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Kathrin Chod

Königsberg - Kaliningrad
Rückkehr der Geschichte

„Friedrich III. ließ sich eigentlich nur durch den äußeren Glanz des Königtums bestechen. Aber das, was er eigentlich seiner Eitelkeit verdankte, stellte sich später als ein staatsmännisches Meisterstück heraus: Mit dem Königtum schüttelte das Haus Brandenburg das Joch ab, in welches Österreich alle Fürsten Deutschlands gezwungen hatte. Er warf seinen Nachkommen einen lockenden Bissen hin, der zu sagen schien: Hier ist ein Titel, zeigt euch seiner würdig; ich habe eure Größe begründet, vollendet nun dies Werk!“ So beschrieb Friedrich der Große die Gründe und die Folgen des denkwürdigen 18. Januar 1701. An diesem Tag hatte sich Kurfürst Friedrich III. im Audienzsaal von Schloß Königsberg eigenhändig die Königskrone aufs Haupt gesetzt und war somit als Friedrich I. erster preußischer König geworden.

Königsberg in Preußen - ein Ort, der so untrennbar mit der preußischen Geschichte verbunden ist, daß die Betrachtungen zum Preußenjahr nicht an der Stadt am Pregel vorbeikommen können. Die Stadt geht auf eine Gründung des Deutschen Ritterordens zurück. 1255 errichtete der Orden aus Anlaß eines Feldzuges gegen die heidnischen Pruzzen eine Burg und nannte sie zu Ehren eines seiner Anführer, des Böhmenkönigs Ottokar II., Königsberg. In dem nach 1387 gebauten Schloß von Königsberg residierten die Hochmeister des Deutschen Ordens und nach der Reformation und der Umwandlung des Ordensstaates in das weltliche Herzogtum Preußen auch die Herzöge des Landes. Hier wurde Friedrich III. geboren, was den Dichter Bödecke zu dem Sinnspruch verleitete: „Königsberg heißt die Geburtsstadt des Prinzen Friedrich; was folgt draus? Musen kündet es laut: König wird Friedrich uns sein.“ 1808/09 war Königsberg wieder Hauptstadt Preußens, von hier ging die Reform des preußischen Staates aus, u. a. durch den Erlaß der Städteordnung am 19. November 1808. Von Königsberg leitete General Yorck am 5. Februar 1812 mit seinem Aufruf zur Volksbewaffnung die Erhebung gegen Napoleon ein, und schließlich wurde in der Stadt am 2. Januar 1861 der spätere erste deutsche Kaiser Wilhelm I. zum preußischen König gekrönt.

Ein Sinnbild für den Untergang des Staates Preußen 1945 wurde der Verlust der ehemaligen Residenzstadt. Königsberg ging mitsamt des nördlichen Ostpreußens an die UdSSR, 1946 erhielt die Stadt den Namen des im gleichen Jahr verstorbenen sowjetischen Staatsoberhaupts Michail Kalinin, und 1947/48 erfolgte die Zwangsaussiedlung der letzten Deutschen. Heute gehört das Kaliningrader Gebiet als Exklave und wirtschaftliche Sonderzone zur Russischen Föderation. Wer im Jahr 2000 Kaliningrad besucht, kommt nicht an der russisch/sowjetischen Prägung der Stadt seit 1945 vorbei. In der Industrie- und Hafenstadt leben jetzt mit ca. 430 000 Einwohnern mehr Menschen als vor dem Krieg. Hatten die aus allen Teilen der Sowjetunion hier Angesiedelten noch keinen Bezug zu der Stadt am Pregel, ist jetzt eine Generation herangewachsen, die in diesem Ort ihre Heimat sieht. Mittlerweile hat auch Kaliningrad seine prominenten Bürger, so kommen drei Kosmonauten aus der Stadt, darunter Alexej Leonow, der erste Mensch, der sich frei im Weltall bewegte. Die Frau des russischen Präsidenten Ludmila Putina stammt ebenfalls aus Kaliningrad.

