Von Rezension von Walter Unze


Preußens Hauptstadt aus Sicht eines großen Dänen

Heinz Barüske:
Hans Christian Andersen in Berlin
hendrik Bäßler verlag, Berlin 2000, 152 S.

Das handliche, reich bebilderte und auf gutem Papier gedruckte Buch, als Band 3 in der Reihe Im Spiegel der Zeit erschienen, hält nicht nur, was der Titel verspricht. Es beschreibt nicht nur die verschiedenen Besuche von Andersen in Berlin; es trägt vielmehr über weite Strecken die Züge einer kulturgeschichtlichen Betrachtung über die preußische Hauptstadt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und es ist eine - wenn in Teilen auch nur skizzenhafte - Biographie des dänischen Dichters.

Der Berliner Skandinavist Heinz Barüske nutzt seine detaillierten Informationen über die Berlinaufenthalte von Hans Christian Andersen in den Jahren 1831, 1834, 1844 und 1845/46, um Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens sowie Berliner Örtlichkeiten vorzustellen. So entstehen kleine Lebens- und Sittenbilder aus dieser Zeit. Dazu gehören die Abschnitte über Andersen und die Gebrüder Grimm, Bettina von Arnim, aber auch die Skizze über den Verleger Moses Simion. Ausführlich werden die freundschaftlichen Beziehungen zu Adelbert von Chamisso beschrieben.

Interessante Einblicke erhält man durch die Sichtweise Andersens auch in die Berliner Literarische Gesellschaft, das Theaterleben in der preußischen Haupstadt und nicht zuletzt in das höfische Leben. Man erlebt in den Begegnungen zwischen Andersen und der von ihm angebeteten schwedischen Sängerin Jenny Lind die persönlichen Gefühle des Dichters ebenso mit wie die Freude über seinen ersten Orden, der ihm vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. verliehen wurde. Nicht zuletzt wird durch die Darstellungsweise Barüskes sichtbar, welch internationales Leben damals in Berlin herrschte.

Neben den Berlinaufenthalten werden Andersens Leben in der dänischen Heimat und seine 29 Reisen durch ganz Europa teilweise recht ausführlich beschrieben. „Man kann wohl mit Recht sagen, daß Andersen eine der wenigen Persönlichkeiten war - vielleicht sogar die einzige -, die so viele europäische zeitgenössische Dichter und Künstler persönlich kennengelernt hatte.“ (S. 80)

Das Buch geht auch auf die dichterischen Leistungen des Dänen ein, natürlich auf die etwa 150 Märchen, die ihn weltberühmt werden ließen, aber auch auf seine Gedichte, auf seine dramatischen Arbeiten, seine Reisebücher und nicht zuletzt auf seine sechs Romane. Viele dieser Arbeiten erschienen nach ihrer Veröffentlichung in Dänemarks zum erstenmal in deutscher Sprache, oft sogar in Berlin. Und die meisten dieser Übersetzungen fanden in Berlin ungeteiltes Lob, während Andersen in seiner Heimat nicht selten hart kritisiert wurde, so zum Beispiel von dem noch jungen Sören Kierkegaard.

Barüske nutzt als Quellen für seine Darstellung vor allem die Reisebücher, die Tagebücher und den Briefwechsel von Andersen. Dadurch erreicht er zeitgenössische Authentizität. So stellt denn diese Arbeit eine interessante Ergänzung zur Kulturgeschichte der preußischen Hauptstadt im 19. Jahrhundert dar.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite