Eine Rezension von Eberhard Fromm


Preußen pro und contra

Kenneth Attwood: Fontane und das Preußentum
Baltica-Verlag Oliver Bruhns, Flensburg 2000, 361 S.

Daß eine Dissertation, die vor dreißig Jahren gedruckt wurde, heute noch einmal erscheint, und zwar ohne eine Überarbeitung - weil der Autor in der Zwischenzeit eine andere Entwicklung genommen hat und heute ein Übersetzerbüro betreibt -, das ist wohl nur möglich, weil das Thema so eindeutig zum Preußenjahr 2001 paßt. Der Kanadier Kenneth Attwood (* 1930), der die vorliegende Dissertation 1969 in Hamburg verteidigte, sieht in der unveränderten Neuauflage auch ein Zeugnis der Fontane-Forschung in den 60er Jahren. In seinem Vorwort macht er nur auf ein inhaltliches Problem aufmerksam: Er möchte seine bisweilen scharfe Kritik von damals an der Fontane-Forschung in der DDR modifiziert wissen.

Das Buch ist tatsächlich auch heute noch lesbar, obwohl - oder weil (?!) - es alle Merkmale einer schnell zur Veröffentlichung vorbereiteten Dissertation trägt; allein der Apparat - Anmerkungen, Literaturverzeichnis, Register - umfaßt 130 Seiten. Der große Vorzug besteht in den ausführlichen Belegen, die der Autor aus den unterschiedlichen Schriften Fontanes anführt: aus seinen Romanen, seinen autobiographischen Veröffentlichungen, seinen historischen und politischen Arbeiten, seinen Briefen. So bietet das Buch eine ausgezeichnete Sammlung vieler direkter Positionen des Dichters zu Preußen. Ob und wieweit man mit den Interpretationen Attwoods einverstanden ist, bleibt dem Leser überlassen. Attwood wendet sich sowohl dagegen, daß Fontane als ein Verherrlicher Preußens vereinnahmt wird, aber auch gegen seine Kennzeichnung als Gegner des Preußentums. Er möchte einen Mittelweg einschlagen, ohne daß daraus ein nichtssagender Kompromiß wird.

Die Untersuchung ist in zwei große Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil geht es um die Entwicklung des politischen Denkens Fontanes, wozu der Autor das Leben Fontanes von seiner Herkunft und Kinderzeit bis zur Reichsgründung verfolgt. Einen besonderen Stellenwert mißt er den Englandaufenthalten bei, die nach Ansicht des Autors entscheidenden Einfluß auf das politische Denken Fontanes hatten. Charakterisiert werden die Wendungen Fotanes im Zusammenhang mit der Revolution von 1848, seine Auffassung zur Einheit Deutschlands („Jeder andere Staat kann und mag in Deutschland aufgehen; gerade Preußen muß darin untergehen“, vgl. S. 62) und seine Hoffnungen, die er in das Bürgertum als die sicherste Stütze des Staates und den eigentlichen Träger aller Kultur und des Fortschritts setzt.

Im zweiten Teil wird dann ausführlich die Stellung Fontanes zu Preußen und zum Preußentum beschrieben. In drei Kapiteln geht es um das Verständnis der preußischen Geschichte, um die Stellung zur preußischen Gesellschaft und ihren verschiedenen Gruppierungen (Hohenzollern, Adel, Bürgertum, vierter Stand; dabei werden innerhalb des Bürgertums auch die Juden, die Pfarrer und die Lehrer gesondert behandelt), schließlich um die kritische Auseinandersetzung Fontanes mit Preußen. Bei den verschiedenen einzelnen Problemfeldern werden die widersprüchlichen, manchmal sogar gegensätzlichen Positionen Fontanes aufgezeigt, die in ihrer Mehrzahl als entwicklungsbedingt charakterisiert werden, wie zum Beispiel die Wandlung in der Haltung zum Adel von einer gewissen Verehrung bis zur vernichtenden Kritik. Der Autor sieht es als einen wesentlichen Chrakterzug Fontanes an, unterscheiden zu können, „das Gute vom Schlechten zu trennen, das Bewahrenswerte der Überlieferung zäh zu verteidigen und gleichzeitig das Überlebte ebenso vehement zu verdammen und zu verwerfen“. (S. 128) Das zeigt sich bei der hohen Wertung des Bürgertums einerseits und der scharfen Kritik am Bourgeois mit seiner „Geldsackgesinnung“ andererseits. Besonders deutlich wird das differenzierte Herangehen Fontanes in seiner Unterscheidung vom wahren Preußentum mit seinen achtens- und erhaltenswerten Traditionen und Tugenden auf der einen Seite und dem Borussismus als dem Sammelbegriff für alles Kritikwürdige auf der anderen Seite.

Im abschließenden Resümee ist gerade dieses Verhältnis von Altem und Neuem die zentrale Aussage. Es wird betont, daß Fontane keineswegs ein kritikloser Verherrlicher des Preußentums war, daß er aber auch nicht bereit war, Preußen einfach zu verdammen: „Altpreußische Haltung in einer modernen, vorwärtsgerichteten politischen und sozialen Umgebung war sein Wunschtraum. Daß ihm dieser Traum nicht in Erfüllung ging, lag an der nach seiner Meinung verfehlten politischen, sozialen und, ja, auch sittlichen Entwicklung im Zweiten Reich.“ (S. 226)

In seiner Einleitung von 1970 wies Attwood darauf hin, daß es in Deutschland dieser Jahre sowohl eine Renaissance zu Preußen als auch zu Fontane gab. Das scheint sich nach dreißig Jahren - im Zusammenhang mit dem 100. Todestag von Fontane 1998 und dem 300. Jahrestag des Königreichs Preußen 2001 - zu wiederholen. Es bleibt nur zu hoffen, daß es nicht bei einer einfachen Wiederholung, einem Wiederaufbereiten von bereits Vorhandenem - wie im Falle dieses Buches - bleibt, sondern daß es zur dauerhaften Belebung der Themen und zu neuen Einsichten kommt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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