Wer in die Stadt kommt und das alte Königsberg sucht, findet zunächst nicht allzu viel. In nur zwei Nächten, am 26./27. und 29./30. August 1944, waren durch angloamerikanische Bombenangriffe Altstadt, Löbenicht und Kneiphof in Schutt und Asche gefallen. So erinnert nichts mehr an die drei Städte, die ihr Stadtrecht 1292, 1300 bzw. 1327 erhielten und erst 1724 vom Soldatenkönig zu Königsberg zusammengeschlossen worden waren. Aber nach 1945 hatten die neuen Einwohner anderes im Sinn als Stadtgeschichte. So wurde auch 1968 die Schloßruine trotz der Proteste einiger Intellektueller abgerissen. Heute erhebt sich an dieser Stelle eine riesige Bauruine - ein Haus der Sowjets sollte hier entstehen. Auf der Insel des Kneiphofs blieb von der ehemals dichten Bebauung lediglich die Ruine des nach 1333 erbauten Doms stehen, den Rest der Dominsel nimmt heute eine Parkanlage ein. Gesäumt ist das freigeräumte Gebiet von verwahrlosten Neubauten. Wer sich weiter umschaut, wird noch einiges entdecken, was erhalten ist: die Ortsteile Hufen, Amalienau und Maraunenhof, mehrere Kirchen, alle Bahnhöfe, die Stadttore und die Bastionen. Zudem begegnet man gerade in den letzten Jahren Veränderungen, die auf eine Besinnung auf die Geschichte der Stadt und des Gebietes hindeuten. Da sind kleine Zeichen wie Cafés mit den Namen Zum Schloß, Königsberg oder Stadthalle (in der wiederaufgebauten alten Stadthalle am Schloßteich). Ein Busunternehmen nennt sich Königauto, mit Bezug auf den früheren Namen der Stadt. In der Nähe von Kaliningrad entstanden deutsche Soldatenfriedhöfe und -gedenkstellen, so in Pillau, Fischhausen, Groß-Germau und Trakehnen. Viele Kaliningrader möchten der Stadt wieder ihren alten Namen geben und gerade Jugendliche betonen, sie seien aus „Kenig“. Mittlerweile erscheint auch eine deutschsprachige Zeitung in Kaliningrad - der „Königsberger Express“. Mit Unterstützung der Kirchen in Deutschland entstanden eine evangelische Kirche auf dem ehemaligen Luisenfriedhof und eine katholische Kirche in der Nähe des Litauer Walls. Beide betreuen seelsorgerisch die ca. 6000 rußlanddeutschen Zuwanderer, leisten aber vor allem eine immense karitative Arbeit mit der Einrichtung von Suppenküchen und der Versorgung von Straßenkindern. Die Restaurierung des Domes, der künftig als Kulturzentrum dienen soll, schreitet voran. Seit 1998 hat er wieder ein Dach, und im Inneren ist der Turm bereits ausgebaut. Man erinnert an bekannte Königsberger Persönlichkeiten, so erschienen über Immanuel Kant, Herzog Albrecht und Agnes Miegel Bücher in deutsch und russisch.

Einen wichtigen Beitrag zur Veränderung des Geschichtsbewußtseins leistet die 1967 gegründete Staatliche Universität von Kaliningrad, die in dem wiederaufgebauten „neuen Universitätsgebäude“ arbeitet. Herzog Albrecht (1490-1568) hatte 1544 die erste Königsberger Universität gegründet, die nach ihm später Albertina genannt wurde. Ein Gedenkstein mit zweisprachiger Inschrift ist dem ersten Sitz der Universität am Dom gewidmet. Nachdem sich die Kaliningrader Uni lange Zeit nicht als Nachfolger der Albertina gesehen hatte, kann man sie jetzt im Internet unter der Adresse www.albertina.ru. (!) erreichen. 1999 erhielt Marion Gräfin Dönhoff für ihren Beitrag zur russisch-deutschen Annäherung als erste Ostpreußin die Ehrendoktorwürde der Kaliningrader Universität, und seit einigen Jahren verweist man hier stolz auf die berühmten Persönlichkeiten, die einst hier wirkten, an erster Stelle natürlich auf Immanuel Kant.
Gedenktafel für Kant
Wenn es überhaupt eine Kontinuität in der Stadt gibt, dann ist das sicherlich die Beziehung zu ihrem größten Sohn. Immanuel Kant (1724-1804) war bereits nach dem ErstenWeltkrieg im Zusammenhang mit den Ehrungen zu seinem 200. Geburtstag 1924 geradezu zum Leitbild für das abgeschnittene Ostpreußen erkoren worden. So beschrieb denn auch eine Zeitung die Königsberger Feier in dieser „bedrängten und gequälten Zeit“ als Huldigungszug Deutschlands, Europas, ja der Welt vor Königsbergs größtem Sohn, der zu einem Genius der Menschheit geworden sei. Bei dieser Feier wurde auch das vom Königsberger Architekturprofessor Friedrich Lahrs errichtete neue Kant-Grab eingeweiht: Eine offene Pfeilerhalle am Dom mit einem steinernen Sarg (Kenotaph) über dem Grab Kants ersetzte eine baufällig gewordene Grabkapelle, in die die Gebeine Kants 1881 umgebettet worden waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Kant erst einmal der einzig akzeptierte Deutsche der Stadt. Seit dieser Zeit ist es Tradition, daß Brautpaare ihre Blumen am Grab des großen Philosophen niederlegen. 1974 fand der erste Kant-Kongreß in Kaliningrad statt und gleichzeitig
öffnet ein Kant-Museum an der Universität. Kant war zudem quasi zum Retter des Doms geworden. Als die sowjetische Führung beschließt, den „hohlen Zahn“ abzureißen, können die Kaliningrader die Sprengung mit dem Argument verhindern, daß damit das Grab eines wichtigen Vordenkers des Marxismus zerstört werden würde. So scheint es geradezu als logische Folge, daß im Westturm des Domes seit 1998 das Kant-Museum seinen Platz fand. Kant begegnet man jetzt auch wieder an anderen Stellen der Stadt, so steht seit 1992 eine Nachbildung des Rauchschen Kant-Denkmals vor der Universität und ungefähr an der Stelle, wo sich vor dem Krieg an der Zyklopenmauer des Schlosses eine Gedenktafel für Kant befand, erinnert heute am Leninprospekt eine Tafel in deutsch und russisch an den Philosophen.

Schließlich gibt es noch ein kleines unscheinbares Häuschen am Pobjedaprospekt, das heute den Touristen von Kaliningradern gern auch mal als Kant-Haus angepriesen wird. An diesem Ort, im früheren Moditten, verbrachte Kant als Gast des Oberförsters Worbser manchen Sommertag. Wie alle Wohnhäuser Kants, so ist auch das Försterhaus nicht mehr vorhanden. Das heutige „Kanthäuschen“ hat aber auch Bezug zum großen Philosophen. Das Kantmuseum informiert, daß hier die Altertumsgesellschaft Prussia 1924 eine Gedächtnisstätte eröffnete, gegenüber der Stelle, an der das Försterhaus stand. Fritz Gause schreibt dagegen in Kant und Königsberg, daß die Stadt das Kanthäuschen 1929 herrichten ließ und als Gedächtnisstätte zugänglich machte.

Bei anderen Königsberger Dichtern und Denkern fällt die Spurensuche jedoch wesentlich schwerer. Phantasie und Literatur helfen da weiter. Von Nikolaus von Jeroschin ist weder das Geburtsjahr noch das Todesjahr bekannt, nachweislich war er von 1326-1329 als Komtur in Königsberg. Er schrieb hier über das Leben des Heiligen Albert und übersetzte im Auftrag des Hochmeisters des Deutschen Ordens die Chronicon terrae Prussiae aus dem Lateinischen ins Deutsche. Darüber hinaus verfaßte Jeroschin eine Kronike von Pruzinlant (Deutschordenschronik), von der 20 Handschriften und Fragmente bekannt sind. Aus ihr wissen wir auch, warum der Orden die Pruzzen schlagen konnte - „der Pruzze war zu lax, weil er nicht wußte, daß die Deutschen so schnell sind.“ (Ein teilweiser Nachdruck erschien 1993 bei Nicolai).

Einer der ersten Lehrer der Universität, die über die Grenzen Königsbergs hinaus bekannt wurden, war der bedeutende Reformator Andreas Osiander (1496?-1552). Er gewann durch seine Predigten Markgraf Albrecht von Brandenburg für die Reformation. 1549 ruft ihn Herzog Albrecht als Prediger an die Altstädter Kirche, zudem wird Osiander erster Theologieprofessor der Universität und schreibt das Vorwort zu De revolutionibus orbium coelestium libri VI (Über die Umdrehungen der Himmelskörper) von Nikolaus Kopernikus (1473-1543). Osiander versucht damit das wissenschaftliche Weltbild mit den Fragen des Glaubens in Übereinstimmung zu bringen. Lange Zeit wurde dieser Text Kopernikus selbst zugeschrieben, der als Astronom, Mediziner und als Domherr im nahen Frauenburg wirkte und als Arzt auch Königsberg besuchte.

