Eine Rezension von Ulrich Blankenfeld


Bissl Böhmen

Joachim John: Der Stubenreiter
Mit Illustrationen des Autors.
federchen Verlag, Neubrandenburg 2000, 111 S.


Einen Zeichner wie Horst Janssen gibt's nur einmal in einem halben Jahrhundert. Janssen war der Zeichner in der Bundesrepublik. Kettner und John wurden die Zeichner in der DDR. Joachim John, aus dem böhmischen Falkendorf, machte sich im Laufe seines Lebens im Mecklenburgischen eine Heimat möglich. Im Verfinsterungsjahr 33 geboren, ist er in die Jahre gekommen, in denen Leben stärker wird - und auch gestärkt - durch Erinnerungen an gelebtes Leben. Es ist was da, um was zu erzählen. Der Künstler läßt sich aufs Erzählen ein. „Die Erinnerung ist der Motor der Phantasie“, sagt John. Womit, zunächst, nur angedeutet ist, daß Metaphern nicht die Stärke des Schreibers sind. Seine Sache sind präzise, detailreiche Erinnerungen, die sich gut für eine berichtende Prosa eignen. Der untrügerische Sinn des Prosaisten fürs Parodistische kommt sämtlichen Erzählungen zugute und macht die Lektüre des Buches Der Stubenreiter zum Vergnügen. Literarisch wie keine andere, ist die ins Märchenhafte gesteigerte Titel-Erzählung nicht die charakteristischste für den Band. Trotz des Mottos: „... beschreibbar ist alles, ob es war oder nicht“, hält sich der Autor mehr an das War, das ihm einen Zyklus von Erinnerungen an die böhmische Kindheit ermöglichte. Beginnend mit dem eher ums Authentische bemühten Text „Bissl Anfang“ bis zu dem, der von den Tagen des „Zusammenbruchs“ im Jahre 1945 erzählt - „Der deutsche Enkel“. Der Spaß am Wort hat den erinnernden Erzähler zu einem fröhlichen Wanderer durch seine Biographie gemacht. Berichtend-erzählerisch, erzählerisch-berichtend hat John einprägsam eindrucksvolle Erlebnisse seiner böhmischen Jahre aufbewahrt. Geschichten kommen zum Vorschein, die ein heiteres, unverkrampftes, deshalb nicht weniger problematisches Böhmen zeigen, denn problematisch war die Zeit der dreißiger und vierziger Jahre. Das Wort Vertreibung kommt dem Erzähler nicht über die Lippen. Dennoch ist daran ständig zu denken. Und zwar ohne Mühe. John macht mit seinen Böhmen-Besinnungen klar, wer gut mit sich umgeht, läßt sich nie, von niemand aus seiner Kindheit vertreiben. Das bissl Böhmen des Joachim John ist ein Schlüssel, der jedem seine Kindheit erschließt. Das macht empfänglich. Nicht sentimental, denn die Geschichten sind so stabil, weil sie von tatsächlichen Gefühlen erzählen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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