Literaturstätten


Status der kleinen Freiheit

Auf der „Straße der Enthusiasten“ zur Lesebühne
der vier „schönsten Schriftsteller Berlins“

Die erste Viertelstunde ... Wer da durch ist, bleibt auch. Läßt sich was erzählen oder vorsingen, aufputschen oder verwirren, anöden oder amüsieren. Happy-tour. Ungefähr zwei Stunden dauert das Spektakel. Seine Erfinder haben es „Straße der Enthusiasten“ genannt. Die vier „schönsten Schriftsteller Berlins“ geben sich jeden Donnerstag in der „Tagung“ die Ehre. Berlin, besonders sein östlicher Teil Friedrichshain, hat seit etwa einem Jahr ein neues Lesebühnen-Irrlicht. Die enthusiastischen Chauseestreuner wollen Leute vorsätzlich zum Lachen und (un)absichtlich zum Denken bringen - wenn sie überhaupt was wollen. Andererseits: Wer will schon gar nichts wollen.

Die „Tagung“ in der Wühlischstraße öffnet zum Abend, die Sitzungen gehen bis in die Morgenstunden, die Gäste sind eher jung, es wird Bier getrunken und gequatscht. Eine Kneipe wie andere. Naja, nicht ganz. Ihr sogenanntes Ambiente hat den rustikalen Charme von DDR-Kantinen. Lenin wirft gipserne Blicke, Schilder erinnern an längst abgewickelte Betriebe, allerlei Zierrat des ehemaligen Alltags schmückt die Räume - unauffällig und inzwischen für ein Lächeln gut. Man erinnert sich. Prost. Zur Lesung geht es ab in den Keller. „Ich finde es gar nicht so extrem häßlich hier“, sagt ein Jungmensch hinter mir. Dann geht seine Stimme im Geräuschemix klanglos unter. Es ist nicht nur schön laut, sondern auch ziemlich duster im Keller. Die Luft wird gemütlich warm und das Atmen schwerer. Husten. Das Kellerchen ist voll. Mikroprobe: Bla-bla. Es kann losgehen.

Auf der „Straße der Enthusiasten“ schlendern Robert Naumann, Dan Richter, Andreas Gläser und Jochen Schmidt gelassen durchs Leben. Das von ihnen in die Welt gesetzte Gerücht, die schönsten Schriftsteller der Hauptstadt zu sein (Achtung: Ironie), läßt sich im Dreiviertel-Dunkel nur schwer überprüfen, zumal zwei von ihnen, Robert und Jochen, an diesem Abend fehlen. Dafür lesen im bewährten Austauschprinzip der Lesebühnen Wladimir Kaminer vom „Mittwochsfazit“, Robert Weber von den „Surfpoeten“, Volker Strübing von, ich weiß nicht woher, und - als Debütantin - Lucia, von der Dan Richter meint: Wenn sie mal berühmt ist, kann ich sagen, ich habe sie entdeckt. Für Entdeckungen ist die Lesebühnenszene durchaus ein Reservoir. Jüngste Beispiele: Jochen Schmidt mit Triumphgemüse und einem Roman in Arbeit, Wladimir Kaminer mit Geschichten in der Russendisko, Ahne von der „Reformbühne Heim & Welt“ kommt demnächst mit Wie ich einmal die Welt rettete bei Kiepenheuer & Witsch heraus. Es hat sich halt so ergeben. Im Biotop der Lesebühnen wuchern neben Spaß, Geselligkeit und kreativem Experiment auch Schreibtalente. Neue Geschichtenerzähler wachsen selbstbewußt in die literarische Öffentlichkeit hinein. „Abwarten, ob das nicht so'ne blöde Welle ist, ein Strohfeuer.“ Robert Weber meint wohl die mediale Gier auf personelles Frischfutter und verwertungsträchtige Themen, die, nett angerichtet, hastig verschlungen werden - der Nächste bitte. Dan Richter und Andreas Gläser machen sich ebenfalls nichts vor über Marktpräsenzen. Es geht ihnen am Arsch vorbei, was die „gesellschaftliche Öffentlichkeit“ oder irgendeine „Szene“ gerade mal zum „Muß“ erklärt. Spaß ist ihr Ding. Dan „will jede Woche `ne gute Show machen“ und hält im übrigen seine Sachen „nicht für lesbar“. Andreas Gläser hat eigentlich nie davon geträumt, ein Schriftsteller zu werden. Der Tiefbauarbeiter („Marzahn kenn ich noch als Dorf“) geriet als „ein normaler Biertrinker“ in einer Fußballkneipe zufällig ans Schreiben und Vorlesen, hat Geschmack daran gefunden und grüßt ansonsten ganz herzlich das Arbeitsamt Nord. Aber jähe Wendungen sind ja nie auszuschließen: Vor zwei Monaten waren doch tatsächlich Rowohlt-Leute auf ihrer Pirsch im „Tagungs“-Keller angekommen und haben auch Andreas Gläser angesprochen. Nun könne es sein, daß im Herbst 2001 seine gesammelten Werke herauskämen. Er grient. Naja, damit könnte er leben.

