Eine Rezension von Dorothea Körner

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„... getrieben von einer dunklen Kraft, wie ein Junkie ...“

Jens-Uwe Sommerschuh: Coyote
Roman.
Rütten & Loening Berlin, Berlin 2000, 380 S.

Dieses Buch möchte man unter „Sex and Crime“ einordnen: eine Roadmowie durch halb Mexiko mit Start in der „Szene“ von San Francisco. Die Hauptpersonen des Romans sind ein ehemaliger DDR-Deutscher, der sich seit dem Fall der Mauer in der Welt herumtreibt – eben der „Coyote“ – und Vickie, eine junge kaputte Drogensüchtige aus San Francisco. Beide haben sich in Venedig kennengelernt und dort gemeinsam eine Bank ausgeraubt. In San Francisco sind sie mit falschen Pässen untergetaucht. Nun werden sie plötzlich von italienischen Mitwissern erpreßt. Eine Verfolgungsjagd auf Leben und Tod bildet den Rahmen des Romans, in dessen heimlichem Mittelpunkt eine für den „Coyoten“ unvergeßliche frühere Liebe steht. Die Entführung des damals gezeugten Kindes durch eine zweite „Gang“ wird daher zur Haupthandlung.

Der Roman ist in seinen Details nicht zimperlich. Menschen werden einer Kreissäge zum Fraß vorgeworfen, ihnen werden mit glühenden Zigaretten Brandwunden zugefügt, sie werden in Dachpappe gewickelt und einen Abgrund hinuntergestürzt oder im Hotelzimmer erhängt. Über mangelnde Spannung hat sich der Leser nicht zu beklagen. Das Buch ist flott und farbig geschrieben, in einer locker untertreibenden, oft auch metaphorischen Sprache, dem teilweise sogar witzigen Jargon „cooler“ junger Leute. „Mein Verstand tobte mit der weißen Fahne durch den Salon ... Zwischen uns hätte sich eine Schwalbe im Tiefflug die Flügel verbrannt.“ Oder: „Er schoß sofort. Die Kugel mußte von der Platte abgeprallt sein, ich hörte sie pfeifen. Später sagte ich mir, daß ihn das Abdrücken die entscheidende Sekunde gekostet haben mußte. Wäre er sofort zurückgesprungen, hätte er es noch geschafft. Die Säge freilich hatte, was sie wollte.“ – Auch die zahlreichen „Fickstunden“, deren Techniken und Lustgefühle detailliert geschildert sind, wirken trotz der Direktheit nicht pornographisch. Mir scheint, Sex ist der „rote Faden“ des Romans, die einzige Ebene, auf der das Seelenleben des „Coyoten“ stattfindet.

Der Roman spielt zunächst in verschiedenen Szenekneipen von Frisco, wo erlebnishungrige junge Leute, fernöstlich-„spirituelle“ Typen, abgewrackte Dealer, Killer und anonyme Polizisten verkehren, wo der schönste Blues gespielt, „Bloody Mary“, „Lone Oak“ oder „Anchor Steam“ getrunken, gekokst, geflirtet, gewichst, gekotzt, sich aufgelauert, zugeschlagen und geschossen wird – jedenfalls in diesem Roman. Der Held des Buches, ein Flüchtender und Gejagter, der gerettet wird und selbst ein Leben rettet, muß jede Nacht seine Bleibe wechseln, hat ein Rendezvous auf der Golden Gate Bridge, nimmt an der Beerdigung einer italienischen Millionärin teil und trifft sich mit den Kindesentführern in einem Chalet in der Sierra Nevada. Ein roter Cadillac, „Allante“ mit eingebautem Safe, der bei unsachgemäßer Behandlung den Inhalt des Kästchens einäschert, spielt eine zentrale Rolle. Die südfranzösische Stadt Carcassonne wird zur Metapher für Utopia. Indianische Sagen, Mythen und Träume, buddhistische und alttestamentarische Weisheit schmücken die Erzählung.

Neben dem schwarzen Polizisten und verdeckten Ermittler Joshua ist die siebenundzwanzigjährige Vickie, Kumpanin und Gefährtin des „Coyoten“, eine verlorene, aber auch kühne, stolze junge Frau, eine der plastischsten Gestalten des Romans, vielleicht die einzig menschlich überzeugende. Sie könnte mit Georgia (1966–1993) identisch sein, der Jens-Uwe Sommerschuh sein Buch gewidmet hat.

Der 1959 in Nordhausen (Harz) geborene Autor, der sich nach der „Wende“ längere Zeit im Ausland aufhielt, dürfte in dem Roman an eigene Erlebnisse angeknüpft haben, die er zu diesem etwas konstruierten Thriller ausgebaut hat. Seine Darstellung von San Francisco und Mexiko wirkt authentisch. In dem Roman ist der Ich-Erzähler, der „Coyote“, ein abgebrochener Theologiestudent, der die Enge seiner Heimat aus Lebensgier und Sehnsucht nach Erkenntnis der Welt verlassen hat. „... andererseits habe ich Angst vor dem Ankommen. Kann sein, daß ich das gar nicht mehr kann, ankommen. Ich bin jetzt schon so lange unterwegs, so viele Jahre schon. Vielleicht bin ich dazu verdammt, immer weiterzuziehen, getrieben von einer dunklen Kraft, wie ein Junkie ...“, heißt es einmal. An solchen Stellen meint man, echte Empfindungen des Autors zu spüren.

Jens-Uwe Sommerschuh machte sich mit seinem Roman Carcassonne und mehreren Erzählungsbänden, als Koautor zahlreicher Reise- und Kunstreiseführer sowie als Feuilletonist und Kolumnist von Tageszeitungen und Magazinen einen Namen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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