Eine Rezension von Ulrich Wyrwa


Interessantes aus dem Milieu des Berliner Bildungsbürgertums

Ludwig Börne: Berliner Briefe
Herausgegeben von Willi Jasper.
Philo-Verlagsgesellschaft, Berlin 2000, 135 S.


Als Ludwig Geiger vor knapp einhundert Jahren erstmalig eine vollständige Ausgabe der Briefe besorgte, die Ludwig Börne 1828 aus Berlin an seine Freundin Jeanette Wohl geschrieben hatte, ging es ihm noch darum, an einen zu Unrecht vergessenen und verkannten Autor zu erinnern. Heute hat sich die Situation grundlegend geändert. Nachdem in den 60er Jahren eine Gesamtausgabe von Börnes Schriften erschienen ist (die ebenfalls von Ludwig Geiger 1911 begonnene historisch-kritische Ausgabe war noch unvollendet geblieben), ist das Interesse an diesem Autor rapide gestiegen. So ist 1989 eine umfangreiche Biographie Börnes von Willi Jasper erschienen, und 1997 veröffentlichte Hans Magnus Enzensberger eine Dokumentensammlung über das schwierige Verhältnis von Ludwig Börne und Heinrich Heine unter dem prägnanten Titel Ein deutsches Zerwürfnis. Ausdruck für die große Aufmerksamkeit, die Börne nunmehr geschenkt wird, ist nicht allein dessen erneute Präsenz im Stadtbild von Frankfurt/M., seiner Geburtsstadt, sondern auch der regelmäßig in der Frankfurter Paulskirche verliehene Börnepreis, der in diesem Jahr dem Publizisten Rudolf Augstein zugedacht ist, der, so die Jury, wie kaum ein anderer Publizist in der Bundesrepublik Deutschland in der aufklärerischen und freiheitlichen Tradition stehe, die Ludwig Börne in der deutschen Geistesgeschichte begründet habe.

Börne ist heute somit alles andere als ein vergessener oder verkannter Autor. Seine Person aber, seine subjektiven Erfahrungen und Erlebnisse, sein Blick auf die kleinen Dinge des Lebens sind unter dem großen Etikett, das ihm nunmehr anhaftet, eher verdeckt. Insofern ist es verdienstvoll, daß der Biograph Börnes Willi Jasper eine neue Edition gerade dieser Briefe vorgenommen und sie mit einer kurzen Vorbemerkung und hilfreichen Erläuterungen versehen hat. Sie geben nicht nur einen Blick auf die persönliche Liebesgeschichte Börnes zu Jeanette Wohl, der Adressatin. Darüber hinaus schildert Börne in ihnen minutiös die Moden und den Habitus des Berliner Bildungsbürgertums, das Netzwerk ihrer sozialen Beziehungen und die Regeln ihres gesellschaftlichen Verkehrs. Daß Ehre, Ansehen und Eitelkeiten dabei eine zentrale Rolle spielten, machte Börne nicht zuletzt an sich selbst fest, wenn er stolz berichtete, wie er, der vielgelesene und bewunderte Autor, in den Berliner Kreisen herumgereicht wurde. Und wie sehr das soziale Prestige von Autoren schon im Jahr 1828 von einer Kulturindustrie vermarktet wurde, zeigt Börnes Bitte an Jeanette Wohl, sie möge ihm doch zwei von den Tassen, die mit seinem Bildnisse hergestellt worden seien, zuschicken. Nicht der politische Journalist, nicht der engagierte Republikaner kommt hier also zu Wort, sondern der humorvolle und ironische, mitunter auch sarkastische Beobachter des Milieus der Berliner Intellektuellen.

Was diese Briefe darüber hinaus so aufschlußreich macht, ist Börnes zwiespältiges Verhältnis zu seiner eigenen jüdischen Herkunft. Es wechseln abschätzige mit selbstironischen, liebevolle mit bösartigen Bemerkungen über Juden, und immer wieder finden sich Anspielungen auf die Taufe, der sich zahlreiche Juden seiner Zeit und seines Milieus unterzogen haben. Ein großer Teil derjenigen, denen Börne im Berliner Bildungsbürgertum begegnete, stammte aus jüdischen Familien, die bösartigen Tiraden aber, die im Umfeld der Berliner Romantik gegen Juden losgelassen wurden und die das tolerante Klima der Aufklärungszeit vergiftet hatten, nahm Börne nicht zur Kenntnis.

So sehr Börne sich auch um eine Heirat mit Jeanette Wohl bemühte und sich in Berlin unter anderem erkundigt hatte, welche Unterlagen bei Behörden für einen Ehevertrag vorgelegt werden müssten, blieb dieser Wunsch unerfüllt. Wenig später heiratete Jeanette Wohl den Kaufmann Salomon Strauss, Ludwig Börne aber blieb sie auch weiterhin verbunden. Bis zum Tod Börnes 1837 lebten alle drei in einer Wohngemeinschaft in Paris zusammen, eine Beziehung, die an einen frühen „Jules und Jim“ denken läßt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite