Eine Rezension von Rainer Jahn


Mehr Frust als Lust

Susanne Rehlein (Hrsg.): Bitte streicheln Sie hier!
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 2000, 192 S.


Der Titel, das Cover und die graphische Gestaltung sind wohl das Beste an diesem Buch, leider. Ansonsten enttäuscht, was die Jungen Wilden der gegenwärtigen Literaturszene zum Thema Eins beizutragen haben. 22 Autoren (9 Damen, 13 Herren) im Lebensalter zwischen 29 und 39 (nur Stephan Krawczyk/45 und Georg Klein/45 sind älter) sind mit erotischen Geschichten vertreten, die minimal eine und maximal zwanzig Druckseiten in Anspruch nehmen. Mal sind sie für das „Magazin“ entstanden, mal handelt es sich um Vorabdrucke aus größeren Arbeiten. Unkonventionell, respektlos und intelligent schriebe die junge Generation, die das literarische Leben der Gegenwart präge, befindet die Herausgeberin, und das Buch offenbare nicht nur, was der eine oder andere Autor über Erotik denkt, es werde auch den Leser erotisieren. Ich fürchte, das bleibt ein frommer Wunsch.

Wer mit Erotik Lust, Liebe, Leidenschaft und Zweisamkeit (etwa im Sinne der Sonette Shakespeares) verbindet, wird hier nicht warm. Denn er wird mehr mit Einsamkeit, Frust, Entfremdung, mit krankhafter Besessenheit, mit Erstarrung und Verunsicherung konfrontiert. Eine Wand scheint selbst die zu trennen, die miteinander vögeln („Bettgeschichte“ von Kathrin Röggla), und tiefe Liebe wird zur reinen Illusion („Wozu wird die große Liebe? Zum Eheweib – oder zur Leiche im Keller“ heißt es bei Marcus Braun in „Kampf den Dativ“). Natürlich mangelt es nicht an erektionswütigen Männern, aber die hechten mehr attraktiven Körperteilen als Geliebten oder Partnerinnen hinterher. In „Erröten“ läßte Arno Geiger seinen Helden beobachten, wie der Wind einer attraktiven Frau einen Moment lang den Rock vom nackten Po hebt. Er folgt ihr fasziniert durch die Stadt, erfüllt vom heißen Verlangen, diesen Hintern anzufassen, mit dieser Frau zu schlafen, wagte es aber doch nicht, die Schöne auch nur anzusprechen. Bei „Vor Martas Haus“ von Frank Jakubzik ist es eine Frauenbrust, die zur Obsession wird. Unfähig, sich zu offenbaren, wacht Sebastian nachts vor Martas Haus und sagt sich, wenn es tagt: „Sei ein Mann, wenigstens morgen.“

Hier geht's vorwiegend um schwache Männer, die lediglich Hirn-Passionen nachjagen, sich am weiblichen Körper entlangphantasieren und furios scheitern. In „Sklavenmarkt in Tanger“ läßt Karen Duve den schüchternen Anton, der trotz seiner 28 Jahre noch nie ein Mädchen angesprochen, geschweige denn geküßt hat, seine Phantasien im Hörsaal ausleben. Er wird darin zum Sklavenhändler, der die Peitsche schwingt und sich zum Herren seiner hübschen Kommilitoninnen aufwirft – aber für das Leben macht ihn das nicht tüchtiger. In Steffen Kopetzkys „Eros auf Reisen“ bringt der Zugkellner Leo Pardell nachts den Wein, den eine schöne und einsame Reisende bei ihm bestellt hat, voller Erwartungen und Vorfreude in ihr Schlafabteil. Aber aus dem erwarteten Schäferstündchen wird nichts – die Dame beklagt sich nur bitter über die lange Wartezeit – und knallt ihm die Türe vor der Nase zu.

„Im Supermarkt“ von Christoph Peters geht es um den schnellen Fick mit einer Zufallsbekanntschaft im Abstellraum gleich neben der Kasse – aber vielleicht ist das gar nicht ernst gemeint, ist das nur der Wunschtraum des Erzählers, so deutlich wird das nicht. Wie gefährlich es ist, wenn ein Sehnsuchtstraum zur Zwangsvorstellung wird, beschreibt Tanja Langer in jener Geschichte, die dem Buch den Titel gab. Ein in die Jahre gekommener Bibliothekar träumt da von einer verlockend schönen Kundin, die ihm statt der Leserkarte einen Zettel mit der Aufforderung „Bitte streicheln Sie hier“ zuschiebt. Sofort liebestoll aufgegeilt, wirft er alle Kleidungsstücke von sich – und landet mit der Grünen Minna in der Psychiatrie.

Die Welt des erotischen Begehrens wird einfach ein bißchen einseitig ausgelotet. Erotik ist hier selten etwas Schönes, an dem man sich erfreut, sondern mehr krankhafte Besessenheit. Zwar gibt es keinen Männertriumph (das wollüstige Begehren bleibt immer uneingelöst), aber Frauen werden eben stets als Sexualobjekte gesehen, und Verstand, Charakter, Gemüt, Seele spielen keine Rolle. Da ist es tröstlich und angenehm, wenigstens auf zwei, drei Geschichten hinweisen zu können, in denen es – wie fragmentarisch auch immer – um den ganzen Menschen geht. Da ist dann auch der Erzählton warmherzig. In „Gefunden“ von Kerstin Hensel und in „Bissel Liebe wär nett, göll“ von Kathrin Schmidt finden jeweils zwei Außenseiter (wenigstens zeitweise) zueinander (einer davon ist jeweils ein Ausländer), und in „Ella Fitzgerald“ hat John von Düffel einem Dienstboten ein schönes Denkmal gesetzt. Hier endlich geht es einmal um Menschen, die etwas für einander empfinden, nur sind leider die Spuren von Erotik hier besonders schwach.

Abgesehen davon könnte man fast meinen, die neue Autorengeneration habe hinsichtlich Partnerschaft, Liebe, Erotik, Sexualität nur frustrierende Erfahrungen gemacht. Ist sie so gebeutelt, so desillusioniert, so enttäuscht? Liegt darin der Grund für den insgesamt resignativen Charakter? Daß sie für den menschlichen Körper nur kühles Interesse an den Tag legt, ist ja so übel nicht, und die literarische Ausdrucksfähigkeit, die assoziative Bildhaftigkeit und Klarheit der Sprache sind durchweg anerkennenswert. Leider aber sind die Fabeln der Short Stories nicht stark genug (und entbehren oft der prägnanten Pointe), so daß man sich kaum noch an den Anfang des Buches erinnert, wenn man am Ende angekommen ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite