Eine Rezension von Kathi Georg
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Ein Psychologe über einen Psychologen
Wilhelm Salber:
Sigmund und Anna Freud
EVA Duographie.
Europäische Verlagsanstalt/Rotbuch Verlag, Hamburg 1999, 157 S. |
Es scheint schon ganz schön mutig, eine Biographie mit dem lakonischen Satz zu
beginnen: Professor Doktor Sigmund Freud war 1,70 m groß, mit einem Geschmack für
Fantasiewesten sorgfältig gekleidet; in der Mitte des Lebens betont aufrecht, im Alter etwas nach vorn
gebeugt. Doch was sich hieraus entwickelt, ist ein spannender Bericht über Erkenntnis
und Selbsterkenntnis. Ein Bericht, der von einem Fachmann geschrieben wurde, aber zum
Glück ohne Fachchinesisch auskommt. Wilhelm Salber (geb. 1928) kennt sich nicht nur im
Leben von Sigmund und Anna Freud aus, sondern ist auch ein Kenner seines Fachs, der
Psychologie. Er war dreißig Jahre Direktor des Psychologischen Instituts der Universität Köln und
publizierte u. a. ein dreibändiges Werk zu Entwicklungen der Psychologie Freuds und eine
Biographie Anna Freuds. So schaut Salber natürlich mit dem Blick des Psychologen auf
die Psychologen und entdeckt in Freud den Dualismus von dessen eigener Theorie: Härte
und Leidenschaft; Zukunftsgewißheit und Todesfurcht, Liebe und Haß gegenüber denselben
Menschen; Arbeitswut und Lebensgenuß. Freud als Aufklärer, der abergläubisch ist; als
Wissenschaftler, der um Anerkennung der unwissenschaftlichen Wirklichkeit des Seelischen
kämpft; als großer Psychologe, der kein guter Menschenkenner ist. Seine Neurosen sind mal
zwanghaft, mal hysterisch. Einerseits ist er siegessicher und selbstbewußt, andererseits hat er
ständig Angst vor dem Tod, liest z. B. aus einer Telefonnummer Varianten eines Todesdatums
heraus. Wie so viele Menschen macht er aus seinen Zwängen Stützen für die
Lebensführung, mit einem Tagesablauf nach einem festen Schema, durch Arbeitswut und durch
Sammeln von Briefmarken, Notizzetteln, Pilzen, Büchern, Plastiken. Seine antike Sammlung etwa
ist eine der größten Privatsammlungen Englands. Salber stellt dar, daß sich Freud als
Entdecker und Eroberer, als Hannibal sieht, dem es bei seiner Psychologie nicht in erster Linie um
die Behandlung von Kranken ging: Er wollte eine neue ,allgemeine‘ Psychologie entdecken,
eine Psychologische Psychologie - gegen die Medizin und gegen die Physiologische
Psychologie der sogenannten Fachleute. Er schuf eine tiefgreifende Verunsicherung, indem er
nachwies, daß der Mensch nicht Herr im eigenen Haus ist, sondern von Unterdrücktem und
Verdrängtem geprägt wird.
Der Autor stellt seiner Biographie Sigmund Freuds die von Anna Freud an die Seite -
der Tochter eines berühmten Vaters, die mehr war als nur Vaters Tochter. Nach Salbers
Auffassung hatte sich zwischen Tochter und Vater eine Wirkungseinheit ausgebildet, die einen
gemeinsamen Sinn in die Entwicklung der beiden brachte. Es sei daher unsinnig zu sagen, der
Vater habe die Tochter oder die Tochter habe den Vater ausgenutzt. Anna Freud war zunächst
Lehrerin geworden und blieb auch als Psychologin immer bei der Beschäftigung mit
Kindern. Sie unternahm viel, um die neue Psychoanalyse klar und einfach darzustellen und damit
zu popularisieren, so auch in ihrem Hauptwerk Wege und Irrwege in der
Kinderentwicklung. Sie führte das Werk ihres Vaters weiter und ging dabei noch mehr auf die schöpferische
Entwicklung des Menschen ein.
Untrennbar mit der gemeinsamen wissenschaftlichen Wirkung ist auch die
ungewöhnliche persönliche Beziehung von Anna und Sigmund verbunden. Anna gründete eine
künstliche Großfamilie, in deren Mittelpunkt der hochverehrte, todkranke Vater steht. Kinder von
mit Anna befreundeten Müttern finden hier Aufnahme, außer den Lehrern keine Männer,
dazu mehrere ungewöhnliche Frauen, wie die lebenslange Freundin Dorothy
Tiffany-Burlingham und als Großtanten die Nietzsche-Freundin Lou Andreas-Salomé und die Prinzessin
Marie Bonaparte. Salber bezweckt mit seinem Buch keine modische Entlarvung, hält sich so
auch mit Spekulationen zurück. Verstehen will er seine Biographien als ein Bild von
Menschen, wie sie nun einmal wirklich sind und wie sie dabei doch ein Mehr und ein Anders
erreichen, das sie zu ungewöhnlichen Gestalten macht.
Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de
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