An Simon Dach (1605-1659) erinnert heute wieder ein Reliefbild in der Universität, der Dichter war mehrmals Dekan und 1656 auch Rektor der Albertina. Er schuf ein immenses Werk von 1200 deutschen und 259 lateinischen Gedichten und zwei Singspiele. Dach schreibt vor allem für Hochzeiten, Begräbnisse, Jubiläen und Besuche hoher Würdenträger. Seine Gedichte und Lieder sind seinerzeit so populär, daß auch Kurfürst Friedrich Wilhelm mehrere auswendig kennt. Offenbar gefielen sie ihm so gut, daß er dem Dichter ein kleines Landgut schenkte. Dach ist zugleich der bedeutendste Vertreter des Königsberger Dichterkreises. Eine Runde von Freunden um Heinrich Albert, Andreas Adersbach, Georg Mylius, Christoph Kaldenbach, Jonas Daniel Koschwitz, Robert Roberthin und Johann Peter Titz, die sich zu Lesungen und musikalischen Darbietungen oder einfach nur zum Gedankenaustausch versammeln. Ort der Treffen war oft das Gärtchen des Komponisten und Domorganisten Albert, die Kürbishütte, die auch der Liedersammlung ihren Namen gibt. Albert vertonte viele der Gedichte seiner Freunde. „Ännchen von Tharau“, das oft auch Simon Dach zugesprochen wurde, schrieb er wahrscheinlich selbst.

Die Wirren aller Kriege überstand die aus dem 13. Jahrhundert stammende, älteste Steinkirche des Samlandes in Juditten (heute Teil von Kaliningrad). Hier war der Vater Johann Christoph Gottscheds (1700-1766) Pfarrer. Eigentlich hatte er seinem Sohn eine ähnliche Laufbahn zugedacht, doch Johann Christoph läßt sich 1714 zwar für die Theologie an der Albertina einschreiben, seine Interessen gelten aber bald anderen Fächern. Philosophie, Mathematik, Physik, klassische Philologie, Poesie und Rhetorik studiert das Multitalent und verteidigt vier Dissertationen. 1724 muß er seine Lehrtätigkeit an der Universität beenden und aus der Stadt flüchten, da die Werber des Soldatenkönigs eine andere Karriere für ihn im Blick hatten. Für Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) wird die Königsberger Universität ebenfalls der Ort, an dem er zu seiner Berufung als Dichter findet. 1768 beginnt er auf Wunsch seines Vaters ein Theologiestudium. Es ist niemand Geringeres als Immanuel Kant, der mit seinen Vorlesungen den Sinneswandel von Lenz fördert. 1770 dichtet Lenz dem verehrten Lehrer eine Ode, in der es zum Abschluß heißt: „Ihr Söhne Frankreichs! schmäht denn unser Norden, / Fragt ob Genies je hier erzeuget worden: / Wenn Kant noch lebet, werdt ihr diese Fragen / Nicht wieder wagen.“ In Königsberg erscheint auch sein religiöses Versepos Die Landplagen. Als sein Vater von ihm verlangt, eine Stellung in Livland anzunehmen, kehrt er 1770 der Stadt den Rücken.

Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) ist zunächst nicht so begeistert von Kant, als er 1791 nach Königsberg kommt. Sein Vortrag wirkt auf ihn eher schläfrig, dennoch schickt er ihm seinen Versuch einer Kritik aller Offenbarungen. Als Fichte daraufhin in näheren Kontakt zu dem berühmten Philosophen kommt, findet er ihn sehr angenehm und geistreich. Kant schlägt ihm vor, sein Manuskript beim Buchhändler Hartung zu veröffentlichen. Als es dann erscheint, vermutet die Öffentlichkeit Kant als den anonymen Verfasser des religionsphilosophischen Werkes. Kant deckt das Mißverständnis auf, womit Fichte auf einen Schlag berühmt wird und schließlich einen Lehrstuhl in Jena erhält. Im Kant-Museum erinnern heute Büsten an Fichte, wie auch an Johann Gottfried Herder (1744-1803), der fast dreißig Jahre vor Fichte, 1762, nach Königsberg kommt. Kant läßt ihn kostenlos seine Vorlesungen in Philosophie, Mathematik und Physischer Geographie besuchen. Herder unterrichtet am Collegium Fridericianum, einer Einrichtung, zu deren Schülern einst Kant gehört hatte. Noch bevor er 1764 nach Riga übersiedelte, schreibt er einen Versuch über das Seyn, das Fragment einer Abhandlung über die Ode, und beginnt den Versuch einer Geschichte der lyrischen Dichtkunst.

