Annotationen aus dem Giftschrank - von Thomas Przybilka

Unter dieser Rubrik sollen für Liebhaber und Sammler von Kriminalliteratur in loser Reihenfolge neue und interessante Bücher aus dem Bereich Sekundärliteratur zum Kriminalroman vorgestellt werden, darunter auch der eine oder andere fremdsprachige Titel.


Burtscher-Bechter, Beate:

Algerien - ein Land sucht seine Mörder

Die Entwicklung des frankophonen algerischen Kriminalromans (1970-1998).
IKO - Verlag für Interkulturelle Kommunikation, Frankfurt/M. 1999, 300 S.

1970 markiert den Zeitpunkt der Geburt des algerischen Kriminalromans. Die Autorin hat insgesamt 23 Kriminalromane algerischer Autoren analysiert und beschrieben - untersucht wurden französischsprachige, nicht arabischsprachige Romane. Ihre Darstellung zeichnet die Entwicklung des Kriminalromans in Algerien vor dem Hintergrund der historischen, politischen und sozialen Komponenten des Landes auf. Ergänzend wirft sie einen Blick auf die Kriminalliteratur der Nachbarstaaten Marokko und Tunesien. Eine umfangreiche Bibliographie der Primär- wie Sekundärliteratur ist selbstverständlich.


BILIPO (Hrsg.):

Les Crimes de l'année No. 9

Sélection critique des ouvrages policiers parus entre août 1998 et août 1999.
Bibliothèques de la Ville de Paris, Paris 2000, 268 S.

Die Bibliothèque des Littératures Policieres (BILIPO) gibt nun schon zum neunten Mal ihr Jahrbuch heraus. BILIPO beherbergt die größte Sammlung von Kriminalromanen (einschließlich Kinder- und Jugendkrimis wie auch entsprechende Comics) und der entsprechenden Sekundärliteratur. Finanziert von der Stadt Paris, ist BILIPO gleichzeitig die größte europäische Bibliothek für diese Literaturgattung. Das umfangreiche Jahrbuch listet sämtliche in französischer Sprache erschienenen Krimis und Arbeiten zum Genre auf. Zu jedem aufge führten Buchtitel liefert es eine namentlich gekennzeichnete Rezension. Außerdem bietet es einen ausführlichen Index sowie eine Aufstellung französischer wie internationaler Krimi-Magazine und Hinweise auf die wichtigsten französischen Krimi-Preise.


Beyer, Klaus (Hrsg.):

Streng geheim

Die Welt der verschlüsselten Kommunikation.
Umschau Braus, Heidelberg 1999, 303 S.

Kryptographie und Verrat im 20. Jahrhundert sind die Themen der Ausstellung „Streng geheim!“, die vom Oktober 1999 bis Februar 2000 in Frankfurt am Main zu sehen war. Ob Zitronensaft oder Geheimtinte, Chiffrier- und Dechiffrierschlüssel oder das doppelbödige Reise-Necessaire mit röntgensicherem Innenfach für Pässe u. ä . - 007-Bond-Ausrüster „Q“ hätte seine schiere Freude gehabt, so wie (hoffentlich) der Leser und Eindringling in die „Welt der verschlüsselten Kommunikation“.


Ehrlich, Nina:

Dan Turèlls Mord-Serie

Gattungsgeschichte und Zeitdokument.
Edition Praesens, Wien 1999, 134 S.


In der zwölfbändigen „Mord-Serie“ (1981-1990) des frühverstorbenen dänischen Autors Dan Turèll (1946-1993), in der ein namenloser Journalist und Gelegenheits-Detektiv zusammen mit seinem Freund, einem Inspektor der Kopenhagener Kriminalpolizei, zahlreiche Mordfälle aufklärt, wird der amerikanische Hard-boiled-Krimi gekonnt auf dänische Verhältnisse übertragen. Gleichzeitig stellt Turèll die Vielschichtigkeit der Kopenhagener Lebensverhältnisse und das Lebensgefühl der 80er Jahre der dänischen Metropole vor. Mit diesem kleinen Bändchen innerhalb der „Wiener Studien zur Skandinavistik - WSS“ versucht die Autorin, den hierzulande relativ unbekannten dänischen Kriminalschriftsteller Turèll und seine hervorragenden Kriminalromane, die gleichzeitig die Genres Großstadtroman und Entwicklungsroman verbinden, einem (wünschenswert) größeren Publikum bekannt zu machen.


Götting, Ulrike:

Der deutsche Kriminalroman zwischen
1945 und 1970

Formen und Tendenzen.
Edition Kletsmeier, Wetzlar 1998, 372 S.


