Eine Rezension von Ursula Reinhold


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Roman einer brüchigen Lebensbilanz

Christian Duda: Klar
Roman.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2000, 270 S.


Im Unterschied zu den Debüts seiner Generationsgefährten will der 1962 in Graz geborene Autor mehr als den subjektiven Erfahrungsbericht, mit dem die meisten ihren literarischen Einstieg beginnen. Dazu holt er zu einem großräumigen Familienroman aus. Klar ist der Familien- und Geburtsname einer Frau, die als Ehefrau eines aufsteigenden Unternehmers die in sie gesetzten Erwartungen als Mutter von drei Kindern erfüllt, aber den gesellschaftlichen Aufstieg mit zunehmenden Depressionen und neurotischen Konsumneigungen bezahlt. Der Mann führt das in dritter Generation ererbte Unternehmen nach der Devise „Tiefbau geht immer“ zu Gewinn und Erfolg, schafft mühelos den Sprung vom Nazimitläufer in die demokratisch gewandelte Nachkriegsgesellschaft. Er heiratet Berta Klar, weil er ihren Aufstiegswillen spürt und ihm ihr gebärfreudiges Becken Fruchtbarkeit verheißt. Kaum nimmt er wahr, daß sie an seiner Seite zunehmend an Sinnleere leidet. Leider führt der Autor die hier angelegte Konstellation nicht aus. Erzählerisch bekommen weder diese Familie noch die Mutterfigur Gewicht. Protagonistin des Romans wird Karin Hohenfels, die Tochter aus dieser Ehe. Sie ist Geburtsjahrgang 1949, ihre Geschichte wird in skizzenhaften Umrissen bis zum Mauerfall 1989 verfolgt. Sie wird von ihrer neurotischen Mutter in eine klösterliche Erziehung gegeben und gerät am Ausgang der sechziger, zu Beginn der siebziger Jahre in eine gewandelte, den klösterlichen Erziehungsnormen widersprechende liberalisierte Umwelt, die sie orientierungslos, ohne brauchbare Maßstäbe und Verhaltensnorm belassen. Der Autor parallelisiert die Lebensgeschichte seiner Protagonistin mit Stationen des bundesrepublikanischen Zeitgeistes, dem Hin und Her der intellektuellen Moden. Er konfrontiert sie mit den Ikonen der Studentenbewegung, läßt sie Bindungslosigkeit und befreite Sexualität erleben, zeigt sie in ihrer beruflichen Erfolglosigkeit, in der Unbestimmtheit ihrer intellektuellen Interessen. Sie landet schließlich auf dem Psychotrip, praktiziert buddhistische Meditationsmethoden. Daneben lebt sie ihren gehobenen Konsumbedürfnissen, die sie sich auf Grund eines ansehnlichen Erbes erfüllen kann. Schließlich gerät sie als Touristin in Kairo in eine Entführung und wird dort mit dem ganz anderen Leben einer sudanesischen Frau konfrontiert, zu der sie schließlich Zuneigung und Freundschaft empfindet, die ihr erstmalig in ihrem Leben eine gewisse innere Ruhe geben. Diese Begegnung gibt dem Autor Gelegenheit, Wissen über afrikanische Lebensverhältnisse, über Kinderarbeit und Mangel, über verheerte Landschaften, Unterdrückung und Frauenbeschneidung einzuflechten. Der Autor bleibt in seinem Bemühen, im Lichte der aufdämmernden deutschen Vereinigung die bisherige bundesrepublikanische Wohlstandsgesellschaft mit einem sinnentleerten individuellen Leben in Beziehung zu setzen, im Ansatz stecken. Wenn er diesen Rahmen nicht am Ende direkt verbalisieren würde, wäre solcher Zusammenhang für den Leser unentdeckt geblieben. Offensichtlich will er mit der gebrochenen Identität seiner Protagonistin auf die innere Brüchigkeit deutscher Verhältnisse verweisen. Dazu gibt er ihr das Bewußtsein, daß sie eine erfolglose und gebrochene Existenz führt: „Schwer und zäh fühlte sie die Konfrontation mit dieser Zahl, hinter der sich Ansprüche und Ergebnisse einer erfolgreichen Generation verbargen. Sie sah sich gescheitert, eine gescheiterte Existenz mit Millionenkonto.“ (S. 261) Andererseits schwingt sie sich im Hochgefühl deutscher Vereinigung zur Siegerpose auf: „Sie war BRD und 40!“ heißt es am Ende eines rechtfertigenden Monologs, in dem sie sich als selbständig und unabhängig, als „Individualistin inmitten der Massenprodukte“ (ebd.) sieht. Beziehungen zwischen existentieller Sinnleere und gesellschaftlichen Bedingungen, die auf diese verweisen, berührt der Autor auch im vorangestellten Motto des Buches, das Georg Lukács entlehnt ist. Es heißt darin: „Denn alles, womit sie das Leben erobern wollten, reichte bloß für einen schönen Tod aus; ihre Lebensphilosophie war nur eine des Todes, ihre Lebenskunst eine des Sterbens.“ Allerdings wird solcher Zusammenhang im Erzählen wenig greifbar, erscheint eher behauptet, als literarisch dargestellt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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