Eine Rezension von Hans Hauser


Bildersturm an der Spree

Bernd Maether:
Die Vernichtung des Berliner Stadtschlosses
Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin 2000, 423 S.

Fünfzig Jahre ist es her, daß das Berliner Stadtschloß von bilderstürmerischen Eiferern dem Erdboden gleichgemacht wurde. Jahrzehntelang war das Thema in der DDR tabu, nur ungern erinnerte man sich daran, daß der wohl bedeutendste Schloßbau nördlich der Alpen, errichtet in 500 Jahren als Sitz von Kurfürsten, Königen und Kaisern, auf Befehl von SED-Chef Walter Ulbricht gegen den Protest namhafter Kunst- und Architekturhistoriker sowie Stadtplaner und Denkmalpfleger und übrigens auch gegen den Rat der „sowjetischen Freunde“ und in der eigenen Partei einer Tribüne und einem simplen Aufmarschplatz weichen mußte. Dies in einer Zeit, als in der Sowjetunion von deutschen Truppen zerstörte Zarenschlösser und in Warschau das von diesen bis auf eine Säule gesprengte Königsschloß detailgetreu rekonstruiert wurde. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin erinnert bis Ende 2000 im Märkischen Museum am Köllnischen Park mit der Sonderausstellung „50 Jahre Schloßsprengung - eine Spurensuche“ an die offiziell mit Geldmangel und fehlenden Bauleuten beziehungsweise Material begründete, in Wirklichkeit aber politisch motivierte Schleifung und zeigt neben Fotografien vor und nach der Zerstörung auch eine Reihe von Gutachten und Protestschreiben sowie Pläne zur Neubebauung des freigeräumten Areals. Außerdem sind Spolien zu sehen, die aus dem Trümmerschutt geklaubt worden waren und jahrzehntelang im Museumsdepot lagerten.

Zur Ausstellung erschien ein von dem Berliner Historiker Bernd Maether verfaßtes Buch, das den kommunistischen Bildersturm, der sich gegen den von den besten Architekten, Bildhauern, Malern, Tischlern und Stukkateuren ihrer Zeit gestalteten Hohenzollernbau richtete, anhand von Aussagen von Beteiligten beziehungsweise bisher unbekannten Dokumenten aus dem Bundesarchiv sowie aus Staats- und Stadtarchiven nachzeichnet und ihn im Zusammenhang mit weiteren Vernichtungsaktionen dieser Art wertet. Dargestellt wird anhand bisher unveröffentlichter und im Faksimile reproduzierter Aufzeichnungen, wie die SED-Führung und DDR-Regierung Proteste gegen den Abriß vom Tisch wischten mit dem Hinweis, Schuld an der Schleifung seien die Angloamerikaner, die das Schloß zerbombt hätten. Wenn schon eine Protestbewegung organisiert werde, „dann bitte gegen jene, die das Schloß durch ihren Bombenterror zerstört haben. Ich halte es nicht für möglich, daß die Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik die Millionen aufbringt, um das zerstörte Schloß wiederherzustellen. Architektonisch wertvolle Partien im Inneren des Schlosses, soweit sie den amerikanischen Bombenterror überstanden haben, werden in ein Museum überführt“, schrieb Walter Ulbricht dem Rundfunkjournalisten Helmut Räther. Entlarvend ist auch das, womit Ulbricht 1962, ein Jahr nach Errichtung der Mauer, den Abbruch der Schloßruine in Schwedt zu einem Zeitpunkt begründete, da bereits das Potsdamer Stadtschloß niedergelegt wurde und auch anderen historischen Gebäuden dieses Schicksal zugedacht war. „Worin besteht also die Frage, Genossen? Die Frage besteht doch darin, daß wir in unserer sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik außer an unseren Grenzübergängen keine Schlösser brauchen - ja? Und wenn wir schon Mauern benötigen, Genossen, dann keinesfalls Schlossmauern.“ Der Oberbürgermeister von Berlin (Ost), Friedrich Ebert, hielt 1950 Protestierern wie dem Kunsthistoriker Richard Hamann entgegen, „daß nicht die fortschrittlichen Kräfte es waren, die das ehemalige Schloß zerstörten, sondern daß wir jetzt nur die undankbare Aufgabe haben, die Trümmer zu beseitigen, besonders undankbar deshalb, weil manche Kreise die Schuld uns zuschieben, um von den wahren Urhebern der barbarischen Zerstörung abzulenken“. Denjenigen, die sich mit vielen guten Argumenten gegen den Abriß wandten und den Abriß gegen den auf mehrere Jahre verteilten Aufbau aufrechneten, wurde unterstellt, gemeinsame Sache mit dem Klassenfeind zu machen.

Maethers Dokumentation enthält eine kurze Baugeschichte des Schlosses, die Beschreibung der Kriegszerstörungen sowie der Sicherung und Nutzung der Ruine nach 1945. Die umfangreiche Chronologie der Vernichtung bietet viele unbekannte Einsichten auch über die Art und Weise, wie die SED-Führung die 2,5 Millionen Mark teure Sprengung einschließlich des Abtransports des Schutts forcierte. Außerdem werden Auslagerungsorte von Architekturteilen aufgelistet. Diese in Museen, aber auch auf Schutthalden liegenden Spolien sind wichtig für den vom Förderverein Berliner Stadtschloß geplanten, aber immer noch nicht von der Politik entschiedenen Wiederaufbau des Hohenzollernsitzes. Der Verein hofft, durch systematische Grabungen weiteres Material ans Tageslicht zu fördern. Ein Blick in die veröffentlichten Dokumente zeigt, daß man mit den ausgebauten Architekturteilen und Skulpturen, soweit sie auf Freilichtdepots landeten, wenig pfleglich umgegangen ist. Vorschläge von Denkmalpflegern, sie in einem gesicherten Lapidarium aufzubewahren, verschwanden in den Schubladen. Verdeutlicht werden unter anderem die Metamorphosen, die der maßgeblich an der Planung und Durchführung der Schloßvernichtung beteiligte, ursprünglich aus Königsberg kommende, wegen seiner „braunen“ Vergangenheit erpreßbare Denkmalpfleger Gerhard Strauß von einem, so Maether, mit Kompromissen lebenden Verantwortungsträger zu einem von allerhöchsten Bilderstürmern „umgedrehten“ Sprengmeister durchmachte. Interesse verdient der Hinweis, daß Strauß' Aufzeichnungen noch auf Auswertung warten. Das Buch vermittelt schließlich eine Übersicht über die Bebauungspläne des in Marx-Engels-Platz umbenannten Schloßplatzes, geht aber nicht auf die aktuelle Diskussion über den Wiederaufbau ein, der nach neuesten Berechnungen 1,2 Milliarden Mark kosten würde. Lediglich bemerkt Maether, im neuen Berlin gebe es die einmalige Chance, die Tat rückgängig zu machen. Künftige Generationen würden uns die Wiederherstellung der historischen Mitte Berlins als Gegengewicht zu den großen Quartieren der Moderne danken. Wie das „Neue Schloß“ aussehen soll und was mit dem inzwischen ausgeweideten Palast der Republik geschehen soll, muß man in anderen Veröffentlichungen zu diesem spannenden Thema nachlesen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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