Eine Rezension von Kathrin Chod


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1940 jederzeit wieder ...

Christian Graf von Krockow: Churchill
Eine Biographie des 20. Jahrhunderts.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999, 383 S.

Es gibt sicher viele gute Gründe, Biographien über Menschen zu schreiben, über die es eigentlich schon genügend Biographien gibt. Ein Nachlaß wird gefunden, und alles, was man bislang über diesen Menschen zu wissen glaubte, erscheint in einem völlig neuen Licht. Oder bislang geheimgehaltene Akten gelangen an die Öffentlichkeit und offenbaren umwerfende Neuigkeiten. Wenn dieses nun nicht zutrifft, gibt es noch die Möglichkeit, ein Leben unter einem neuen Aspekt zu betrachten, in neue Zusammenhänge zu stellen oder für einen neuen Leserkreis zu erschließen. Welchen Weg wählte nun Christian Graf von Krockow, der bislang vor allem mit Büchern über Deutschland und insbesondere über Preußen bekannt wurde? Um es gleich vorwegzunehmen, neue Informationen über den großen britischen Politiker gibt es nicht. Er registrierte weder das, was so in der letzten Zeit bruchstückhaft aus britischen Archiven ans Tageslicht gelangte, noch neuere Forschungen von Historikern. Und da gab es ja nicht wenig. So legte ein irischer Historiker Informationen vor, nach denen die Versenkung des Passagierschiffes „Lusitania“ im Ersten Weltkrieg in völlig neuem Licht erscheint. Andere Dokumente wiederum zeigen, daß Churchill nicht nur den Bombenkrieg gegen deutsche und französische Städte initiierte, sondern mehr noch, daß auf seine Weisung keine Bombenwarnung etwa an die Bevölkerung von Coventry erfolgte, obwohl der Zeitpunkt des deutschen Angriffs bestens bekannt war.

Aber derartige Kleinigkeiten hätten eh nicht dem Grundtenor des Buches entsprochen, und diesen kann der Autor in „einem Satz zusammenfassen: In Europa herrschen Freiheit und Frieden. Im Jahrhundertrückblick auf eine schreckensvolle, blutdurchtränkte Epoche gibt das Anlaß zur Dankbarkeit. Und wie keinem anderen sollte unser Dank dem Manne gelten, der in der Stunde der Not, im Triumph der Gewaltherrschaft, als alles verloren schien, die Fahne der Freiheit ergriff und sie unbeirrt weitertrug bis zum Sieg.“

Es gibt wohl nur wenige Menschen, die nun ausgerechnet das Jahr 1940 für das beste Jahr ihres Lebens halten würden. Immerhin befand sich damals halb Europa unter der Herrschaft Deutschlands und seiner Verbündeten. Doch gerade dieses Jahr meinte Churchill, auf eine entsprechende Frage, jederzeit wieder durchleben zu wollen. Nicht nur, daß es kaum einen zweiten britischen Politiker gab, der von einer derartigen Kriegsbegeisterung durchdrungen war: „Ich kann nicht anders, es macht mir einfach Spaß.“ Darüber hinaus bot das Jahr 1940 das, worauf er immer gewartet hatte, seine historische Chance. Die nutzte er, indem er - kaum zum Premierminister avanciert - die britische Gesellschaft zum totalen Krieg (totale Mobilmachung, Umstellung der Wirtschaft auf Kriegsproduktion, Arbeitsverpflichtung von Frauen für die Rüstung usw.) führte. Eine Entscheidung, die sich als richtig erwies, auch wenn Großbritanniens Rolle als Weltmacht nach dem Ende des Krieges endgültig ausgespielt war, was natürlich niemals in der Absicht eines britischen Konservativen lag. Von Krockow sieht das nun etwas anders, da er Churchill nur als den großen Gegenspieler von Hitler, aber auch von Stalin, als d i e Gestalt des 20. Jahrhunderts schlechthin sieht.

Was neben der Heldenverehrung bei der Lektüre stört, ist, daß aber auch jede Legende kolportiert wird, das beginnt beim Warschauer Aufstand und endet bei den Ausflügen Churchills in deutsches Gebiet. Bei anderen Fragen, zum Beispiel, ob Churchill die Eröffnung der zweiten Front bewußt verzögerte, darf sich der Leser einfach auf von Krockow verlassen, der lapidar behauptet, daß die Dokumente dagegen sprächen. Die materiellen Voraussetzungen wären nicht früher gegeben gewesen. Ob die aber wirklich erst zu einem Zeitpunkt gegeben waren, als die alliierte Ausrüstung u. a. bei Jagdflugzeugen mit 5 000 zu 185 und bei Bombern 3 100 zu 165 lag, darf doch wenigstens angezweifelt werden.

Egal, wie man jedoch zu Churchill stehen mag, er gehört ohne Zweifel zu den schillerndsten Gestalten der Weltpolitik. Auch wenn im Krieg für ihn der Zweck jedes Mittel heiligte, zeichnete er sich im Frieden durch ein maßvolles Herangehen aus, was einschloß, daß der ehemalige Feind keine Vernichtung zu fürchten hatte. Noch etwas anderes beeindruckt an dem konservativen Politiker. Churchill war ein Historiker und Schriftsteller von Weltrang, der einzige Politiker, der je den Literaturnobelpreis erhielt. Und das muß man dem Buch dann wohl wirklich übelnehmen, niemals wird die Person Churchill hier wirklich lebendig. Nichts von der Ausstrahlung, von der Faszination, die Churchill ausübte, wird deutlich. Ein Vollblutpolitiker dieses Jahrhunderts erscheint ziemlich blutleer.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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