Eine Rezension von Horst Wagner


Vom Hausbesetzer zum Außenminister

Michael Schwelien: Joschka Fischer
Eine Karriere.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000, 315 S.

Bücher von Joschka Fischer gibt es, wie Schwelien an einer Stelle vermerkt, bereits zehn. Sein bisher letztes Mein langer Lauf zu mir selbst, in dem er über seinen gründlichen Lebenswandel infolge einer Ehekrise und seine Erfolge als Marathonläufer schreibt, steht noch immer in mancher Bestsellerliste. Auch Bücher über ihn wurden natürlich schon geschrieben, darunter auch eine mehr oder weniger offizielle Biographie von Sibylle Krause-Burger. Schweliens Buch ist ganz anders. Nicht nur, weil der jetzige „Zeit“-Reporter den zu Beschreibenden wesentlich kritischer sieht als die Stuttgarter Rundfunk-Journalistin. Schweliens Joschka Fischer unterscheidet sich auch in Stil und Machart von den meisten anderen Politikerbiographien. Es ist keine fortlaufende Lebensbeschreibung vor politisch-historischem Hintergrund. In Vor- und Rückblenden, unabhängig von zeitlichen Abläufen, verknüpft Schwelien in seinen zwölf thematischen Kapiteln journalistische Momentaufnahmen des ihm seit 1970 aus der Frankfurter linken und Sponti-Szene Bekannten geschickt mit Selbstaussagen Fischers, Äußerungen anderer über ihn und nicht zuletzt allerlei Medienklatsch zu einem ungewöhnlichen, aber nicht uninteressanten, gut zu lesenden Lebensbild des einstigen Hausbesetzers und heutigen Bundesaußenministers.

Bei aller Kritik (die bis zum Vorwurf des Verrats an früheren Idealen reicht) sieht Schwelien Fischer nicht ohne Bewunderung. „Der Joschka ist der Popstar unter den Politikern. Er wirkt irgendwie ,echt‘, zum Anfassen, glaubwürdig, richtig ,cool‘ - nicht nur bei den Jungen. Die Leute spüren, da hat sich jemand hochgearbeitet, ein Außenseiter ist ganz oben angelangt.“ So Schwelien ganz am Anfang seines Buches, offenbar nicht nur Volkes, sondern auch seine eigene Meinung wiedergebend. Besonders dicht dran am Porträtierten ist Schwelien in dessen „Sponti-Zeiten“: wie er als Sprecher der Gruppe „Revolutionärer Kampf“ die Arbeiter bei Opel zu Streik und Aufruhr agitiert, wie er bei den Hausbesetzern vom Frankfurter Kettenhofweg und ihren Straßenschlachten mit der Polizei dabei ist. Wie er mit der RAF sympathisiert, sich aber schließlich deutlich von deren bewaffnetem Kampf distanziert und auf einem „Anti-Repressions-Kongreß“ 1976, in dem Schwelien so etwas wie die Geburtsstunde der grün-alternativen Bewegung sieht, erklärt: „Gerade weil unsere Solidarität den Genossen im Untergrund gehört, ... fordern wir sie hier auf, Schluß zu machen mit diesem Todestrip, runterzukommen von ihrer Selbstisolation, die Bomben wegzulegen und die Steine und einen Widerstand, der ein anderes Leben meint, wieder aufzunehmen.“

Schwelien ist bemüht, Fischer gegen falsche Vorwürfe zu verteidigen, wie den, er habe Mitschuld an einem Polizistenmord. Er macht sich aber geradezu ein Vergnügen daraus, frühere und neuere Äußerungen Fischers gegenüberzustellen, um ihm übergroße Anpassungsfähigkeit und opportunistischen Gesinnungswandel nachzuweisen. Im Abschnitt „Ein Hausbesetzer entdeckt seine bürgerliche Herkunft“ tut er das hinsichtlich Fischers Jugendzeit und seiner aus Ungarn stammenden Familie. Habe er früher auf eine Art proletarische Herkunft Wert gelegt, so sähe er das heute ganz anders. Auch stellt Schwelien die Frage, was Fischers Familiengeschichte mit dessen Haltung zum Kosovo-Krieg zu tun hat. Habe er doch seine Zustimmung zum NATO-Kampfeinsatz gegen Jugoslawien gegenüber der US-Außenministerin Albright, einer Jüdin, mit den Worten begründet: „Wir beide sind den aus dem Kosovo vertriebenen Albanern besonders verpflichtet, weil wir beide ja selbst Opfer ,ethnischer Bereinigungen‘ sind.“ Wobei er darauf anspielte, daß seine deutschstämmigen Eltern nach dem Krieg aus einem Dorf bei Budapest nach Westdeutschland „ausgesiedelt“ wurden, wo Joschka 1948 in Gerabronn auf der Schwäbischen Alb geboren wurde. Schwelien hält diese Gleichsetzung von Judenverfolgung und der Vertreibung von Deutschen infolge des von den Nazis angezettelten Krieges für unzulässig, wie er sich überhaupt mit dem „Hineinschlittern“ des deutschen Außenministers in den NATO-Krieg gründlich auseinandersetzt.

Ausführlich informiert Schwelien über Fischers Rolle bei den Grünen, über Geschichte und Führungspersönlichkeiten dieser Partei. Relativ wenig erfährt man dagegen über den Privatmann Fischer. Wer gehofft hatte, unter der Überschrift „Fischer und die Frauen“ pikante Einzelheiten zu finden, wird enttäuscht sein. Es wird sachlich und knapp über seine vier Ehen berichtet und bemerkt: „Die 18 Kabinettsmitglieder der rot-grünen Koalition haben mit der Trauung Fischer-Leske insgesamt 28mal den Ehebund geschlossen. Im schwarz-gelben Kabinett gab es nur 18 Ehen, aber jede Menge uneheliche Verhältnisse.“ Äußerst sachlich, mehr einer Analyse deutscher Außenpolitik seit 1998 als einer Schilderung von Fischers persönlichem Arbeitsstil gleichend, ist das Kapitel „Funny Place“, worunter das „AA“ im traditionsreichen Haus am Werderschen Markt gemeint ist. Mehr enthüllend hinsichtlich Fischers Lebens- und Leibeswandel ist dagegen der 27 Fotos umfassende Bildteil. Er reicht von einem Foto des bärtigen Revolutionskämpfers aus dem Jahre 1973 über den jungen, schmächtigen Bundestagsabgeordneten von 1983, den Eid des Turnschuhministers in Hessen (1985), den dickleibigen Fischer auf der Bundestags-Rednertribüne und beim Fußballspiel bis zu seinen Langstreckenläufen am Rheinufer und dem Diplomaten im Armani-Anzug vor dem Weißen Haus. Alles in allem: ein Buch, dessen Sicht man sicher nicht in allen Punkten teilen muß, das man aber nicht ohne Vergnügen und Informationsgewinn lesen kann.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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