Eine Rezension von Grit Reiler


Der selbst mit einem Wolfspaß nicht zum Wolf wurde ...

Jewgeni Jewtuschenko: Der Wolfspaß
Abenteuer eines Dichterlebens.
Aus dem Russischen von Thomas Reschke.
Mit 24 Bildseiten.
Verlag Volk und Welt, Berlin 2000, 431 S.

Als „berühmtesten lebenden Dichter der Welt“ bezeichnete kürzlich die „New York Times“ den in 72 Sprachen übersetzten Dichter. Jewtuschenkos neuestes Buch ist autobiographisch, aber noch kein Resümee. Mit dem Polytechnischen Museum in Moskau hat Jewtuschenko einen Vertrag, der ihm zusagt, fünfundzwanzig Jahre lang in diesen „heiligen“ literarischen Hallen seinen Geburtstag zu feiern. Sechsmal flogen schon die Sektkorken. „Ich gedenke, meinen Vertrag voll auszunutzen“, sagt der Siebenundsechzigjährige, „und auch weiterhin alles Erinnerungswürdige aufzuschreiben, um es dann auch wieder zur Veröffentlichung niederzuschreiben.“ Niedergeschrieben hat Jewgeni Jewtuschenko in Abenteuer eines Dichterlebens, weshalb seine Großmutter den ursprünglich deutschen Namen der Familie, Gangnus, in Jewtuschenko änderte, daß er von seiten seiner beiden Urgroßväter ein Adliger ist, wie er als Fünfzehnjähriger seine ersten Gedichte veröffentlichte, was für ein „blutiges Chaos“ er bei Stalins Beerdigung erlebte, die Nacht vor dem Putsch im August 91, wie er entdeckte, daß eine der Frauen, die er liebte, Agentin des KGB war, daß er alle Frauen, die er jemals geliebt hat noch liebt (geheiratet hat er vier, hat fünf Söhne; mit seiner 30 Jahre jüngeren Frau Mascha (?) lebt er seit 15 Jahren zusammen), warum er den „Wolfspaß“ erhielt, bevor er überhaupt einen menschlichen Paß bekam. Im alten Rußland war der „Wolfspaß“ ein Dokument der Unzuverlässigkeit, das den Zugang zum Staatsdienst und zu Lehranstalten versperrte. In der Sowjetzeit war er eine offizielle negative Beurteilung, ausgestellt von der Schule - wie bei Jewtuschenko -, dem Institut, der Gewerkschaft, dem Komsomol oder der Parteigruppe, mit dem man nirgendwo unterkam. „Aber es gab Leute, die an mich glaubten ..., die mir nicht erlaubten, selbst mit einem ,Wolfspass´ ein Wolf zu werden.“

Besonders packend sind die Aussagen über berühmte Zeitgenossen, mit denen Jewtuschenko befreundet oder bekannt geworden war: über Pasternak, Schostakowitsch, Sacharow, Paustowski, Scholochow, Simonow, Fedin, Solshenizyn, Hikmet, Katajew, Okudshawa, Kopelew, Pelewin, Picasso, Fellini, Böll, Graham Greene, Che Guevara, Robert Kennedy ...

Jewtuschenko erzählt anschaulich, ungeschönt (hat man den Eindruck), humorvoll, ironisch, niemals zynisch: „Ich glaube, Zynismus ist eine heimliche Form von Neid.“

„Eine äußere Biographie“, schreibt Jewtuschenko, „ist nichts ohne die innere Biographie: die der Gefühle und Gedanken.“ Man muß Jewtuschenkos Gefühle und Gedanken nicht immer teilen, aber aufregend und beeindruckend sind sie allemal. Wir lesen, wie mutig, manchmal geradezu keck, er sich für viele seiner Schriftstellerkollegen eingesetzt hat, daß er 1968 gegen den Einmarsch russischer Panzer in die Tschechoslowakei protestierte, mit wie vielen Schwierigkeiten er wegen einiger seiner Werke mit Obrigkeit und KGB fertig werden mußte. Jewtuschenko fiel mal in Ungnade, mal paßte er sich - seine Privilegien genießend - an, mal erhielt er Auftritts- oder Reiseverbot, mal enttäuschte er seine Freunde und Kollegen wegen vermeintlich allzu großer „Systemnähe“ oder eingegangener Kompromisse. „Damals hatte ein Schriftsteller keine Wahl: Entweder er ging und druckte alles, was er wollte, im Westen - wodurch er in seiner Heimat alle Publikationsmöglichkeiten verlor -, oder er blieb und schlängelte sich durch die Zensur wie durch einen Stacheldrahtzaun, in dem er Fetzen der eignen Haut ließ. Seine Entscheidung war so oder so tragisch.“

Man hat das Gefühl, daß Jewtuschenko mit diesem Buch die Vorwürfe gegen seine Person in eigener Sache ein bißchen zu lenken versucht. Was ihn aber nicht daran hindert, gegen sich selbst aufrichtig zu sein, auch wenn das Erzählte nicht gerade für ihn spricht, z. B. wenn er gesteht, daß ihn erst eine ehemalige Kommilitonin daran erinnern mußte, daß er nach Stalins Tod Rotz und Wasser geheult habe. „Ja, im Vergessen sind wir alle talentiert. Unser Gedächtnis ist gemein und wählerisch. Darum sollte man allen Memoiren, auch diesen hier, nur - milde gesagt - ,bedingt‘ glauben.“ Manche geschilderte Episode hätte ich lieber in einer Biographie über Jewtuschenko statt in Memoiren von Jewtuschenko gelesen, weil einiges, wenn man es über sich selbst schreibt, da kann man sich drehen und wenden wie man will, doch irgendwie nach Eigenlob klingt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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