Versorgung, Transport, Unterbringung und viele andere Notwendigkeiten politisch und finanziell abzusichern. Diese Aufgaben wurden glänzend gelöst - nur die Kriegsziele konnten nicht erreicht werden. Der Oberkommandierende dieser preußischen Armee war übrigens Hardenbergs Arbeitgeber aus den Jahren 1783 bis 1788 - der Herzog von Braunschweig.

Von Interesse für Historiker ist der Fakt, daß sich unter den Stabsoffizieren in diesem Feldzug im Regiment des Herzogs von Braunschweig auch der Hauptmann Karl Friedrich von dem Knesebeck befand, dessen Heimat und dessen Jugend in Karwe bei Neuruppin Theodor Fontane so wortreich beschrieb. Es ist derjenige Knesebeck, der es zum Generalfeldmarschall brachte und der im Auftrag des preußischen Königs mehrere diplomatische Missionen in der Zeit durchführte, als Hardenberg schon im Außenministerium arbeitete. Aus den vorliegenden Tagebüchern wird ersichtlich, daß es auch schon im Juli 1794 enge Kontakte Hardenbergs zu Knesebeck gegeben hat, daß der Stabsoffizier Knesebeck wie Alexander von Humboldt zum Beraterstab des Diplomaten Hardenberg gehört hatte (S. 275).

Für die Friedensverhandlungen mit Frankreich hatte der König den Grafen von der Goltz vorgesehen. Nach dessen plötzlichem Tod wenige Tage nach Beginn der Konferenz sah der König nur einen fähigen Diplomaten als Ersatz: den Freiherrn von Hardenberg, der über ein Jahr schon in die Vorgespräche und die Verhandlungen einbezogen war (S. 287 ff.).

Die Franzosen sahen in Hardenberg einen europäischen Reformer, die Preußen und die deutschen Reichsfürsten einen deutschen Patrioten. Das Ergebnis ist bekannt - im Frieden von Basel 1795 verliert Deutschland das gesamte linksrheinische Gebiet. Die nächsten zwei Jahrzehnte bis zum Wiener Kongreß 1814/15 lassen Hardenberg diesen Zwang zur Anerkennung der Realitäten nicht vergessen. Einerseits erkennt er mit Genugtuung, daß in den nunmehr französisch besetzten Gebieten seine Reformideen Staatsgesetz sind - aber Kraft militärischer Anordnung.

Der Baseler Frieden hatte Hardenberg in seinem Vorhaben bestärkt, territoriale Veränderungen in Franken auf Kosten der anderen deutschen Territorialmächte zu erreichen. Sein großes Ziel: Schaffung einer preußischen Provinz Franken. Die Bistümer Bamberg und Würzburg sind im Visier wie auch die Freie Reichsstadt Nürnberg mit Umland. Nürnberg läßt Hardenberg durch seine Ansbach-Bayreuther Truppen besetzen, eine Volksabstimmung der Nürnberger Bürger im August 1796 legitimiert mit überwältigender Mehrheit diese Aktion (S. 325). Dem daraufhin abgeschlossenen Vertrag über den „Anschluß“ verweigerte der Hof in Potsdam die Ratifizierung. Trotz Sonderkurier mit dringlichsten Botschaften - der König bleibt bei der Ablehnung (S. 326) aus Rücksicht auf die Interessenlage Österreichs, Hardenberg muß seine Truppen zurückziehen. So bleibt der „Vizekönig“ Hardenberg in Ansbach auf begrenztem Territorium und der Hoffnung auf eine Position in Berlin. Erst 1803 wird er amtierender Außenminister, und 1804 tritt er die Nachfolge des Außenministers Haugwitz an. Der Freiherr ist am Hofe angekommen.

Die Texte belegen parallel zu den Details der Staatsgeschäfte und den Schritten hin zum Zentrum der Macht ein verstärktes Interesse Hardenbergs an der Verbesserung seiner materiellen Lage, an einer geographischen Verschiebung seines persönlichen Besitzes aus dem Hannoverschen ins Brandenburgische. Tempelberg im Kreis Lebus, Glienicke bei Potsdam und schließlich Quilitz (später Neuhardenberg) werden seine Erwerbungen in der Mark Brandenburg.

Die weiteren Details der Aktivitäten des Staatsmannes und Diplomaten von Hardenberg in unmittelbarer Nähe des Königs sind eine unschätzbare Quelle für den Fachhistoriker und Politikwissenschaftler.

Lesenswert für uns Buchliebhaber bleiben die Kommentare, die Schnipsel von den Reisen, die über Kunstwerke, Naturschönheiten, Theater, Glanz und Elend des nachnapoleonischen Europa erzählen. Dazwischen ein sehr moderner Satz: „Ich möchte in Venedig nicht wohnen, aber es einmal zu sehen, ist höchst merkwürdig.“ (S. 940)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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