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Ursula Reinhold

Dem alltäglichen Leben auf
der Spur

Leben und Schreiben von Elfriede Brüning.
Anläßlich ihres 90. Geburtstags am 8. November

Die Jubilarin kann auf eine siebzigjährige schriftstellerische Produktivität zurückschauen, in deren Verlauf sie zahlreiche Romane, Reportagen, Erzählungen geschaffen hat. Ihre Bücher sind von der engagierten Zeitzeugenschaft geprägt, die sie selbst gelebt hat. Sie ist Zeitzeugin auch da, wo sie zeitgenössische Illusionen teilte. Ihr Weg als Schriftstellerin und politischer Mensch ist von den Umbrüchen ihrer Lebensjahrzehnte bestimmt und zeichnet sich durch eine achtunggebietende Konsequenz in Haltung und Überzeugung aus.

Ihr Erwachsenenleben begann am Ende der Weimarer Republik, deren Untergang für die überzeugte Jungkommunistin, die eben auch ihre ersten Schritte als Schriftstellerin tat, einen tiefen Einschnitt bedeutete. Bereits als Zwanzigjährige hat sie Beobachtungen und erzählerische Skizzen für die Feuilletons der Berliner Presse geschrieben, die ihr Lob eintrugen, von ihren Genossen im Bund proletarisch revolutionärer Schriftsteller, dem sie seit 1932 angehörte, aber den Vorwurf, sich nur den Sonnenseiten des Lebens zu widmen. Dabei war die eigene Erfahrung alles andere als unbeschwerlich für die junge Autorin, die seit 1930 der Kommunistischen Partei angehörte. Früh erlebte sie den Daseinskampf der Eltern, die als selbständige Handwerksmeister während der Weltwirtschaftskrise drohendem sozialem Abstieg zu entgehen suchten, ohne ihn verhindern zu können. Sie hat diesen Existenzkampf in ihrem Erstlingsroman Handwerk hat goldenen Boden mit sachlicher Eindringlichkeit festgehalten. Dieses Buch gehört für mich zu den bleibenden Zeugnissen der proletarischen Literaturtradition. Das Manuskript war im Frühjahr 1933 fertiggestellt, hatte aber zu diesem Zeitpunkt keine Veröffentlichungschance. Es erschien erst 1970 unter dem Titel Kleine Leute mit aufschlußreichen Notizen der Autorin zu seinen Entstehungsbedingungen. Die Machtergreifung der Nazis unterbrach die begonnene Entwicklung. Obwohl es der jungen Autorin mit den unbeschwert heiteren Episoden in Und außerdem ist Sommer (1934) gelang, publiziert zu werden, ist doch offensichtlich, daß die Ausformung ihres sozial engagierten Schreibkonzepts nicht fortgesetzt werden konnte. Sie schrieb das Buch in der U-Haft nieder, in die sie wegen illegaler Tätigkeit im Bund proletarisch revolutionärer Schriftsteller geraten war. Den politischen Zweck der sommerlichen Zusammenkünfte konnte sie keinesfalls erkennen lassen. Für sie gingen Haft und Verhöre glimpflicher ab als für andere Mitglieder aus dem illegalen BPRS, weil ihre Kurierfahrten nach Prag, wo sie der eben gegründeten Exilzeitschrift „Deutsche Blätter“ Nachrichten über die Verhältnisse in Deutschland überbracht hatte, unentdeckt geblieben waren. An dem belanglosen Junges Herz muß wandern (1936) und Auf schmalem Land (1938), einem Bericht über das Leben der Fischer auf der Kurischen Nehrung, wird deutlich, daß sie sich auf ein Überleben in Deutschland einrichtete. Danach stellt sie das Schreiben ein, zeitweilig bekommen sie und ihr Mann Joachim Barckhausen Aufträge für den Film, bei dem sich auch andere nichtfaschistische Autoren ihren Lebensunterhalt sicherten. Ihre schriftstellerische Entwicklung kann sie erst nach dem Krieg fortsetzen. Trotz schwieriger materieller Verhältnisse ist die Zeit nach 1945 nicht nur für sie von Aufbruchsstimmung bestimmt. Sie engagiert sich für den demokratischen Neuaufbau, sucht als Reporterin die Orte gesellschaftlichen Wandels auf, nimmt für die DDR Partei, den Staat, in dem sie das Vermächtnis der Antifaschisten erfüllt sieht und von dem sie die schrittweise Erfüllung ihrer kommunistischen Vorstellungen von einer neuen Gesellschaft erwartet. Der erste Roman nach dem Krieg - 1948 war ein Erzählungsband erschienen -, „...damit du weiterlebst“ (1949), erzählt vom Schicksal zweier Mütter, von Hilde Coppi und Lotte Holzer, im antifaschistischen Widerstandskampf. Er legt Zeugnis vom zentralen Stellenwert ab, den die antifaschistische Verankerung besitzt. Mit den Romanen, Erzählungen, Porträts und Reportagen der folgenden Jahrzehnte bleibt sie stets dem aktuellen Geschehen, der unmittelbaren Gegenwart auf der Spur. Thematischer Schwerpunkt ihres Schreibens sind Fragen, die sich aus dem Alltag von Frauen ergeben, sie geht den familiären und persönlichen Konflikten nach, denen vor allem auch alleinstehende Frauen ausgesetzt sind. Sie erzählt alltagsnah und unterhaltend und erorbert sich so einen großen Leserkreis. Überblickt man die Fülle der Bücher von Ein Kind für mich allein (1950), Regine Haberkorn (1955) bis zu den Frauenporträts in Wege und Schicksale (1962), Septemberreise (1973) und Partnerinnen (1978), so wird ein wachsendes Problembewußtsein für die Fragen der Frauenemanzipation erkennbar. In dem Roman Wie andere Leute auch (1982) schildert sie packend die Konflikte zwischen Frauen verschiedener Generationen, die ihren vollen Anspruch ans Leben verwirklichen wollen und sich in mehr oder weniger starker Bewußtheit den Defiziten stellen, die dabei für die Heranwachsenden entstehen. Diese Fragen verbindet sie hier mit den Selbstreflexionen einer Schriftstellerin, deren Schreibkrise sie mit den Überforderungen weiblicher Existenz begründet.

