Eine Rezension von Karl Friedrich


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Spiegelbilder und Selbstbildnisse

Barbara Beuys:
Blamieren mag ich mich nicht
Das Leben der Annette von Droste-Hülshoff.
Carl Hanser, München 1999, 408 S.

Eine Dichterin zwischen Romantik und Vormärz. Menschliche und außermenschliche Wirklichkeit sind bei der Droste zauberisch-magisch ineinander verwoben. Krankheit, persönliche Enttäuschungen, immer wieder der Rückzug ins eigene Leben. Vergänglichkeiten erlebt sie als Verhängnisse. Die Zeit, in der ihre Gesellschaftsschicht nicht mehr den Ton angibt, erlebt sie als Katastrophe. In ihren Gedichten entwirft sie Spiegelbilder, überraschende und erschreckende Selbstbildnisse. Ihre Wohnung in der Meersburg am Bodensee nannte sie „Die Spiegelei“, im Glas der Fenster und Spiegel wiederholten sich Außen und Innen, im Spiel des Lichts sah und entwarf sie Bilder von großer, eindringlicher Poesie. Sie gehören zu den besten Leistungen deutschsprachiger Dichtung.

Barbara Beuys erzählt das Leben der Droste chronologisch nach den Quellen. Das sind vor allem Briefe und Zeugnisse von Vertrauten. Weil die Dichterin konsequent ihren eigenen Weg ging, stieß sie manchen Zeitgenossen vor den Kopf. Man schalt sie männlich, weil sie selbstbewußt ihr Selbst leben wollte. Barbara Beuys erzählt dieses Leben nicht in emanzipatorischer Tonart. Schon ihr erster Satz verrät, worum es ihr geht: „Sie war ehrgeizig und hat es nicht verheimlicht.“ Und die Selbstäußerung, „blamieren mag ich mich nicht, nicht vor Andern und noch weniger vor mir selbst“, gilt der Autorin dieser Biographie zugleich „für ihr gesamtes literarisches Werk“. Im Eröffnungskapitel benennt Barbara Beuys wichtige Lebens- und Charakterelemente, denen sie minutiös erzählend nachgeht. Die Droste wird als selbstbewußte Frau und als unerschrockene Person geschildert. Ein Mensch, „der die Gegenwart kaum genießen konnte“, doch lebte sie „nicht im Elfenbeinturm und verfolgte mit Vernunft und Leidenschaft, was um sie herum in der Welt vorging“. Sie sah die Umbrüche und Abgründe ihrer Zeit und „war diskret in ihren Briefen, was die eigene Person betraf“. In ihrer Prosa und in ihren Gedichten „gab sie den Blick frei“. Aber sie liebte Masken, Spiegel und Spiegelungen, Verstellungen, Verschlüsselungen und Chiffren. Ihre besten Gedichte sind, was gern als modern genommen wird. Eine „Meisterin der Doppelbödigkeit“, was das Lesen der Gedichte zum Genuß macht. Sie können auf ganz verschiedene Art gelesen werden und sind doch eins. Eine Hoffnung der Droste, „denn in hundert Jahren möcht ich berühmt sein“, hat sich vielfach erfüllt, auch wenn die Zahl ihrer Leser heute vermutlich gering bleiben wird. Man liest eben selten oder gar keine Gedichte. Die Lektüre dieser Biographie könnte das ein wenig verändern. Wenngleich die Autorin zuallererst aus den Briefen zitiert, wodurch sich freilich der Lebensfaden und das Werk besonders anschaulich in ihrer Verzwicktheit darstellen lassen. Trotz einer tyrannischen Mutter widersetzt sich die Dichterin ihrer Familie und findet Zeit für ihre poetischen Träume und Bilder. Sie kann auch nicht begriffen werden „ohne ihre tiefe Frömmigkeit“. Konsequent geht sie ihren Weg, nicht ohne Witz und Selbstironie.

Dieses Buch lebt ausdrücklich davon, daß Werk und Person nicht voneinander zu trennen sind. Doch hält sich die Autorin nicht sklavisch an die Präsentation und Interpretation des Werks. Eher vorsichtig, aber im Fluß der spannenden und widerspruchsreichen Lebensstationen weiß Barbara Beuys, daß diese Dichtung kein „Steinbruch“ ist, „mit dessen Hilfe sich alle Widersprüche ihrer Existenz glätten oder befriedigend deuten ließen“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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