Eine Rezension von Bernd Heimberger


Effekt ohne Effekthascherei

Helene Weigel
In Fotografien von Vera Tenschert.
Henschel Verlag, Berlin 2000, 223 S.


Es weigelt wild. Bittschön, i bin ma dran, könnte die Geehrte mit selbstverständlicher Selbstironie im Wiener Akzent sagen. Was Wien mit seiner berühmten Tochter anzufangen weiß, die schon 1922 in der deutschesten aller deutschen Provinzen, in der preußischen Doppelhauptstadt Berlin landete? In der Bundeshauptstadt Berlin hat die Berlin-Brandenburgische Akademie der Künste der Duse des Proletariats - oje! -, die keine proletarische Duse war, eine Ausstellung eingerichtet. Wem der Weg in den Berliner Hanseatenweg zu weit ist, hält sich an die Bücher, die Helene Weigel ehrend, verklärend, verhalten-kritisch feiern. Die Hundertjährige, die so handfest-pragmatisch war, der jede Äußerlichkeit Nebensache war, ist nun auf den Andachts-Sockel gehievt. Nix mehr da von der Frau in Schluppen, sprich Schuhen, die sie dazu machte? Weigel, Helene, konnte aussehen, als hätte sie gerade den Herd verlassen, um mal schnell um die Ecke zu schlurfen, weil das Salz ausgegangen ist.

Wie sie war, so durften sie alle sehen. So fotografieren durfte sie nur eine. Die durfte Helli zu ihr sagen und war die Hausfotografin und Freundin des Hauses. Vera Tenschert, ihr Name, war nicht nur in der Nähe der Prinzipalin, die bislang noch immer die bedeutendste Intendantin des Berliner Ensembles war, sie war ihr wirklich nah. Knapp zwei Jahrzehnte, in denen sie die Jugendlichkeit der Alternden sah, das Temperament der Ruhelosen, die Intensität der Künstlerin, die verlangende, helfende, wissen wollende Umgänglichkeit der Menschenfreundin. Zwei Jahrzehnte einer Frau, die Mutter und Großmutter war, Kollegin, Kumpel, Vertraute, Freundin, die sehr liebte, was in Gottes Natur wuchs. Vor allem Pilze und Blumen. Manchmal staunt man, daß die Schlichte und Einfache, die alles andere als eine Schlichte und Einfache war, Schmuck trug. Auch Frau Weigel, deren eindrucksvollster Schmuck ihre Augen waren, dekorierte sich. Effekte des Effekts wegen, waren nicht nach ihrem Geschmack. Deshalb passen die Fotografien der Tenschert so gut zu Helene Weigel. Keine effektvollen Fotos einer Frau, sind die Fotos voll Effekt in der Wiedergabe der späteren Jahre der Weigel. Kindchen, hast's schön gemacht, hätte die Porträtierte die Porträtistin für das Fotobuch gelobt. Schön hätte Weigel gesagt und menschlich gemeint. Nun kann Deutschland sehend etwas hinzulernen, was Bürger in der DDR schon wußten. Und die Österreicher?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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