Eine Rezension von Sven Sagé


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Marlene als Marionette?

Helma Sanders-Brahms: Marlene und Jo
Recherche einer Leidenschaft.
Argon Verlag, Berlin 2000, 290 S.

Wer würde sich schon für die Geschichte von Maria Magdalena und Josef interessieren? Wer, wären sie nicht „Marlene und Jo“, wie Helma Sanders-Brahms ihr Buch nennt? Wären sie nicht - richtig vermutet! - die Berlinerin Dietrich und der Wiener Sternberg. - Nun dürfen wieder mal alle „Blauer Engel“-Glocken läuten! - Marlene und Jo das Traumpaar sämtlicher Traumpaare der Traumfabrik? Frage- und Ausrufezeichen noch und noch. Sanders-Brahms legt, wie es heißt, die „Recherche einer Leidenschaft“ vor. Denkt der Laie sofort an dramatische Liebes-Leibes-Verstrickungen, ist er schon neben der eigentlichen Fährte. Die höhere Leidenschaft, die Leistung schafft, ist die wesentliche Spur. Nicht nur referierend gibt Sanders-Brahms wieder, was sie zum Film-Produktions-Pakt Dietrich/von Sternberg recherchierte. Leidenschaftlich stellt sich die Autorin hinter die beiden Besessenen und deren Leidenschaft, mittels der Film-Kunst der Menschheits-Kunst-Geschichte eine weitere Ikone hinzuzufügen. Der Eifer nützt der Verfasserin, nicht immer dem Verfaßten, das überschwappt im Überschwang. Die wie immer bewertete Liaison Dietrich/von Sternberg dauerte kein Jahrzehnt. Gegen sämtliche Widerstände hatte der 1930 aus Hollywood angereiste Regisseur die Rolle der Lola mit Frau Dietrich besetzt, die wenig erfolgversprechend seit Jahr und Tag durch die Berliner Darsteller-Szene tingelte.

Begeistert legt die Autorin fest, daß Sternberg „die schönste aller Frauen zu einem Filmgeschöpf“ machte. Schier bis zum Erbrechen glorifiziert Sanders-Brahms die tatsächliche Schönheit Marlenes und schildert, mit welchen Finessen die Schönheit der Frau ins Bild gesetzt wurde: Das „Gesicht des Jahrhunderts“, die „Frau des Jahrhunderts“. Profan gesagt: Durch Beleuchtung kam der Mythos Marlene zum Leuchten. Licht-Schatten-Spiel-Meister war der Regisseur. Marlene Dietrich war, in des Wortes Sinne, eine Lichtgestalt, die Josef Sternberg gestaltete. Auf Seite 48 des Buches ist die Urkunde ausgestellt, in der es heißt: „Der Mythos Marlene ... ist geboren.“ Das war in dem Moment, in dem der sonst so ungeduldige Sternberg eine Engelsgeduld mit der dilettierenden Dietrich an den Tag legt. Das war, als Probeaufnahmen zum „Blauen Engel“ gemacht wurden und sich dem Mann, dem „Schöpfer“, sein „Geschöpf“ offenbarte. Niederträchtig wäre es aber, nach all den Bestätigungen durch Sanders-Brahms von der Marionette Marlene zu sprechen.

Das Buch feiert Marlene und Jo und facht, im nachhinein, noch einmal die Leidenschaften an, die Frau und Mann, Kollegin und Kollege lodern ließen. Wie das war, als alles so war, beschreibt Sanders-Brahms mit den Sätzen: „Marlene hängt wie verzaubert an Jos Lippen, saugt jedes seiner Worte ein.“ „Josef von Sternberg verfällt Marlene mit Haut und Haaren.“ Vermutlich hat Helma Sanders-Brahms das gar nicht geschrieben. Vielleicht hat sie das hingesprochen und abschreiben lassen. Vielleicht ist das die Ursache dafür, daß sich viele, auch unnötige Wiederholungen häufen, daß die „vollendete Schönheit“ der Dietrich mehr als ein Dutzendmal geradezu herbeigebetet wird. Was immer Memoiren, Biographien, Historienwerke, Film- und Literaturlexika hergeben, in Sanders-Brahms Buch ist alles auf fruchtbarsten Boden gefallen. Die Filmemacherin hat auch als Buchautorin einen stabilen Sinn für effektvolle Szenen, die nicht mit der Historie deckungsgleich sein müssen, die fürs Vermuten Raum lassen. Das Buch rühmt eine Ruhmvolle. Das Buch Marlene und Jo ist die Liebeserklärung einer Filmemacherin an die Filmemacher. Vor allem an zwei, die Geschichte machten in der Filmgeschichte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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