Vielleicht hat doch jeder den kleinen Traum vom Erfolg. Oder eben nicht. Warum schreiben sie? Dan stellt zur Wahl: Geld, Frauen, Ruhm. Nun rate mal. Eine Stunde später ist die Antwort klar und blond. „Mal im Ernst. Die Leutchen haben so ihre Vorstellungen, was das soll.“ Einig sind sich Publikum als auch die schreibenden (Lebens-)Künstler darin, daß sie miteinander Spaß haben wollen. Sich offen aufeinander einzulassen, ist Teil des Vergnügens. Bei den Lesebühnen sieht Dan Richter drei grobe Richtungen, „'ne literarische, eine kabarettistische, und andere betrachten das alles als Party. Bei mir hängt es von den Texten ab: pures Lachen oder die Leute verwirren“. Das ergibt sich dann meistens während der Lesungen, die erfreulich und bestürzend frei sind von Eifer und Ehrgeiz zur schnittigen Perfektion. Vielleicht kommt gerade deswegen Freude auf und so eine unbekümmerte Stimmung, in der auch mal gestottert oder sich verlesen werden kann. Peinlich - das Wort existiert nicht. Die Bereitschaft zum Amüsement bleibt ungebrochen.

So geht der Lese-Abend zügig seinem Bier-und Rede-Ausklang entgegen. Erzählt wird sehr Alltägliches: Erlebnisse einer nächtlichen U-Bahnfahrt, die sängerischen Tücken eines Irland-Urlaubs, Gassi-Gehen am Kollwitzplatz, dem Eldorado hauptstädtischer Milchkaffeetrinker, die Folgen der staatlichen Bildungsmaßnahme „Geschäftsmann 2000“ für einen jungen Russen, morgenländische Audienz bei einem Döner-Türken, Skurilles über einen Pfandflaschenannahmeautomaten. Märchenhaftes über einen Mann und eine Wolke - also alles, was in der Wirklichkeit passiert und im Kopf sowieso. Kaum etwas wird aalglatt auf Effekt geschrieben, Texte entstehen in erster Linie aus Spaß an der Freude. Wenn es anders wäre würde Andreas Gläser es „schlecht finden“. Natürlich läßt sich munter darüber sinnieren, ob diese Haltung nicht die des Fuchses und der zu hochhängenden Trauben ist, ob da nicht doch eine unverwüstliche Hoffnung auf den „Durchbruch“ flackert - und ob nicht am Ende verletzte Autoreneitelkeit hinter der Coolness steckt. Das alles kann man mutmaßen - und bewegt sich damit brav und zeitgemäß im üblich engen Denkrahmen, nach dem einer erst was werden muß, wenn er denn wer sein will. Nee, bei diesem Spielchen machen sie nicht mit. Null Anreiz, dafür den Status der kleinen Freiheit aufzugeben, die u. a. darin besteht, nicht dem Zeitgeist (was immer das ist) hinterher zu hecheln, sich außerhalb der Top-und Flop-Raster zu bewegen und das eigene Tun und Lassen nicht zu Markte zu tragen. Und aus dieser Haltung keinen Kult zu machen, der sich dann prima verkaufen ließe. Vielleicht ist es das: keine Ware zu werden. Aber auch das bleibt eine - Vermutung.

Wirklich sicher scheint nur eins: Das Lese-Bühnen-Leben ist wie es ist - und auf jeden Fall ganz anders als man denkt.

Burga Kalinowski

Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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