Nach D. Germers gekonnter und umfangreicher Darstellung des DDR-Krimis (Von Genossen und Gangstern, 1998) und der sehr kontrovers diskutierten Analyse B. Kehrbergs (Der Kriminalroman der DDR 1970-1990, 1998) ist erst jetzt die Untersuchung von Ulrike Götting auf meinen Schreibtisch gekommen. Götting versucht eine Bestandsaufnahme und einen Vergleich des deutschen Kriminalromans der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Festgemacht hat sie ihre Untersuchung an verschiedenen Autoren beider deutscher Staaten, die in den fünfziger und sechziger Jahren für bestimmte Stilrichtungen der Gattung standen (Andresen, Arnau, Erpenbeck, Schreyer, um nur diese vier Namen zu nennen). Eingeleitet wird die Arbeit mit einer kurzen Analyse des deutschen Krimis im internationalen Vergleich, des westdeutschen Kriminalromans von 1945 bis 1950 und eines Exkurses über den Kriminalroman im Dritten Reich.


Herbert, Rosemary (mit Aird, Catherine/Reilly, John M.) (Hrsg.):

The Oxford Companion to Crime & Mystery Writing

Oxford University Press, Oxford 1999, 535 S.

Bereits seit einigen Jahren angekündigt und von vielen Sammlern sehnlichst erwartet, liegt es nun endlich seit Dezember 1999 vor - das ultimative Nachschlagewerk zur Kriminalliteratur. Als Lexikon konzipiert, findet sich hier eine Unzahl (namentlich gezeichneter) kürzerer und längerer Artikel zu jedem Aspekt des Genres. Sei es, daß der Leser einen Abriß über die verschiedenen nationalen Kriminalliteraturen sucht, sei es, daß er auf der Suche nach Hintergrundwissen zu Autoren und Autorinnen resp. den verschiedenen Protagonisten ist oder sich nur über die vielzähligen Spielarten des Krimis informieren will (Holiday Mystery, Locked Room Mystery), den Unterschied zwischen englischen und amerikanischen Gefängnissen erklärt haben möchte oder die Schlagwörter der internationalen Krimi-Szene interpretiert wissen will (Red Herrings, Whydunit) - R. Herbert und ihre mehr als 200 internationalen Beiträger, darunter viele bekannte Kriminalschriftsteller/innen, referieren über und erklären ihre Spezialgebiete. Ein absolutes Muß für jeden „Giftschrank“.


Nover, Peter (Hrsg.):

The Great Good Place?
A Collection of Essays on American and British College Mystery Novels.

Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/M. 1999, 224 S.

Peter Nover (Uni Düsseldorf) konnte für den vorliegenden Essay-Band namhafte (Genre-)Autoren aus Deutschland, Großbritannien und den USA gewinnen. Nover und seine Beiträger geben einen Überblick über fast 90 Jahre „College Mysteries“, angefangen mit Artikeln über Sayers, A. Cross, Ch. MacLeod bis hin zu allgemeinen Darstellungen dieser beliebten Spielart des Krimis. Schon seit Arthur Conan Doyle's Sherlock Holmes und seinem Chronisten Dr. Watson waren Campus und angegliederte Bibliothek stets ein gefährliches Pflaster.


Tannert, Mary W./Kratz, Henry (Hrsg.):

Early German and Austrian Detective Fiction

An Anthology.
McFarland, 1999, 244 S.

Es ist schon ein Leckerbissen, den die amerikanische Hochschullehrerin und Übersetzerin Mary W. Tannert und Henry Kratz, emeritierter Professor für deutsche Sprache und Literatur, beide aus Knoxville/Tennessee, dem Leser anbieten. Sechs ins Englische übersetzte Kriminalerzählungen und -novellen gilt es zu entdecken. Nicht Edgar Allan Poe scheint der Begründer der (Mainstream-)Kriminalliteratur zu sein (1841, Murders of the Rue Morgue). Bereits 13 Jahre früher erschien Adolph Müllers Der Kaliber. Aus den Papieren eines Criminal-Beamten, und zwar im „Mitternachtsblatt“, Ausgaben 1-20 (Nachdruck ca. 1870 in der Universalbibliothek bei Philipp Reclam, Leipzig). Neben o. g. Text finden sich noch die Kriminalgeschichten von Otto Ludwig, Adolf Streckfuss, Auguste Groner, Maximilian Böttcher und Balduin Groller. Eine Empfehlung für jeden, der sich für die früheste deutschsprachige Kriminalliteratur interessiert, jedoch nie an entsprechende Texte gekommen ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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