Rezension von Kathrin Bosien


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Der erste Deutsche im All

Horst Hoffmann:
Der fliegende Vogtländer
Sigmund Jähn. Autorisierte Biographie.
Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1999, 454 S.

Der erste Deutsche im Weltraum - ein Opa aus der DDR. So hatte sich natürlich die Partei- und Staatsführung die Schlagzeile zum ersten Kosmosflug mit deutscher Beteiligung nicht vorgestellt. Deshalb erfuhr der DDR-Bürger recht vieles über den Mann, der das Glück hatte- wie auch das entsprechende Können -, ins All zu fliegen; daß Sigmund Jähn kurz vor seinem Start Großvater geworden war, blieb in den generalstabsmäßig organisierten Jubelberichten top secret. Aber auch im Westen Deutschlands war es offenbar schwierig, auf den Flug Sigmund Jähns angemessen zu reagieren. So schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ 1978: „Zum erstenmal wird im Weltraum deutsch gesprochen, wenn auch mit sächsischem Akzent ... Der erste richtige Deutsche soll schließlich erst 1980 mit einem amerikanischen Spacelab-Raumschiff in den Weltraum fliegen.“ Peter Boenisch betitelte Jähn in der Tageszeitung „Die Welt“ als „Mitesser in der Russen-Rakete“ und schloß seinen Beitrag mit dem Fazit: „Der Fremde wird zum Bruder, und der Bruder wird einem fremd.“ So wie der Flug des DDR-Bürgers Sigmund Jähn eine menschliche wie technische Höchstleistung war, so war er natürlich ein höchst politisches Ereignis. Und so ist diese erste autorisierte Biographie Jähns von Horst Hoffmann auch ein Stück deutscher Geschichte.

Der Autor, seit Jahren mit Jähn befreundet, ist ein ausgewiesener Raumfahrtspezialist, der als Journalist seit Sputnik 1 alle Kosmosunternehmungen für DDR-Medien kommentierte und zu den Gründern der Gesellschaft für Weltraumforschung und Raumfahrt der DDR gehörte. Er versah das Buch mit einem umfangreichen Anhang, der neben wissenschaftlich-technischen Daten zum Raumflug Jähns 15 Beiträge von Freunden und Kollegen des 90. Raumfliegers enthält. Diese meist sehr persönlich gehaltenen Einschätzungen sind eine ideale Ergänzung der Biographie. Herauszuheben hier die Berichte der (west-)deutschen Kosmonauten Ulf Merbold, dem es zu danken ist, daß Sigmund Jähn bei der Vorbereitung der westeuropäischen Teilnehmer an einem russischen Raumflug tätig werden konnte, und Klaus-Dietrich Flade, der sich nicht nur voller Hochachtung über Jähn äußert, sondern auch den kleinlichen Umgang mit dem ersten Deutschen im All nach der Wende moniert.

Hoffmann schildert Jähns Werdegang in der DDR, der anfangs nicht untypisch für jemanden verlief, der im Sozialismus eine Zukunft sah. Eintritt in die Kasernierte Volkspolizei, Ausbildung zum Jagdflieger, Militärakademie der sowjetischen Luftstreitkräfte. Bis er dann 1976 in den Kreis der Anwärter für das Interkosmosprogramm gerät. Hoffmann schildert diese Stationen und auch viele Ereignisse im Hintergrund, wie etwa die Verärgerung der SED-Spitze darüber, daß „ihr“ Kosmonaut erst nach denen Polens und der CSSR an den Start gehen konnte. Eine bezeichnende Charakteristik der DDR-Politik gibt Hoffmann auch mit anderen Details wie denen über die geradezu groteske Informationspolitik. In der Sowjetunion gab es drei Geheimhaltungsstufen für das Interkosmosprogramm, in der DDR natürlich fünf. Die Geheimniskrämerei betraf dabei nicht einmal die hochmoderne Technik, sondern vor allem Informationen über Personen und Termine. So durfte erst nach dem geglückten Start der Name des Kosmonauten bekanntgegeben werden. Die DDR-Journalisten mußten zu diesem Zeitpunkt aber schon fertige Berichte über ihn parat haben. Bezeichnend auch der Umgang mit dem Kosmonauten selbst. So hatte sich Jähn für den Kosmos seine Lieblingsmusik ausgesucht, und das waren Volksmusik und Jägerlieder. Da so etwas „unsere Menschen“ aber nicht gern hörten und schon gar nicht ein Vorbild, mußte er an Bord der Raumstation feststellen, daß man ihm nur klassische Musik ausgewählt hatte. Bei all dem kommt natürlich auch der ganz private Jähn nicht zu kurz - seine Familiengeschichte, seine Liebe zur Natur und seine tiefe Verwurzelung in seiner vogtländischen Heimat. Seine Charakterfestigkeit und Bescheidenheit, die ihm ermöglichten, nicht abzuheben, trotz des riesigen Trubels um seine Person in der DDR. So ist es nicht verwunderlich, daß man nach der Lektüre dieses Buches zu einem ähnlichen Resümee wie Klaus-Dietrich Flade kommt: „Viele Personen des öffentlichen Lebens könnten sich von ihm eine Scheibe abschneiden. Obwohl man ihn allzuoft aufs Treppchen gestellt hat, ist er immer noch der alte, ein Mann, der mit beiden Füßen auf dem Boden blieb.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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