Eine Rezension von Gudrun Schmidt


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Weltberühmt und schnell vergessen

Rüdiger Schaper: Moissi
Triest-Berlin-New York.
Eine Schauspielerlegende.
Argon Verlag, Berlin 2000, 256 S.

Das Publikum lag ihm zu Füßen. Jubel grenzenlos, wo immer er auftrat. Nicht nur die Frauen gerieten beim Anblick des schönen dunkelhaarigen Mannes mit den leuchtenden Augen und der Wunderstimme ins Schwärmen. Moissi war schon zu Lebzeiten ein Mythos. Die Kritiker feierten ihn euphorisch, aber auch an Häme hat es bisweilen nicht gefehlt. Als er im März 1935 mit fünfundfünfzig Jahren in Wien an einer Grippe starb, hatte er alles erreicht, wovon ein Schauspieler träumen kann. Er war Orest und Ödipus, Danton und Tasso, Hamlet und Romeo, Faust und Jedermann. Die grüblerischen, zerrissenen Charaktere, dem Tod zugeneigt, lagen ihm besonders. Zur Rolle seines Lebens wurde der Selbstmörder Fedja in Tolstois Der lebende Leichnam. Über 1 500 mal - wahrscheinlich sogar öfter - stand er als trunksüchtiger Aussteiger, der modernen Zivilisation überdrüssig, auf der Bühne. Von der Premiere 1913 im Deutschen Theater in Berlin bis zu einer Aufführung in Italien kurz vor seinem Tod brillierte er damit vor eineinhalb Millionen Zuschauern, rund um den Globus, in einem halben Dutzend Sprachen. Moissi war ein Weltstar, seine Kunst international.

Nach seinem Tod haben viele versucht, ihn für sich zu vereinnahmen. Am weitesten vorgewagt haben sich die Albaner. Sie errichteten ihm Denkmale, widmeten ihm ein Museum. In Berlin, der Stadt seiner großen Erfolge an Max Reinhardts Theater, trägt eine kleine Straße in Treptow seinen Namen. Heute ist Moissi, dieses „Phantom des 20. Jahrhunderts“, weitgehend vergessen. Bewahrheitet sich Schillers Sentenz, daß die Nachwelt dem Mimen keine Kränze flicht, auch hier? Rüdiger Schaper geht dagegen an. Mit seinem Buch legt er eine interessante und spannende Biographie vor. Ein schwieriges Unterfangen im Zeitalter der Massenmedien mit ihrer Fülle an weitverbreiteten Bild- und Tondokumenten, ein Künstlerleben wiederzuentdecken, von dem es kaum authentische Zeugnisse gibt. Elf Stumm- und zwei Tonfilme hat Moissi gedreht, erhalten geblieben ist nur der letzte. Eine Kostbarkeit wird im Austria-Filmarchiv aufbewahrt: Moissi als Fedja, ein Ausschnitt aus einer Wochenschau, 55 Sekunden lang.

Seine Triumphe feierte er auf der Bühne. Er war der Star des Theaters im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts. Als der Tonfilm zum Durchbruch kam, war seine Zeit abgelaufen. Rüdiger Schaper greift auf Kritiken, Briefe, Schilderungen von Zeitgenossen zurück. Die gibt es in Fülle und aus erster Hand, Franz Kafka, Gerhart Hauptmann, Klabund, Stefan Zweig und andere waren von seiner Darstellungskunst fasziniert, hingerissen, gespalten und verunsichert zugleich.

In Moissis Leben und seiner Kunst gab es mehrfach Brüche. 1879 in Triest, damals eine zum K. u. k-Imperium gehörende Handelsstadt mit italienischen, deutschen, slowenischen, kroatischen, griechischen, jüdischen Bewohnern, als Sohn eines begüterten Kaufmanns und Reeders geboren, gerät die Familie durch den Untergang der väterlichen Handelsflotte bald an den Rand der Armut. Die Eltern gehen getrennte Wege. Der Vater nimmt den Vierjährigen mit in seine albanische Heimat. Der Junge wächst mehrsprachig auf, bleibt sich aber selbst überlassen, bis ihn die Mutter, um die sich der Sohn zeitlebens rührend sorgt, zurückholt. Mit ihren Kindern siedelt sie später nach Wien über. Der Sohn erhält als Neunzehnjähriger einen Freiplatz am Konservatorium. Er will Opernsänger werden. Doch daraus wird nichts. Die Stimme ist nicht geeignet. Der Freiplatz wird ihm entzogen. Bei der Aufnahmeprüfung am Burgtheater fällt er mit großer Wucht durch. Er schlägt sich durch als Begräbnisgehilfe, Hofopernclaqueur und Statist am Wiener Burgtheater. Paradoxerweise wird er auch später, als weltweiter Ruhm ihn umgibt, nie zum Ensemble der „Burg“ gehören. Schicksalhaft die zufällige Begegnung mit Josef Kainz, der in Molières Tartuffe dem Komparsen Moissi gegenübersteht und mit traumwandlerischem Gespür in ihm den „Schauspieler der Zukunft“ erkennt. Er sollte recht behalten.

Nach Debütantenjahren in Prag dann endlich Aufbruch in die Metropole Berlin, die brodelnde Weltstadt, die in schwindelerregendem Tempo wächst, in der alles in Veränderung erscheint, das Theater inbegriffen. Für Max Reinhardt, den Erneuerer des Theaters und Entdecker neuer dramatischer Talente, kam ein Mann wie Moissi gerade zum richtigen Zeitpunkt. Er entsprach seiner idealistischen Vision vom Schauspieler als Menschenbildner. Nahezu dreißig Jahre währte die produktive und nicht reibungslose Zusammenarbeit. Beide begründeten 1920 die Salzburger Festspiele mit Hofmannsthals Jedermann - Das Spiel vom Sterben eines reichen Mannes, eine Rolle, in die Moissi „hineingewachsen“ ist mit seinem „Lebenswandel, seiner Vorliebe für schnelle Autos, Villen und einem reichen Liebesleben“.

In seinen repräsentativen Villen im Tessin und in der Nähe von Wien blieb er ein flüchtiger Gast. Rastlos wie ein Zugvogel fühlte er sich überall und nirgends zu Hause. Er lebte exzessiv, eine Flamme, die strahlte und sich viel zu schnell verzehrte.

Rüdiger Schaper, als Journalist und Theaterkritiker in Berlin tätig, zeichnet ein vielschichtiges Porträt dieser eigenwilligen Künstlerpersönlichkeit, versucht das „Geheimnis Moissi“ zu ergründen. Biographisches und Zeitgeschichtliches sind miteinander verwoben. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms verläßt Moissi das Reinhardt-Ensemble, gibt Gastspiele in New York, Moskau, Paris, Rio de Janeiro. In den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens ist er fast ohne Unterbrechung auf Welttournee mit seinen Glanzrollen. Was bewog ihn dazu? „Tourneen als Kampf gegen das Alter“ wie bei vielen Künstlern. Wollte oder konnte sich Moissi nicht mehr den veränderten Bedingungen des Kulturbetriebes anpassen? Verschloß er sich den Herausforderungen des politischen Theaters von Brecht, Piscator oder Jessner? Blieb er ein „Gefangener“ in seinen alten Rollen, von der Zeit überrannt? Beginnt hier das Vergessenwerden? Fragen, die bleiben.

Moissis Leben ist wie ein Roman. Doch bei aller Spannung und anschaulicher Beschreibung stellt sich beim Lesen die Faszination nicht ein. Vielleicht ist ein „Phantom“, wenn man es nicht selbst erlebt hat, auch nicht zu fassen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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