Als er die Stadt verläßt, begleitet ihn sein Freund Hamann, der ihn mit der englischen Sprache und Literatur vertraut gemacht hatte, vor das Roßgärter Tor. Zwischen beiden wird eine reger Briefwechsel bestehenbleiben, und Herder geht als der Gedankenerbe Hamanns in die Geschichte ein. Eichendorff schreibt über diese Beziehung: „Denn was Hamann ahnend oft ganz formlos hinwarf, hat Herder mit erwärmender Empfänglichkeit aufgenommen, nach dem Bedürfnis der Zeit formuliert und in die große Welt eingeführt.“ Johann Georg Hamann (1730-1788), der in Königsberg geboren wurde, verbringt den größten Teil seines Lebens hier. Von seinen Schriften kann er nicht leben, also arbeitet er als Hauslehrer, in der Kriegs- und Domänenkammer, in der Zollverwaltung, zuletzt als Packhofverwalter. Zu Hamanns Königsberger Freundeskreis gehört auch Kant, was ihn nicht hindert, ein erklärter Gegner der Aufklärung zu sein. Seine Schriften, in denen er den Irrationalismus des Lebens hervorhob und eine Glaubensphilosophie vertritt, verfaßt er ganz bewußt in einem für die meisten Leser nur schwer verständlichen Stil. So enthält manche Zeile bis zu vier Anmerkungen ... „weil ich mit mancherley Zungen mich ausdrücke, und die Sprache der Sophisten, der Wortspieler, der Creter und Araber, der Weißen und Mohren und Creolen rede, Critick, Mythologie, rebus und Grundsätze durcheinander schwatze“. Seinen Beinamen „Magus des Nordens“ erhielt er von Karl Friedrich Moser, als „einer, der den Stern gesehen hat“, später wurde damit aber vor allem sein dunkler prophetischer Stil charakterisiert. Goethe unterstützte die Herausgabe von Hamanns Schriften, und Friedrich Schlegel bezeichnete ihn als „vielleicht den originellsten, unstreitig aber einen der tiefsinnigsten und gelehrtesten“ Schriftsteller. Die neueste Ausgabe von Hamanns Sämtlichen Werken in 6 Bänden erschien 1999 bei Brockhaus.

