Eine Rezension von Daniela Ziegler


Wie viel Sammlung braucht der Mensch?

Volker Ilgen/Dirk Schindelbeck:
Jagd auf den Sarotti-Mohr
Von der Leidenschaft des Sammelns.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1997, 212 S.


Der Mensch sammelt bekanntlich. In grauer Vorzeit sammelte er Beeren, Kräuter und Wurzeln, schon immer sammelt er Erfahrungen und ab und an sich selbst bei Gottesdienst und Meditation. Briefmarken sammelt man nicht nur aus Interesse an fremden Ländern, sondern durchaus auch zu erotischen Zwecken: „Möchtest du meine Briefmarkensammlung anschauen?“ Eine Freundin meiner Mutter sammelt Steiff-Tiere und eine Kollegin Porzellan-Eulen.

Seit ich das Buch der beiden Autoren und Faktensammler gelesen habe, weiß ich, daß auch ich mit einigem Vorbehalt zu den Sammlerinnen gezählt werden kann. Mein Lebtag würde ich mich nicht von meinem pastellfarbenen Melitta-Service aus den 50ern trennen. Selbstverständlich benutze ich es nicht, niemals. Mit dieser sentimentalen Vorliebe gehöre ich zur großen Sammlergemeinde der Melitta-Erzeugnisse. Die Firma in Minden an der Weser profitiert davon. Bessere Werbung kann es nicht geben.

Fast jede/r tut es also. Aber warum bloß?

„Arme Gesellschaften sammeln nicht, oder sie sammeln, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt ... Insofern ist die Frage, wie viel Sammlung der Mensch brauche, immer auch eine Frage, die an das Kollektiv zurückgegeben werden kann: Wie viel Sammlung braucht eine Gesellschaft, die ihre Zerstreuungsindustrie nur noch schwer ertragen kann und die sich... unablässig zu Tode amüsiert?“

Sammlung als Ausgleich zu Zerstreuung also.

Aber auch Rückwärtsträumen in eine als ideal erlebte Kindheit, denn - wie die Autoren sagen - auf Sammlerbörsen läßt sich „empirisch nachvollziehen, daß Sammeln der ewige Männer-Selbstversuch bleibt, mit dem Erwerb der Droge Kindheitstraum aus dem Zwang der Gegenwart, erwachsen sein zu müssen, auszubrechen“. Ein Traum, den im übrigen auch Frauen träumen. Wenn ich da an mein 50er-Jahre-Melitta-Service denke ...

Überhaupt haben alte Werbung bzw. die Erzeugnisse bestimmter Firmen bei Sammlern einen hohen Stellenwert (siehe „Überall singt man's im Chor, vielen Dank Sarotti-Mohr!“, „Das Ei des Ferrero“, „Leben und Taten der Wikinger“, Der sammelnde Pfarrer von Gstaad “). „Bahnhofsmission am Zauberberg. Die Emailschilder-Kollektion des Pfarrers von Gstaad“, nimmt zum Beispiel „gern Emailschilder oder andere Werbeobjekte mit in den Gottesdienst, als Anschauungsmaterial bei der Predigt. Alte Werbung ... erinnert viele Leute an ihre Jugend und läßt sie von daher schon aus Nostalgie aufhorchen.“

Andere Themen des Buches sind die Büsten-Sammlung der Walhalla und ein sehr spannender und lesenswerter Bericht über das Zusammentragen von Originalen aus dem DDR-Alltag („Zschopauer Tagebuchblätter. Sozialistica-Sammler im deutschen Osten.).

Kein Buch zum Schwelgen, sondern eine kulturgeschichtliche Betrachtung, die sich mit vielen schlauen Analysen um kritische Distanz zum Phänomen „Sammeln“ bemüht. So erfahren wir, daß der Sammler - aus psychoanalytischer Sicht - „auf der analen Stufe stehen(bleibe), da seine Beziehung zu Menschen wie Objekten gestört sei: Die libidinöse Bindung, die er zu seinesgleichen nicht eingehen könne, erwarte er von den Objekten. Da genitale Geschlechtsbeziehung und Sammeln sich gegenseitig ausschlössen, entstehe zwanghaftes Verhalten.“

Das hört man nicht gerne. Tröstlich ist, daß die Autoren sich selbst als Sammler „outen“, womit man mit der eigenen mangelnden libidinösen Bindung an seine Mitmenschen zum Glück nicht alleine ist ... (Wer gründet mit mir eine Selbsthilfegruppe anonymer Sammler?)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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