Eine Rezension von Sabine Kaldemorgen


Surrealistische Träumer

Fernando Aramburu: Limonenfeuer
Roman.
Aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann.
Klett-Cotta, Stuttgart 2000, 741 S.


Bücher verdrehen dem Leser mitunter den Kopf. Zumindest in der spanischen Literatur. Wie bei Don Quijote kreisen die geistigen Höhenflüge der Helden in Limonenfeuer um literarischen Ruhm. Doch nicht die Ähnlichkeit des Motivs hat die Kritiker in Spanien dazu veranlaßt, das Romandebüt von Fernando Aramburu mit dem Klassiker zu vergleichen, sondern seine Erzählweise. Die Geschichten innerhalb der Geschichten erinnern an Cervantes, der distanzierte, ironische Blick auf menschliche Schwächen an Quevedo, die grotesken Abenteuer an Valle-Inclán und der Grundtenor an die Blütezeit der Schelmenromane. Schelmisch geht es in der Tat zu, doch die Charaktere sind sehr modern.

Hilario Goicoechea fühlt sich schon als Schüler zum Dichter berufen und erntet in seiner Klasse nur Hohn und Spott. Eines Tages lernt er in seiner Heimatstadt San Sebastián Gleichgesinnte kennen und gründet mit ihnen eine literarische Gruppe namens „Platte“. Zusammen setzen sich die sechs Jugendlichen zum Ziel, „die Methoden der ETA auf den Kulturbetrieb zu übertragen“. Die Handlung ist fiktiv, doch der politische Hintergrund der ETA-Aktionen Ende der 70er Jahre ist real, ebenso die Stadtviertel und Bars, die zum Aktionsradius des Literaturzirkels gehören. Unter der Fahne des Surrealismus planen die Jugendlichen Skandale und Aktionen, die in der Gründung einer Zeitung, der Veröffentlichung eines Manifestes und dem Aufruf zu einem Dichterwettbewerb gipfeln. Mit Tatendrang verballhornen Hilario, Izaskun, Genaro, Schöni, Josu und Klimbin die überkommenen Maßstäbe in der baskischen Provinz. In einer Zeit des Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie haben sie neue Freiheiten, aber auch eine unsichere Zukunft vor sich. Die gemeinsame Leidenschaft für Bücher bietet ihnen eine sichere Konstante, und der Wunsch, selbst literarische Unsterblichkeit zu erlangen, schweißt sie für einige Monate zusammen.

Fernando Aramburu, 41, hat acht Jahre an dem Roman geschrieben, der mit über 700 Seiten schon zur Kategorie des Opus gehört, und Erinnerungen aus seiner Jugend darin verarbeitet. So existierte Ende der 70er Jahre eine Gruppe unter dem Namen CLOC, zu deren Mitbegründern er zählte. Der Philologe und Sprachlehrer für spanische Emigrantenkinder im westfälischen Lippstadt bringt in Limonenfeuer seine Lust an Literatur und Sprache zum Ausdruck und setzt die Ereignisse atmosphärisch in Bilder um: „Seit vierundzwanzig Stunden blies dieser launische Wind. Am Morgen begleitete er mich zur Brauerei, er tollte um mich herum wie ein junger unvernünftiger Hund. (...) Ab und zu drang eine Bö in den Schuppen ein, und während sie wieder hinausfegte, nahm sie den Maschinendunst mit. Kurz vor Mittag spürte ich zum letzten Mal, daß er vorbeiwehte: ein Windstoß, der pfeifend zur Flaschenreinigungsanlage davoneilte.“

Fernando Aramburu überspannt die kleine, überschaubare Welt seiner Figuren mit dem Universum spanischsprachiger Literatur. Er zieht die Fäden von Schriftstellern des 15. Jahrhunderts bis heute und verbindet sie mit den Stimmen der „Platte“. Aus der Perspektive Hilario Goipocheas nimmt der Leser teil an Gesprächen über Bücher, an Bibliotheksprüfungen und an Persiflagen auf Werke namhafter Autoren, einer Marotte Schönis. „An einem Nachmittag „guillenierte“ er beim Hereinkommen, er sprach also nach Art der Gedichte Jorge Guilléns: „Frohe Botschaft! Die Fülle des Grußes! / Die Stadt in Hitze. Ich schwitze.“

In krassem Widerspruch zu den feingeistigen Zügen steht die Gewaltbereitschaft der sechs Jugendlichen. Mit Sprachwitz und dichter, szenischer Erzählweise schildert Fernando Aramburu seine Helden als Rabauken und Querköpfe. In einem Umfeld zerrütteter Familien, Alkoholproblemen und Aggressivität versuchen sie sich mit bitterbösen Streichen zu behaupten.

Das Ende des Romans entspricht der barocken Tradition des „desengaño“. Enttäuscht über den ausbleibenden Erfolg, fällt die Gruppe auseinander. Freundschaften zerbrechen wie das Fläschchen „Limonenfeuer“, ein Gebräu aus Wermut und Zitrone, das nur Dichter genießen können. Nur für Genaro, den Opportunisten, gibt es ein glückliches Ende.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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