Seinen Versuch einer Sibylle über die Ehe verfaßt Hamann 1775 als Gegenstück zu dem Traktat Über die Ehe, das im Jahr zuvor anonym erschienen ist. Hamann meint hierin, daß er dessen Autor, einem „witzigen Kauz seines Vaterlandes“ nicht nachbuhlen wolle. Erst viel später erfährt er, daß dieser Kauz sein Freund Theodor Gottlieb von Hippel (1741-1796) ist. Hippel hatte in Königsberg erfolgreich Karriere gemacht und es zum Ersten Bürgermeister und Polizeidirektor der Stadt gebracht. Einen „Plan- und Zentralkopf“ nennt ihn sein Freund Kant, und Hippel revanchiert sich mit der auf Kant und den Ökonomen Kraus gemünzten Bemerkung: „Vortreffliche Gelehrte, achtungswerte Männer, aber nicht fähig, ein Land, ein Dorf, ja nur einen Hühnerstall zu regieren, nicht einen Hühnerstall.“ Hippel führt ein Doppelleben, denn neben seiner geachteten Amtstätigkeit verfaßt er anonym Lustspiele, geistliche Lieder und moralisch-philosophische Schriften. Zu seiner Doppelnatur gehört, daß er Lustspiele schreibt wie „Der Mann nach der Uhr, oder der ordentliche Mann“ ( 1765) und den humoristischen Roman Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z (1793/94), aber im Privatleben oft in schwere Melancholie versinkt und zum Hypochonder wird. Zugleich legt er einen Privatfriedhof an, spricht so oft wie kein anderer Schriftsteller vom Tod und hat dabei eine panische Todesangst. Seinen Entwicklungs- und Bildungsroman Lebensläufe in aufsteigender Linie beendet er 1781 mit dem Satz: „So wie ich meinen Tod wünsche, so plötzlich nehm ich Abschied!“ - Auszüge des 2300 Seiten Werkes erschienen 1990 bei Nicolai unter dem Titel Und nun in Königsberg! - Da Hippel nie heiratete, konnte er wohl auch unbefangen und geistreich Über die Ehe schreiben. Günther de Bruyn brachte 1979 eine Neuauflage der Schrift im Buchverlag Der Morgen heraus. Hippel veränderte sein erfolgreichstes Buch von Auflage zu Auflage. Versammelte sein erstes Traktat in recht witziger Form so ziemlich jedes Vorurteil über Frauen und die gängigen Normvorstellungen über die Ehe: „Den Männern kommt das Regiment zu, und jeder Ehemann ist Justitiarus in seinem Hause.“, heißt es in der 4. Auflage von 1793: „Wenn den Männern die Herrschaft im Hause zusteht, so kommt der Frau die Regierung zu; ist der Ehemann Präsident der Haus-Justiz, so ist sie Polizeipräsident.“ Aus einem Frauenverächter war ein Vorkämpfer der Frauenemanzipation geworden. So fordert er auch in seiner Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber 1792 für Frauen die gleichen Rechte wie für Männer. Welchen Stellenwert Hippels Romane seinerzeit besaßen, zeigen Äußerungen von Hegel und Jean Paul. Für den einen war er der „vorzügliche deutsche Humorist, für den anderen ein „Held des Witzes“. Hippels Palais, eines der schönsten Häuser Königsbergs, wurde im Krieg zerstört, sein Grab verschwand nach 1945 mit dem gesamten Neuroßgärter Friedhof, dem sogenannten Gelehrtenfriedhof. Ein Neffe von Hippel verfaßte übrigens den Aufruf Friedrich WilhelmsIII. „An mein Volk“ vom 17. März 1813 und war Schulfreund von E.T.A. Hoffmann.

In einem Haus in der Junkergasse war Ernst Wilhelm Theodor Hoffmann (1776-1822), der sich aus Verehrung für Mozart, Ernst Theodor Amadeus nannte, zur Welt gekommen. Sein Vater, Anwalt am preußischen Hofgericht, verabschiedet sich schon zwei Jahre später von seiner Familie, erzogen wird Theodor von seinem Onkel. 1792 beginnt er ein Studium der Rechte und widmet sich dann dem Zeichnen, der Dichtung, der Komposition und Dora („Cora“) Hatt, einer unglücklich verheirateten Enddreißigerin. Damit macht er sich „unmöglich“, und als auch noch seine Mutter stirbt, hält ihn nichts mehr, 1796 tritt er eine Stelle in Glogau an. Ein Findling mit Bronzetafel erinnert heute an den romantischen Dichter, dessen Wohnhaus in der Französischen Straße im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.

Ebenfalls ein Opfer der Bomben wurde das Kleisthaus in der Löbenichter Langgasse, in dem Heinrich von Kleist (1777-1811) von 1805 bis 1807 wohnte. Er war am 6. Mai 1805 nach Königsberg als Praktikant der Domänenkammer gekommen und hatte die Empfehlung des Fürsten Hardenberg in der Tasche, was ihm natürlich die Türen der Königsberger Gesellschaft öffnet. Um sich die nötigen Kenntnisse für eine höhere Beamtenlaufbahn zu erwerben, beginnt er, an der Universität Kameralwissenschaft zu studieren. Er hört die Vorlesungen von Christian Jacob Kraus (1753-1807), seinerzeit der führende Finanz- und Staatswissenschaftler in Preußen und Theoretiker der Hardenbergischen Reformen. So richtig Spaß macht dem Dichter die Arbeit wohl nicht. Er kränkelt und verbringt fünf Wochen Kur in Pillau. Aber er fängt an, Erzählungen zu schreiben. Kleist beginnt hier den „Michael Kohlhaas“ und beendet den „Zerbrochenen Krug“. Auch „Penthesilea“ und „Amphitryon“ entstehen in dieser Zeit. Schließlich gibt er die Beamtenlaufbahn auf, und im Januar 1807 bricht er zu Fuß nach Berlin auf. Zur gleichen Zeit wie Kleist besucht ein junger Poet die Kameralistikvorlesungen, dessen Leben ein ähnlich frühes Ende nehmen sollte. Max von Schenkendorf (1783-1817) wurde in Tilsit (heute Sowjetisk) geboren, woran eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus erinnert. Schenkendorf blieb nach dem Studium in Königsberg und war bis 1812 hier im Staatsdienst tätig. 1807 gibt er in der Stadt die Monatsschrift „Vesta“ heraus, die durch die Berliner Zensur verboten wird. Nach einem Duell 1809 bleibt seine rechte Hand gelähmt, was ihn nicht hindert, sich weiter für den Kampf gegen Napoleon einzusetzen. Noch in Königsberg erscheinen 1810 die „Freiheitsgesänge“. Zu seinen berühmtesten Gedichten zählen „Die Freiheit die ich meine“ und „Wenn alle untreu werden“. Schenkendorf stirbt an seinem 34. Geburtstag in Koblenz.

