Eine Rezension von Christian Berger


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Sehnsucht nach Sozialismus?

Leben mit der DDR
Reinhard Höppner im Gespräch.
Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.).
mdv Mitteldeutscher Verlag, Halle 2000, 212 S.

Leben in der DDR! Das war das eine. Leben mit der DDR das andere. Zunehmend lebten zu viele in der DDR immer weniger mit der DDR. Mit ein Grund, daß die DDR lebensunfähig wurde. Kommt ein Buch mit dem Titel Leben mit der DDR daher, ist Neugier gerechtfertigt. Auf jeden Fall sollte die Sache stutzig machen, zumal ein Prominenter Prominente zum Gespräch über das „Leben mit der DDR“ eingeladen hat. Gastgeber der Begegnungen war Reinhard Höppner, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Der hatte doch tatsächlich einige Original-„Ostdeutsche“ im Dialog. Sie heißen Manfred Stolpe, Christa Wolf, Marion Gräfin Dönhoff. Ihre Geschichten gehen - in des Wortes Sinn - über die Grenzen der Geschichte von DDR und BRD hinaus. Die Genannten wurden geboren, wo heute nicht mehr Deutschland ist. Jenseits der Oder. Was von Belang ist, wenn vom Späteren, sprich dem „Leben mit der DDR“ geredet wird. Über die DDR reden heißt, über mehr zu reden als die DDR. Deutschlands Geschichte drängt ins Gespräch. Vor allem in das mit der Gräfin, das vorwiegend eines ist über Vertreibung, über deutsche Verantwortungslosigkeit in der Geschichte und Verantwortung für die Geschichte. So was gehört zur Dönhoff. Gut so! Das Dreibuchstabenland bleibt da außen vor. Nicht so gut! „Es paßt natürlich nicht alles in solch einen Abend hinein“, stellt der Gesprächsleiter fest und charakterisiert damit auch die anderen Runden. Der moderate Politiker schiebt - so er kann - passend wie unpassend, direkt wie indirekt, immer ein bißchen DDR-Leben mit ein. Nicht selten ufern seine Fragen zu eigenen Statements aus. Reinhard Höppner hat eine eigene Stimme. Christa Wolf attestiert er: „Sie haben uns heute mit Ihrem Beitrag geholfen.“ Inwiefern? Indem Wolf zugibt: „Bekenntnisse ablegen, das lehne ich ab?“ Nachdem sie zuvor erklärte - oder bekannte? -, weshalb sie aus dem Land nicht weggegangen ist. Nämlich, weil ihr das westliche System „auch nicht so zukunftsträchtig“ schien. Hat das Leben in der DDR, mit der DDR, die stille Sehnsucht stabilisiert, daß mal so was sein könnte wie Sozialismus, nachdem das kein Sozialismus war, was war? Das ist die Frage aller Fragen. Sie müßte ständig gestellt werden. Sie ist die substantielle Frage, die Sinn macht, wenn über „Leben mit der DDR“ gesprochen wird, das Folgen für das Leben in Deutschland hat. Vielleicht gelängen Antworten nur im aufbewahrenden Aufschreiben, da im erinnernden Gespräch zu viele Einzelheiten verlorengehen. Die von und mit Reinhard Höppner geführten Gespräche sind Annäherungen an das „Leben mit der DDR“. Mehr zu erwarten heißt, schon wieder zuviel zu erwarten. Wie meist!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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