Das Spannungsverhältnis zwischen den Lebenserfordernissen und dem Schreiben durchzieht auch Elfriede Brünings Autobiographie Und außerdem war es mein Leben (1994). Hier legt sie Zeugnis über ihr Leben, Schreiben und Denken ab. Das Buch gibt Auskunft über ihre Verankerung in der proletarischen Literaturtradition in der Endzeit der Weimarer Republik und vermittelt dabei Einblicke in das weitere Schicksal dieser Literaturbewegung nach 1933 unter den Bedingungen der Illegalität und der inneren Emigration. Beeindruckend ist, wie unerschrocken sich die junge Autorin in die Männerdomäne des Literaturbetriebs begeben hat. Aber es ist nicht nur ein aufschlußreiches Zeugnis über ein engagiertes Leben, sondern offenbart auch, wie sie mit den verschiedenen gesellschaftlichen Umbrüchen, die ihren Lebenshorizont bestimmt haben, umgegangen ist. Aufschlußreich ist die Reflexion über den Zusammenbruch des Sozialismus, dem sie als ihrem Jugendideal treu geblieben ist. Offenkundig wird ein später Desillusionierungsprozeß, den sie in der Suche nach eigenen Selbsttäuschungen rekonstruiert. Sie stellt sich ihnen unerschrocken. Das Buch enthält interessante Aufschlüsse über die Spezifik ihres schriftstellerischen Temperaments. Seine Eigenart dürfte durch die Herkunft aus dem Journalismus bestimmt sein. Daraus erwächst die Bindung an die unmittelbare Gegenwart, die maßgeblich ihr Schreiben geprägt hat und prägt. Darüber geben auch Reportagen Auskunft, in denen sie gesellschaftliche Mißstände aufgriff, wie in Kinder ohne Eltern (1968), wo sie über die Arbeit der Jugendfürsorge berichtet. Hiermit hat sie eine Problematik ins Licht gerückt, für die es in der DDR zu diesem Zeitpunkt kaum Öffentlichkeit gab. Unter veränderten Bedingungen nimmt sie in Kinder im Kreidekreis (1992) diese Fragen erneut auf. Mit Lästige Zeugen (1990) macht sie in Tonbandgesprächen unglaubliche Schicksale von Frauen öffentlich, die als Kommunistinnen in der Sowjetunion Zuflucht gesucht hatten und zwanzig Jahre ihres Lebens in stalinistischen Lagern verbringen mußten. Die Autorin konfrontiert sich angesichts solcher Zeugnisse mit eigenen Verdrängungen und eigener Leichtgläubigkeit, erhofft 1990 von der Veröffentlichung solcher Wahrheiten noch eine Erneuerung des Sozialismus. Von ihren fiktiven Arbeiten sind die kleineren Formen lebendig geblieben, haben besonders die Erzählungen aus den achtziger Jahren, Altweiberspiele und andere Erzählungen (1985), deren Grundideen sie in den Nachwende-Notizen Jeder lebt für sich allein (1999) wieder aufnimmt, durch genaues Beobachten und präzises Schreiben substantielles Gewicht. In Spätlese (2000) sind Erzählungen aus sechs Jahrzehnten vereinigt. Ein thematischer Strang gilt der Auseinandersetzung mit der nazistischen Vergangenheit, wobei die Perspektive der Opfer und der aktiven Widerstandskämpfer im Zentrum steht. Besonders die durch eigenes Erleben intensivierten Darstellungen von den Lebensproblemen alter Menschen besitzen suggestive Eindringlichkeit. Aber auch ihre autobiographischen Zeugnisse, in denen sie Ereignisse aus den verschiedenen Perioden ihres Lebens aufgreift und in unheroisch schlichter Sicht darstellt, bestechen durch genaue Zeitzeugenschaft.

Man wünscht der Jubilarin weiterhin offene Sinne für ihre Zeit und die Kraft, Gesehenes und Erlebtes niederzuschreiben. Dazu die besten Wünsche!

Die Redaktion des „Berliner LeseZeichens“ gratuliert von Herzen und schließt sich allen guten Wünschen an.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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