Einen anderen romantischen Dichter führt ebenfalls der Staatsdienst in die Stadt am Pregel. Als Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857) im Jahre 1824 sein Amt in Königsberg antritt, hat er sein Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts bereits geschrieben. Als Schul- und Kirchenrat soll er nun in einer Provinz wirken, die - wie sein Vorgesetzter, der Chef des Kultusministeriums Freiherr von Altenstein so feinsinnig formulierte - „des Lichtes der Erkenntnis und Erwärmung für alles Gute teilweise noch sehr bedürftig ist“. Ob Eichendorffs Wirken in dieser Hinsicht erfolgreich war, ist fraglich, literarisch bringt er hier jedenfalls nichts Rechtes zustande. Vergessen sind heute die Dramen „Meierbeths Glück und Ende“ sowie „Ezelin von Romano“ und das Trauerspiel „Der letzte Held von Marienburg“. Ezelin wird immerhin noch am Königsberger Theater aufgeführt, aber das war wohl dann auch der einzige Lichtblick. 1831 geht der Dichter wieder nach Berlin. In seinem Wohnhaus Lange Reihe 4 befand sich später das erste Bernsteinmuseum, das Haus wurde ebenfalls im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Ein wesentlich kürzeres Intermezzo erlebt Richard Wagner (1813-1883) in der Stadt. Am 7. Juli 1836 reist der eifersüchtige Komponist der Schauspielerin Minna Planer nach, die ein Engagement in Königsberg angetreten hatte. Am 24. November 1836 heiraten sie in der kleinen Kirche von Tragheim, nachdem sich der Bräutigam in den Heiratspapieren ein Jahr älter und sie sich vier Jahre jünger auf 23 retuschiert hatte. Sie wohnen in einer kalten Wohnung am Steindamm/Monckenstraße und leiden unter Geldmangel. Der künstlerische Ertrag dieser Zeit war nicht allzu bedeutend, bemerkenswerter sind die Eifersuchtszenen des jungen Paares, woran sich auch nichts ändert, als Wagner im April 1837 Musikdirektor in Königsberg wird. Minna geht mit einem Freund durch, und der junge Ehemann verläßt - ihr auf der Spur - schon im Juni die Stadt. Heute ist die Wagnerstraße eine der wenigen Straßen Königsbergs/Kaliningrads, die noch ihren historischen Namen tragen.

Zu den umstrittensten Königsberger Dichtern gehören Ernst Wiechert (1887-1950) und Agnes Miegel (1879-1964). Wiechert, der bis 1929 in der Stadt lebte und hier am Hufengymnasium unterrichtete, wurde erst für einen Sympathisanten der Nationalsozialisten gehalten. Hierfür sprach sein Roman Der Totenwolf von 1924. Später tritt er öffentlich gegen das NS-System auf und ist zeitweise im Konzentrationslager Buchenwald interniert. Zu seinen Werken zählen die zivilisationskritischen Romane Die Majorin, Das einfache Leben, Die Jeromin-Kinder, die alle in Ostpreußen spielen. Im Gegensatz zu Wiechert bekannte sich Agnes Miegel bis 1945 immer wieder zum NS-Staat, der sie mit Ehrungen überhäufte. Sie galt vor allem ihren konservativen Zeitgenossen als „größte lebende Balladendichterin“. Nach dem Zweiten Weltkrieg schildern ihre Gedichte eindrucksvoll den Verlust ihrer ostpreußischen Heimat (u.a. „Abschied von Königsberg“, „Der Dom“). Heute erinnert an ihrem Wohnhaus in der Hornstraße (ulica S. Koloskowa) eine Gedenktafel an die Dichterin.

