Literaturstätten


Das Dichterkreis-Museum
in Berlin-Friedrichshagen

Ausstellungen, Lesungen, Vorträge, Präsentationen

Um 1900 siedelte sich im Berliner Vorort Friedrichshagen eine Gruppe von Intellektuellen, Literaten, Künstlern, Bohemiens und Anarchisten an. Diese zog über Jahre hinweg Sympathisanten aus ganz Europa an – es entstand der sogenannte Friedrichshagener Dichterkreis. Führende Köpfe dieser Gemeinschaft waren die Schriftsteller Bruno Wille, Wilhelm Bölsche, Peter Hille, Heinrich und Julius Hart, der Maler Fidus sowie Gustav Landauer und Erich Mühsam. Das schwedische Schriftstellerehepaar Ola Hanson und Laura Marholm holte ihren Landsmann August Strindberg für einige Wochen zu sich nach Friedrichshagen. Auch der Lyriker Christian Morgenstern lebte einige Zeit am Müggelsee, hatte aber wegen gesundheitlicher Probleme kaum Kontakt zu den geselligen, durchaus trinkfesten Künstlerfreunden. Zum Dichterkreis zählten nicht nur die am Ort Ansässigen, sondern auch zahlreiche Freunde und Mitschaffende, die sich regelmäßig im Grünen, am Müggelsee und in der märkischen Heide zu gemeinsamen Unternehmungen und Besprechungen trafen. Zu den Gästen zählten neben vielen anderen die Schriftstellerinnen Else Lasker-Schüler und Lou Andreas Salomé, der Dichter Richard Dehmel sowie der Politiker Georg Ledebour.

Fast alle Vertreter dieses Kreises haben mehr oder weniger bedeutsame Spuren in der Literaturgeschichte hinterlassen und sich zu allen zeitgeschichtlichen Fragen und Debatten geäußert und verhalten. Entscheidende Impulse gingen u. a. in die Lebensreformbewegung mit all ihren Verästelungen bis hin zur Gartenstadtbewegung, auf den literarischen Naturalismus (gemeinsam mit dem unweit in Erkner wohnenden Gerhart Hauptmann), auf die Volkshochschulbewegung und den Anarchismus aus. Besonders bekannt sind die von Bruno Wille mitbegründete Volkshochschule und die Freie Volksbühne, die noch heute am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte ihr Domizil hat.

Über Leben, Wirken, Projekte und Personen des Dichterkreises informiert seit 1996 der Kulturhistorische Verein Friedrichshagen e.V. Zweck dieses engagierten und gemeinnützigen Vereins ist die Förderung von Bildung, Kunst und Kultur. Der Verein unterhält das Dichterkreismuseum, das in wechselnden Ausstellungen über allgemeine und besondere Aspekte des Themas informiert. Es befindet sich im Antiquariat Brandel in der Scharnweberstraße 59 in Friedrichshagen. In Verbindung mit der periodisch herausgegebenen Zeitschrift Hinter der Weltstadt. Mitteilungen des Kulturhistorischen Vereins Friedrichshagen“ (nach dem gleichnamigen Buch Wilhelm Bölsches: Hinter der Weltstadt. Friedrichshagener Gedanken zur ästhetischen Kultur, Jena 1912) möchte der Verein an den Friedrichshagener Dichterkreis erinnern; die Öffentlichkeit mit den Werken, Auffassungen, dem Leben und Wirken der dem Dichterkreis zugehörenden Personen bekannt machen; an die sich um die Jahrhundertwende in Berlin und Preußen bildenden Reformbewegungen erinnern, diese erforschen und darstellen; zur Aufarbeitung und Darstellung der Kulturgeschichte des Ortsteils Friedrichshagen beitragen und kulturhistorische Anziehungspunkte für Berlin und das brandenburgische Umland schaffen.

Der Kulturhistorische Verein pflegt zahlreiche Kontakte zu anderen literarischen Vereinen des In- und Auslandes und ist seit 1999 Mitglied in der „Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten“. Seine regelmäßigen Veranstaltungen und Ausstellungen gehören inzwischen zu einer festen Größe im Kulturangebot von Friedrichshagen, Köpenick und darüber hinaus. Ausstellungsthemen der letzten Monate waren u. a. „Die Redaktion im Grünen: Wilhelm Bölsche als Chefredakteur der Freien Bühne“, „Fidus – Künstler alles Lichtbaren“, „Weltgeist wo bist du? Die Neue Gemeinschaft am Schlachtensee 1902–04“, „Wilhelm Spohr und die Kulturtradition. Der letzte Chronist des Friedrichshagener Dichterkreises“, „Das literarische Werk der Charlotte E. Pauly“ und „Bruno Wille – Leben und Werk“. Für Oktober 2000 ist die Großausstellung mit anschließendem Symposium „Adolf Brand und die Gemeinschaft der Eigenen. Der Aktivist der Emanzipation der Homosexuellenbewegung im Reformgeist der Jahrhundertwende“ in Planung.

Im Jahre 2003 feiert Friedrichshagen sein 250. Jubiläum. Vielleicht wird dann die Utopie Realität und dem Dichterkreis wird eine dauerhafte Gedenkstätte mit angeschlossenem Archiv und Forschungsmöglichkeit eingerichtet.

Sara Melchert

Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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