Eine Rezension von Rudolf Kirchner


Vom Schicksal deutsch-jüdischer Familien

Nathan Stoltzfus: Widerstand des Herzens
Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße -1943.
Carl Hanser, München 1999, 477 S.


Es ist schon erstaunlich, daß der öffentliche Protest der Berliner Frauen gegen die geplante
Deportation ihrer jüdischen Ehemänner im Jahre 1943 derart wenig untersucht worden ist, wie es der amerikanische Historiker Stoltzfus (1954) in seinem Buch belegt. Deshalb kann man die Neugierde und den Eifer verstehen, mit dem er sich seit 1985 diesem Ereignis als dem „einzigartigen Beispiel für einen Massenprotest gegen die Deportation deutscher Juden“ verschrieben hat. Das 1996 in den USA erschienene Buch will die Geschichte dieser mutigen Konfrontation nacherzählen, und zwar mit Hilfe der Erinnerungen der Beteiligten. So stützt sich der Autor in besonderem Maße auf Interviews von Überlebenden aus dem Kreis der Betroffenen und von Beteiligten aus der staatlichen Maschinerie. Dazu kommt eine umfängliche Literatur, wobei hier die amerikanischen Quellen überwiegen.

Die Stärken des Buches liegen in der Unmittelbarkeit der sehr persönlichen Erinnerungen. Auch wenn man berücksichtigen muß, daß die Interviews nach über vierzig Jahren geführt wurden und daß nur noch ein sehr kleiner Kreis von Personen in fortgeschrittenem Alter für diese Gespräche zur Verfügung stand, so wird man doch sehr intensiv mit der deutschen Lebenswelt aus der Sicht einer ganz bestimmten Personengruppe vertraut gemacht.

Aber bereits im Umgang mit diesem reichen Material wird ein Grundproblem des Buches sichtbar: Der Autor will diese Aussagen nutzen, um weit mehr als ein plastisches Bild der Proteste in der Rosenstraße von 1943 zu zeichnen. Er stellt sich das übergreifende Ziel, das Schicksal deutsch-jüdischer Familien in der Zeit des NS-Regimes darzustellen. Von den gut 370 Textseiten sind daher lediglich 66 Seiten der eigentlichen Protestaktion gewidmet. Und auch hier vermißt man neben der Erinnerung der Zeitzeugen die sachliche Recherche mit exakten Angabe über genaue Personenzahlen, mit der genauen Dauer der Aktion, mit der amtlichen Beurteilung zu dieser Aktion usw.

In seinem Bemühen, die Lebenssituation der im NS-Jargon sogenannten Mischehen zwischen 1933 und 1943 zu beschreiben, geht der Autor davon aus, daß „die Deutschen, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts Juden heirateten, ... zumeist individualistische und autonome Menschen“ waren. Bereits dieser Ansatz muß hinterfragt werden. Die Eheschließung zwischen Deutschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen war keine Besonderheit mehr. Und es ging dabei wohl weniger darum, daß Deutsche Juden heirateten, sondern Deutsche heirateten andere Deutsche. Höchstens in Kreisen orthodoxer Juden oder strenggläubiger Katholiken gab es größere Vorbehalte. Das belegen auch die Zahlen, die der Autor für die Zeit bis 1934 anführt. Insofern muß auch die These, die Stoltzfus abschließend aufstellt, wonach „die in Mischehe lebenden Deutschen durch ihre Verbindung mit Juden schon immer eine Art von Dissens bekundet hatten“, kritisch überprüft werden.

Das Spektrum der behandelten Themen reicht von Hitlers Machttheorie bis zum „Judenstern-Erlaß“, von der Rassenpolitik bis zum Probleme der „Mischlinge“ in der Wehrmacht. Dabei vertritt der Autor durchgängig die Grundthese, daß die Herrschenden - und das sind für ihn vor allem Hitler und Goebbels - regelrechte Angst vor öffentlichem Protest gehabt hätten. Außerdem habe es die NS-Ideologie verlangt, daß eine umfassende Unterstützung durch das Volk das Fundament der politischen Macht darstelle, weshalb es nicht zulässig gewesen sei, „daß man einfach mit Gewalt gegen eigene Untertanen vorging“. So gesehen erscheint bei ihm der Erfolg des Protestes in der Rosenstraße darauf zurückzuführen zu sein, daß das NS-Regime „immer noch hoffte, die Bevölkerung geschlossen für sich zu gewinnen und so das Reich retten zu können“. Vielleicht hängen diese und andere Schlußfolgerungen damit zusammen, daß Stoltzfus seine Ansichten über das NS-Regime vor allem aus Aussagen von Hitler und den Tagebüchern von Goebbels bezieht. Der gesamte Machtapparat des NS-Regimes und darin eingeschlossen die Maschinerie der Judenverfolgung erscheint kaum im Gesichtskreis des Lesers.

Im Buch sind viele Ungenauigkeiten und auch manche Ungereimtheiten zu finden, so wenn von „Goebbels' dröhnender Stimme“ die Rede ist, wenn von Moabit - statt Tiergarten - behauptet wird, daß dort viele diplomatische Vertretungen ansässig waren, wenn Stauffenberg als „Anführer der Widerstandsbewegung gegen Hitler“ bezeichnet wird u.ä.m. Aber nicht diese Dinge rufen den wesentlichsten Widerspruch hervor, sondern die abschließenden Überlegungen über den Widerstand in Deutschland, die in der Feststellung gipfeln: „Vielleicht gab es überhaupt keine Deutschen, die das Regime an der Ausübung seiner Macht hinderten. Wenn es sie doch gab, dann schränkte keine andere Gruppe das Regime in einem größeren oder einem bedeutenderen Maße in seiner Handlungsfreiheit ein als die Deutschen, die in Mischehe lebten.“

Der Protest der Berliner Frauen in der Rosenstraße 1943 ist ein markantes Beispiel für die Möglichkeiten von Widerstand gegen das NS-Regime. Er verdient deshalb weitere und auch exaktere Untersuchungen. Und er verweist - wie vom Autor betont - auf ein weitaus umfänglicheres Thema, nämlich die Lebenswelt solcher Familien, in denen katholische, protestantische oder atheistische Deutsche mit jüdischen Deutschen lebten. Der Versuch, beide Themen gleichzeitg abzuarbeiten, ist hier noch nicht ganz gelungen. Aber der Anfang ist es wert, darüber zu diskutieren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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