Sicher wären noch mehr zu nennen, die in Königsberg wirkten. Der Erzähler und Historiker Ludwig von Baczko (1756-1823), erblindet schrieb er eine Geschichte Preußens. August von Kotzebue (1761-1819) leitete 1813 das Königsberger Theater. Der Astronom Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846) baute in Königsberg die erste Sternwarte, woran ein Gedenkstein an ihrem früheren Standort erinnert. Karl Rosenkranz (1805-1879) lehrte hier - er sah sich selbst als vorsichtigen Reformator der Hegelschen Philosophie und ist heute durch seine Ästhetik des Häßlichen bekannt. Ferdinand Gregorovius (1821-1891) promovierte an der Albertina und schrieb für die „Neue Königsberger Zeitung“. Für August Hagen (1797-1880) wurde hier 1830 die erste preußische Professur für Kunstgeschichte eingerichtet, von ihm stammt eine noch heute lesenswerte Geschichte des Theaters in Preußen. Einer seiner Nachfolger auf dem Lehrstuhl, der Kunsthistoriker Georg Dehio (1850-1932), begründete das Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. An der Universität lehrten auch der Physiologe und Physiker Hermann Helmholtz (1821-1895) und Felix Dahn (1834-1912), der in Königsberg sein erfolgreichstes Buch Ein Kampf um Rom schrieb. In der Stadt am Pregel wurden u. a. geboren: Friedrich Freiherr von der Trenck (1726-1794), der mit seiner „merkwürdigen Lebensgeschichte“ eine der erfolgreichsten Biographien seiner Zeit schrieb, der Archäologe und Historiker Wilhelm Dorow (1790-1846), der Komponist Otto Nicolai (1810-1849), die Schriftstellerin Fanny Lewald (1811-1889), die später in Berlin einen bekannten Salon führte, der Bildhauer Emil Hundrieser (1846-1911), der vor allem mit seiner Berolina für den Alexanderplatz bekannt wurde, der Polarforscher Erich von Drygalski (1865-1949), der spätere preußische Ministerpräsident Otto Braun (1872-1955), Heinrich Spiero (1876-1947), der sich mit seinen Biographien zu Wilhelm Raabe, Paul Heyse, Gerhart Hauptmann und Fontane einen Namen machte, die Architekten Max (1884-1967) und Bruno Taut (1880-1938), der Theatermann Leopold Jessner (1878-1945), Käthe Kollwitz (1863-1940), die in der Stadt ihr erstes Atelier eröffnete, und deren Großvater Julius Rupp (1809-1884) hier die Freien evangelischen Gemeinden begründete. Heute steht der Gedenkstein mit seinem Reliefbild, das Käthe Kollwitz schuf, neben dem Dom. Geburtsstadt ist Königsberg auch für den Schriftsteller Rudolf Borchardt (1877-1945), den Lyriker Erich Hannighofer (1908-1945 vermißt), von dem das Ostpreußenlied „Land der dunklen Wälder und kristallenen Seen“ stammt, den Philosophen Wolfgang Harich (1923-1995), den Lyriker Paul Wiens (1922-1982) und die Erzählerin Christine Wolter (*1939).

Heute wird den Kaliningradern zunehmend bewußt, daß dies alles nicht nur deutsche oder preußische Geschichte ist, sondern die Geschichte ihrer Stadt. Stellvertretend für viele Kaliningrader Intellektuelle sei Wadim Chrappa genannt. Er leitet heute ein Projekt zum Studium der frühen Preußischen Kultur in Kaliningrad und wandte sich bereits 1989 an die sowjetischen Autoritäten: „Wir sind Bürger einer Stadt, ... die der Welt große Philosophen und Dichter, Astronomen und Mathematiker geschenkt hat; einer Stadt in der die Kulturschaffenden und -träger vieler Länder und Völker ausgebildet wurden und deren Universität 200 Jahre älter ist als die Moskauer ... Wir haben eine Heimat. Sie ist hier bei diesem rauhen Bernsteinmeer, in dieser unglücklichen, ausgeplünderten Stadt, untrennbar verbunden mit ihrem Geschick, ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft. Gebt uns unsere Geschichte zurück.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
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