Eine Rezension von Wolfgang Buth

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Feinfühlige Erzählungen über junge Leute – gut beobachtet

Peter Stamm: Blitzeis
Arche Verlag AG, Zürich und Hamburg 1999, 143 S.


Blitzeis ist der erste Erzählband des in der Schweiz lebenden Autors Peter Stamm. 1963 geboren, studierte er nach einer kaufmännischen Lehre einige Semester Anglistik, Psychologie, Wirtschaftsinformatik und Psychopathologie. Nach längeren Aufenthalten in Paris, New York und Skandinavien lebt er nun in Zürich und Winterthur. Seit 1990 freier Autor und Journalist, schreibt er u. a. für „Nebelspalter“, „Neue Zürcher Zeitung“, „Tages-Anzeiger“ und „Weltwoche“ und kann bereits mehrere Hörspiele für Radio DRS, Radio Bremen und den WDR, ein Theaterstück und Beiträge für verschiedene Bücher aufweisen. Seit 1997 arbeitet Peter Stamm als Redakteur bei der Literaturzeitschrift „Entwürfe für Literatur“. Sein 1998 gleichfalls im Arche Verlag erschienener Debütroman Agnes fand insbesondere bei dem jüngeren Publikum und bei der Presse große Beachtung und wurde mit dem Rauriser Literaturpreis sowie vom Kanton Zürich und der Stadt Zürich ausgezeichnet und von der Stiftung Pro Helvetica gefördert.

Der Erzählband Blitzeis enthält neun relativ kurze Erzählungen. Ihre Hauptpersonen heißen Margarita, Stefanie und Urs, Monika, Michael und Sandra, Larissa oder Dylan. Allesamt sind sie jung und unabhängig, sie sind verliebt oder verlieben sich, oder sie trennen sich: Kühl und distanziert beschreibt der Ich-Erzähler die Liebesgeschichten seiner Figuren in bewegten Bildern, die in New York („Treibgut“), Italien („Passion“) oder Schweden („Jedermannsrecht“) oder wie die Titelgeschichte („Blitzeis“) in Deutschland spielen.

Die realistischen Stories und coolen Liebesgeschichten treffen den Zeitgeist und sind voller Geheimnisse und Geständnisse. Mit psychologischem Einfühlungsvermögen charakterisiert der selbst noch junge Autor das mühsame Suchen der Jugendlichen nach einer sinnvollen Lebensaufgabe, nach dem richtigen Partner, nach Liebe und Geborgenheit ...

Das Besondere in der Erzähltechnik Peter Stamms ist die gute Beobachtungsgabe, ohne zu werten; die kurzen, übersichtlichen, klaren Sätze machen die Erzählungen zu einem wahren Lesevergnügen. So entführt uns z. B. die Erzählung „Am Eisweiher“ ins schweizerische Thurgau: „Ich war mit dem Abendzug aus dem Welschland nach Hause gekommen. Damals arbeitete ich in Neuchâtel, aber zu Hause fühlte ich mich noch immer in meinem Dorf im Thurgau. Ich war zwanzig Jahre alt. ... Es war die Zeit der Sommerferien. Draußen roch es nach Heu, und einmal, als der Zug eine Weile gestanden hatte und das Land um uns ganz still war, hörten wir das Zirpen der Grillen. – Es war fast Mitternacht, als ich mein Dorf erreichte. Die Luft war noch warm, und ich trug die Jacke über dem Arm. Meine Eltern waren schon zu Bett gegangen. Das Haus war dunkel, und ich stellte nur schnell meine Sporttasche mit der schmutzigen Wäsche in den Flur. Es war keine Nacht zum Schlafen.“ Was der Erzähler, sein Freund Urs und dessen Freundin Stefanie in dieser lauen Sommernacht am Eisweiher erleben – damit rechnet der Leser nicht. Betroffen hält er inne, bestürzt über den Umschwung der jugendlichen Gefühle. Auf dem Rücktitel des dunkelroten Einbands des schmalen Bändchens hat der Arche Verlag die Meinung des Literaturpapstes Marcel Reich-Ranicki in silberner Schrift gedruckt: „Dieses Buch gehört zu den ganz schönen und wichtigen Büchern.“

Freuen wir uns nach dem Roman Agnes und dem Erzählband Blitzeis (1999 allein fünf Auflagen) nun auf den zweiten Roman von Peter Stamm, der bald im Arche Verlag erscheint.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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