Eine Rezension von Ursula Rangeus


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„Leipziger Heldenleben“

Martin Jankowski:
Rabet oder Das Verschwinden einer Himmelsrichtung
Roman.
via verbis verlag, Scheidegg 1999, 255 S.


Der Autor, Jahrgang 1965, erzählt in seinem Romandebüt seine eigene Geschichte, die zugleich ein authentischer Bericht über die Wendemonate der Jahre 1989/90 ist, wie er sie in Leipzig erlebt hat. Das Erzählte ist dokumentarisch und fiktiv, traurig und komisch zugleich. Erzählt wird aus einer Rückblicksituation, die weitgehende Distanz ermöglicht. Da sitzt einer am 30. Dezember 1999 in Jerusalem, hat gerade vom Vorhandensein einer bereits zehnjährigen Tochter erfahren und erinnert sich an die damaligen Vorgänge. Trotz dieses Abstands vermittelt er das Vergangene mit größter Unmittelbarkeit. Der Erzähler macht die Endzeit der DDR auf suggestive Weise nacherlebbar, stellt in treffenden Details dar, wie sein Protagonist gegen Ende der achtziger Jahre begonnen hatte, die offizielle DDR zu verlassen, indem er ihre politischen Glaubenssätze ignorierte, zunehmend die moralische Schizophrenie ihrer Losungen erkannte. Sein Protagonist Benjamin Grasmann trennt sich vom angepaßt-spießigen Elternhaus, zieht in eine baufällige Wohnung im Leipziger Osten, mit dem assoziationsreichen Namen Rabet, beginnt seine eigenen Texte zur eigenen Melodie auf der Gitarre zu spielen. Er will nichts weiter, als seinen eigenen Neigungen nachgehen, erlebt aber bei öffentlichen Auftritten, daß er ein interessiertes Publikum mit übereinstimmenden Vorstellungen findet, mit seinen Texten offensichtlich den Nerv und die Stimmung vieler trifft. Durch die Ereignisse der folgenden Monate im Sommer und Herbst 1989, in denen immer mehr Menschen lautstark ihre Unzufriedenheit mit den Verhältnissen in der DDR artikulieren, wird er selbst in politische Ereignisse verstrickt, verändert sich seine bis dahin eher mentale Opposition. Er bekommt durch seine Freundin, die wegen ihrer politischen Aktivitäten vom Mathematikstudium relegiert wurde, Kontakte zu Bürgerrechtlern, radikalisiert seine oppositionelle Haltung. Erzählt wird die intime Geschichte dieser Wendeereignisse, wie man in Zusammenkünften am Küchentisch debattiert, wie sich Musikveranstaltungen zu Äußerungen des Unmuts wandeln; wie sich politische Haltungen bilden, wie Erbitterung wächst, Handlungsdrang entsteht, Büros installiert werden für Bürgeranliegen, Montagsdemonstrationen sich formieren, immer mehr Menschen auf die Straße gehen. Dazu das grotesk-komische Bild der zerfallenden Staatsmacht, die Unberechenbarkeit ihrer Entschlüsse, wie dennoch Angst zu Entschlossenheit wird bei den Demonstrationsteilnehmern. Der Zerfall eines Staatswesens wird in seinen bedrohlichen und komischen Zügen greifbar. Der Bericht hat den Vorteil, authentisch in seiner Subjektivität zu sein, er bringt die Leipziger Ereignisse, die den Umsturz der DDR einleiteten, in der Widersprüchlichkeit der Motive zur Anschauung, die die Leute auf die Straße trieben. Es wird offenkundig, daß hier kein einheitlicher Wille vorhanden war, daß sich die Opposition aus vielerlei Antrieben und Haltungen heraus speiste. Aufschlußreich ist auch die zögerliche Haltung der Kirchenleute, die erst nach erheblicher Bedenkzeit den Oppositionskräften Raum und Schutz boten. Die subjektive Authentizität bezeugt den eher mentalen Charakter der Opposition, den Mangel an politischen Handlungskonzepten und entsprechenden Denkansätzen. Der Autor stattet seinen Protagonisten mit Zügen unfreiwilliger Komik aus, macht ihn zu einem Helden wider Willen, einem Träumer, der unversehens in Situationen gerät, die ihm abverlangen, was er nicht hat, entschlossenes Handeln und Realitätssinn. Er bleibt lebensfremder Träumer, der die praktischen Lebensansprüche seiner Freundin und des Kindes, das sie erwartet, ignoriert. Eine solche Figur konterkariert die Legende von der Leipziger Heldenstadt. Der Held ist Teil des aktionsblinden Volkes, das erst aufwacht, als der Osten zum Westen gekommen ist. So läßt der Autor nebenbei auch die Gründe dafür anklingen, weshalb die Vorstellungen der Bürgerrechtler für eine reformierte DDR so schnell vom Tisch verschwanden und durch die Forderung nach der Einheit Deutschlands dominiert wurden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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