Eine Rezension von Uli Kalinowski


Diktatoren sterben einsam

Thomas Kunze: Nicolae Ceausescu
Eine Biografie.
Ch. Links Verlag, Berlin 2000, 463 S.

Als am 25. Dezember 1989 Elena und Nicolae Ceausescu vor den Gewehren des Erschießungskommendos standen, hatten sie nur noch sich. Er, der uneingeschränkte Diktator Rumäniens, sie, die Nummer zwei und „Graue Eminenz“ des Landes. Verurteilt von Leuten, die noch Tage zuvor den Staub von ihren Schuhen geküßt hätten. Erschossen von Fallschirmjägern, die sie noch Tage zuvor unter Einsatz ihres Lebens verteidigt hätten. Die Opfer begriffen das nicht: „Nicule, man ermordet uns? In unserem Rumänien?“ waren die letzten Worte Elenas an ihren Mann. „Unser Rumänien“ - es hatte jahrzehntelang gestimmt, nun war es vorbei.

Thomas Kunzes Buch heißt schlicht und ergreifend Nicolae Ceausescu - Eine Biografie. Es hätte auch heißen können „Die Macht - und was sie aus den Menschen macht“. Denn darum geht es: Ein Bauernsohn aus der tiefen Walachei, der vier Klassen in der Schule absolvierte. Der mit zwölf eine Schusterlehre begann und dann abbrach. Der mit 15 zum erstenmal wegen kommunistischer Betätigung verhaftet wurde. Im Gefängnis lernte Ceausescu den Mann kennen, der sein politischer Ziehvater wurde und den er nach der eigenen Machtübernahme kräftig demontierte: Georghe Georghiu-Dej, der starke Mann Rumäniens nach 1945. 1965 beerbte er ihn. In seinen ersten Amtsjahren wurde C. zum Hoffnungsträger Rumäniens: Vergleichsweise liberal im Innern, einer, der aus dem Bauernland Rumäniens einen Industriestaat machte, ein großes Wohnungsbauprogramm auflegte, den Lebensstandard anhob. Er machte Rumänien zu einem Land, das international beachtet wurde. Von amerikanischen Präsidenten, britischen Premiers und französischen Staatsoberhäuptern hofiert nach dem Motto: Hier ist das trojanische Pferd des Kommunismus, hier ist der Anti-Russe, hier ist der Nationalist, der den Ostblock aufweicht. Ein solcher Mann wurde jahrelang gern besucht und empfangen. Auszeichnungen und Kredite waren kein Problem. Auch über den vor allem seit Anfang der 70er Jahre sich krebsartig und bis ins Absurde ausbreitenden Personenkult, die byzantinische und mehr ins Dynastische abgleitende Art der Machtausübung war lange der Mantel des Schweigens gedeckt. Nützlichkeit ging (geht?) eben vor Moral.

Nicolae Ceausescu war vom Stalinismus geprägt und blieb dessen Strukturen der Machtausübung sein Leben lang verhaftet, auch in den Perioden scheinbarer Liberalität und Weltoffenheit. Kunze belegt das mit einer Vielzahl von Beispielen. Im Kern ging es immer um den Machtausbau und -erhalt. Auch Ceausescus Spiel auf dem antisowjetischen Klavier war kühl kalkuliert: Er wußte um die Grenzen, die er nicht überschreiten durfte und wollte: nämlich die Infragestellung des sowjetischen Gesellschaftsmodells in Rumänien mit der alles beherrschenden Rolle der KP(-Führung), Unterdrückung aller Demokratieansätze und jedweder Opposition. Da dies gewährleistet und Rumänien zudem strategisch recht unwichtig für Moskau war, konnte sich Ceausescu Eskapaden leisten wie die Verurteilung des Einmarschs 1968 in die CSSR, die Forderung nach Auflösung von NATO und Warschauer Vertrag, das scheinbare Beharren auf einem eigenständigen Weg. Dies brachte Rückhalt in der Bevölkerung und Ansehen im westlichen Ausland, manchmal ärgerlich für die „sozialistischen Bruderländer“, aber letztlich nicht bedrohlich.

Thomas Kunze ist in seiner Biographie nicht nur um Objektivität bemüht, sie liest sich auch zunehmend spannend. Er ordnet das kleine Rumänien in weltpolitische Zusammenhänge ein, er zeigt, wie sehr Macht Menschen korrumpiert und immer realitätsferner werden läßt. Was übrigens nicht nur auf den „Titan der Titanen“, „Erbauer von allem, was gut und gerecht ist“, „süßesten Kuß der Heimaterde“ und ähnlich von seinen Höflingen betitelten Ceausescu zutrifft. Manchmal geben relativ kleine Episoden in dem Buch Einblick in die menschliche Natur (oder die nur mancher Menschen?). So ehrte die Nummer eins unter den Hofpoeten, ein Adrian Paunescu, seinen Herrn und Meister 1978 mit den Sätzen: „Ich wage es nicht, seinen Namen zu nennen. Aus Angst, seine Größe zu schmälern, wenn ich von ihm spreche. Doch die Geschichte verlangt es von mir. Wir alle sollten ihn lieben: Ihn, der den Sieg in der Schlacht für die Menschen verkörpert.“ Die Leiche Ceausescus war noch nicht kalt, als selbiger Paunescu schrieb: „Schaut ihn euch an, dieses unmenschliche Gesicht mit seinem altsteinzeitlichen Kiefer. Diesen Analphabeten, der uns alles lehren will wie eine lispelnde Schlange.“ Paunescu kandidierte 1996 für das Amt des rumänischen Staatspräsidenten und ist heute ein beliebter Fernsehmoderator. Kritik an seiner neuen Karriere, vermerkt Kunze, wurde nur vereinzelt laut.

Zum schwärzesten Kapitel der Machtausübung Ceausescus wurden die 80er Jahre. 1982 verfügte er die Rückzahlung der ca. 13 Milliarden Dollar betragenden Auslandsschulden Rumäniens ohne Aufnahme neuer Kredite. Dieser international einmalige Kraftakt gelang zwar bis 1989, aber: „Der Preis bestand in einer beispiellosen Verelendung der Bevölkerung.“ In Rumänien gingen buchstäblich die Lichter aus. Die Wohnungen wurden im Winter - wenn überhaupt - auf maximal 12 Grad beheizt, der Wetterbericht auch schon mal gefälscht, um es wärmer erscheinen zu lassen. Kunze: „Ein ganzes Volk ging in Mänteln und Mützen ins Bett.“ Die Jagd auf Essen wurde zur Überlebensfrage, der drastisch eingeschränkte Personennahverkehr führte dazu, daß der Weg von und zur Arbeit zum Lotteriespiel, einer „Ocazie“ (Mitfahrgelegenheit) wurde. Die Volkswirtschaft kollabierte, völlig überfordert durch den Schuldentilgungskurs, unsinnige Großprojekte wie den Donau-Schwarzmeer-Kanal und den Ceausescu-Palast in Bukarest. Allein dieses „Haus des Volkes“ mit seinen 7 000 Räumen, von denen einige so groß wie ein Fußballplatz waren, beschäftigte über 5 Jahre täglich 20 000 Arbeiter im Drei-Schicht-Rhythmus und soll zwei Milliarden Dollar gekostet haben. Internationale Entwicklungen wie gestiegene Erdölpreise trugen das Ihre zum rapiden Niedergang bei. Das Land taumelte in einer für Europa einmaligen Weise auf den Abgrund zu - der Personenkult um den „Conducator“ (Führer) wuchs gleichzeitig ins Gigantische. Gerade in den Kapiteln zu diesen 80er Jahren beweist Kunze die Fähigkeit zur Differenziertheit. Am Beispiel der fürchterlichen Bilder aus rumänischen Kinder- und Waisenheimen, die nach 1989 um die Welt gingen, schreibt er: „Schuld an solchen Verhältnissen trug keineswegs nur Nicolae Ceausescu selbst ... Der Mangel an Medikamenten und Geld war zwar chronisch, genauso chronisch waren jedoch die Lethargie und der Egoismus vieler Ärzte, Pfleger und Schwestern ... Es gab in Europa nur wenige Länder, in denen der ärztliche Eid zu einer so inhaltsleeren Formalität verkommen war wie in Rumänien. Fehlendes Trinkgeld bedeutete in vielen Fällen Siechtum und Tod.“

Damalige DDR-Bürger werden sich an jene Jahre erinnern, als sie mit immer katastrophaleren Eindrücken von Urlaubs- oder Dienstreisen aus Rumänien zurückkehrten. Auch international vermehrten sich die Berichte und Gerüchte. Deshalb stieß die 1988 erfolgte Verleihung des Karl-Marx-Ordens, der höchsten DDR-Auszeichnung, an Ceausescu auf sehr viel Unverständnis und Empörung. Den Grund, weshalb Honecker bei einem Treffen im November in Ostberlin den eigentlich ungeliebten Rumänen derart ehrte, sieht Kunze in der gemeinsamen Gegnerschaft zu Gorbatschows Reformkurs. Beide ahnten, daß der Moskauer Kurs die Grundlagen des realexistierenden Sozialismus und damit auch ihrer persönlichen Macht unterminierte. Zu Recht, wie sich ein Jahr später zeigte.

Fazit: Nicolae Ceausescu. Eine Biografie ist ein sehr lesenswertes und gründlich recherchiertes Buch. Eben weil Kunze es sich nicht so leicht macht, das Bild des „roten Blutsäufers aus Bukarest“, des „Karpaten-Dracula“ zu bedienen. Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut - auch mit dieser Erkenntnis geht man aus dem Buch, und das ist etwas, das weit über Leben und Tod eines Nicolae Ceausescu hinausreicht.

Abschließend noch zwei Bemerkungen: Zum einen wirft Kunze in dem Buch, besonders zu den Vorgängen in Rumänien im Dezember 1989, Fragen auf, die bis heute einer verläßlichen Antwort entbehren. Vor allem: Wie kommt es, daß die Zahl der Opfer nach der Flucht der Ceausescus am 22. Dezember aus Bukarest, als sie von aller Kommunikation abgeschnitten durchs Land irrten und schließlich in einer Kaserne festgesetzt wurden, erheblich höher war als vorher? 162 Tote forderte die Revolution vor dem 22. Dezember, 942 danach - wer ließ da schießen, welche Ziele steckten dahinter? In den über zehn Jahren seit 1989 war offenbar an einer Antwort niemand in Rumänien interessiert.

Die zweite Bemerkung: Einige Widersprüche fallen dem halbwegs geschichtlich Interessierten auf. So wurde der frühere RKP-Generalsekretär Foris, dem auf S. 52 bescheinigt wird, „daß die Unterstützung von Foris in den Reihen der rumänischen Illegalen nicht groß war“, 1945 unter Georghiu-Dej aus Angst umgebracht, „denn sein Einfluß in der Partei war nach wie vor groß“ (S. 78). Auf S. 98 wurde Ceausescu am 9. Januar 1950 zum Generalleutnant ernannt, um drei Seiten später kurz nach der Rückkehr von einem Lehrgang in Moskau als „frisch gebackener Generalmajor“, bekanntlich ein niederer Dienstgrad als Generalleutnant, seinen Dienst aufzunehmen. So schnell degradiert? Daß es vor Ceausescu in den Ostblock-Staaten (außer Wilhelm Pieck in der DDR) keinen Staatspräsidenten gegeben hat (S. 230), ist schlicht falsch. Bierut in Polen, Gottwald, Zapotocky, Novotny und Svoboda in der Tschechoslowakei übten als kommunistische Führer dieses Amt vor dem Rumänen aus. Und schließlich war Vietcong die westliche Bezeichnung für die südvietnamesische Partisanenbewegung, nicht für die im Süden operierenden regulären Einheiten des Nordens (S. 181). Ungenauigkeiten dieser Art müssen nicht sein, auch wenn sie den Wert der Biographie nicht schmälern.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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