Eine Rezension von Friedrich Schimmel


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Das Universum ist hier

George Tabori: Gefährten zur linken Hand
Roman.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Wend Kässens.
Aus dem Englischen von Ursula Grützmacher-Tabori.
Gerhard Steidl Verlag, Göttingen 1999, 366 S.


Der 1914 in Budapest geborene George Tabori begann mit Romanen, schrieb später Drehbücher und ist in den letzten Jahrzehnten durch seine Dramen auf vielen Bühnen der Welt bekannt geworden. Kürzlich legte der Göttinger Steidl Verlag den Roman Gefährten zur linken Hand vor, nachdem schon zuvor die drei anderen Teile der Kriegstetralogie Tod in Port Aarif, Ein guter Mord und Das Opfer erschienen waren. Wer das komödiantische Temperament von George Tabori kennt, wird auch in diesem Roman auf seine Kosten kommen.

Sommer 1943, Krieg ist in Europa, und doch gibt es Orte, wo man auf den ersten Blick noch wenig davon spürt. Ein solcher Ort ist San Fernando an der italienischen Adriaküste. Hier treffen Intellektuelle und genügend Einwohner aufeinander, die arbeitend oder spielerisch mit der Welt umgehen. Der Schriftsteller Stefan Farkas gehört zu den Gefährten der linken Hand, die im Koran (Die 56. Sure: Der Unvermeidliche) zu jenen gerechnet werden, die „in glühendem Winde wohnen und siedend heißem Wasser und unter dem Schatten eines schwarzen Rauches, der weder kühl noch angenehm ist“. Dem Stückeschreiber Farkas gehen pausenlos die trivialen Plots seiner erfolgreichen Boulevardstücke durch den Kopf, mit denen er einen gewissen Ruhm und ziemlich viel Geld anzuhäufen versteht. In diesem ruhigen Badeort an der Adria will er sein neues Stück schreiben, das provisorisch einfach nur „Etwas“ heißt. Ein spöttischer, ein sarkastischer Autor ist dieser Farkas, umgeben von Figuren, die Exponenten politischer Haltungen sind. Der Kommunist Giacobbe di Bocca verkörpert die Idee des antifaschistischen Kampfes, während der etwas ungehobelte Dorfbürgermeister Don Innocenzo für den Gedanken der nationalen Erneuerung Italiens streitet. Im Herbst 1943 schlagen die Wellen hoch in Italien. Nicht nur Mussolini, auch der Bürgermeister Innocenzo wird an einen Laternenpfahl gehängt. Die Protagonisten des Romans sind Himmel und Hölle ausgesetzt, nur einer scheinbar nicht, der ignorante, distanzierte und an allem Unbeteiligte Farkas. Er lebt eine quasi freie Existenz, bindungs- und verantwortungslos. Das ist das moralische Thema des Romans. Gezeigt und erzählt wird, wie dieser Farkas schuldig wird, weil er Zuschauer war, weil er ans Theater dachte und dabei das Welt-Theater unmittelbar vor seinen Augen übersah. Vielleicht auch übersehen wollte. Denn es geht um existentielle Fragen, um Tod oder Leben, um Schuld oder Verantwortung. Im Badeort leben Fischer, Bauern, Handwerker, Arme und Arbeitslose. Ihnen und nicht dem gefall- und erfolgssüchtigen Farkas gilt Taboris Sympatie. Aber er spielt auch sein theatralisches Spiel mit dieser Figur des schlaff-schlappen Scheins. Stellt einen Mann vor, der genau zu wissen scheint, wo der Mittelpunkt der Welt ist. „Das Universum ist hier“, sagt er spöttisch-sarkastisch und tippt voll sicheren Glaubens sich an die Stirn, „und ich kann damit machen, was ich will.“

Das nicht in der Welt Sein- und das über die Welt Verfügenwollen, hier wird es atmosphärisch erzählt, in einer anekdotisch-spannenden Umgebung, im Gegenüber von Idylle und Katastrophe. Erst als es ganz heiß an diesem Ort in Italien wird, deutsche Truppen den italienischen Widerstand niederschlagen wollen, beginnt Farkas aufzuwachen aus seinen Träumen, die bisher etwas einseitig und gar nicht universal dem Boulevardtheater gegolten haben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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