Eine Rezension von Crauss


„Selbst ist der Mann am besten“

Axel Schock: Die Cazzo-Story
Pornostars, made in Germany.
Querverlag, Berlin 2000, 189 S.


Wer etwas übers Hardcorebusiness lernen will, dem sei das halbe Buch empfohlen, wer sich gut unterhalten möchte, beispielsweise ohne große geistige Anstrengung im Bus, die ganze „Cazzo-Story“. Wobei man im Bus oder in der Bahn das Buch vielleicht nicht zu hoch halten oder zu weit aufschlagen sollte. Denn zur Unterhaltung trägt neben der eigentlichen Story ein Gutteil an Film-stills und erotischen Abbildungen bei. Allerdings: Es dürfte für die meisten Sitznachbarn aufregender sein, von einem weit aufgedrehten Walkman oder einem schrillen Mobiltelefon beim Nichtstun gestört zu werden als ausgerechnet durch einen Seitenblick auf nacktes Fleisch - und sei es auch das ineinandergeschobene zweier Männer. Es interessiert keinen: Nacktheit und Sexualität gehören mittlerweile zu jeder noch so kleinen Öffentlichkeit, in der ein Diskurs über Sexuelles (und auch ein Buch wie das vorliegende) ja gerade erst durch dessen Allgegenwärtigkeit möglich wird. „Es ist ja schön, wenn Axel Schock ein Buch über die deutsche Pornoindustrie schreibt“, ärgert sich ein Leser in RIK („Raus in Köln“, 3/00), „aber müssen deshalb nun in diesem Monat alle deutschen Schwulenmagazine über das Thema Porno berichten?“ Wenn der Verlag sich dafür ein wenig querlegt, schon, möchte man themenbezogen meinen. Daß eine Firma die andere promoted, ist weder neu noch verwerflich. Schade nur, daß der Autor die Distanz zum Thema relativ schnell verliert, denn immerhin scheint durch, daß Schock nicht allein die Geschichte der Firma Cazzo, sondern das Metier schlechthin im Visier gehabt hat. Also noch nicht mal bloß den schwulen Bereich, sondern den Porno(film)markt allgemein und umfassend.

Auf den ersten etwa 80 Seiten kann er sein Anliegen noch durchsetzen, wenn er zunächst den „Mythos Pornographie“ beleuchtet, um dabei eine Geschichte pornographischer Ästhetik zu entwickeln und Referenzen zu heterosexuellen Idolen wie John Holmes, zur Sexkino-Kultur der 1970er Jahre (erinnert sei an Filmlegenden wie „Deepthroat“) und aktuellen Fernsehsendungen, Popsongs sowie zu Rocco Siffredi und Jeff Stryker als neue Stars herzustellen. Sprachlich flott ist diese Einführung, auch wenn sie nie ganz ohne Platitüden auskommt, wie z. B. „Popp-Kultur“ in einer Überschrift oder später das Zitat zu zwei Modellen, denen die sexuelle Spannung fehlt: „Da passiert einfach nichts - das ist wie Sex im Altersheim.“ Na ja!

Schock zählt also zunächst - bisweilen sehr witzig - die Standards auf, die zu jedem Pornofilm gehören: bestimmte, immer wiederkehrende Rahmenhandlungen, Titel-Anlehnungen an große Kinohits (Cockzilla, Fuckzilla, Officer and His Gentleman, Schindlers Kiste, Bi-Tanic ...) oder thematische und technische Veränderungen mit Aufkommen der Videokamera und infolgedessen auch der Videokabine zuungunsten des plüschigen Sexkinos. Video benötigt weniger Licht als herkömmliche Super-8- bzw. 16-mm-Filme und vereinfacht auch die Handhabung des Originaltons. „Leider auch die Synchronisierung der Dialoge für den deutschen Markt. [...] Besonders schön zu erleben sind allerdings jene Bauchrednerwunder: Pornodarsteller, die dank einem unermüdlichen Synchronsprecher bei vollem Mund vollständige Sätze zustande brachten.“ Danach kommen die Spezialitäten (und weitere Kuriositäten) des Schwulenpornos; es geht um den Körperkult der 1980er Jahre, eine knappe Seite lang um „Porno im Zeitalter von Aids“ (Die Kondome geraten wie von Geisterhand auf die Schwänze und verschwinden nach Gebrauch genauso geheimnisvoll), vor allem geht es aber darum, deutschsprachige Pornofirmen vorzustellen. Nach dem Abriß wirtschaftlicher Fakten und rechtlicher Hintertüren werden einige kleinere „Pornomacher“ vorgestellt, bevor die eigentliche Geschichte der Firma Cazzo beleuchtet wird. Die meisten Unternehmen sind mit Internet-Adresse angegeben, Cazzo mit ausführlicher Filmografie, Foto und Werdegang wichtiger Darsteller und einem „kleinen 1 x 1 für Pornodarsteller“, das einen lehrt, daß der Cum shot (der wegen der für diese Aufnahme besonderen Gage auch Money shot genannt wird) erst „nach Absprache mit dem Regisseur“ erfolgen darf oder das Modell „niemals in die Kamera schauen!“ soll.

Für ein Hand-Buch im doppelten Sinn ist Die Cazzo-Story zu ausführlich, wenngleich Schocks Standardsätze und Repetitionen eigentlich dafür sprächen. Er versteift sich ein wenig zu sehr darauf, immer wieder den gleichen (oder sehr ähnlichen) Ablauf zu referieren, wie sowohl Produzenten als auch „Stars“ zum Porno kamen; bei den Cazzo-Regisseuren Jürgen Brüning und Jörg Polzer war es ein gewisses Kunstinteresse, meist jedoch eine Mischung aus Zufall und Neugier. Die Artikel heißen „Der Sex-Arbeiter Kai Harth“ oder „Die Turbo-Schlampe Jens Hammer“, die Fragen an die Gesprächspartner sind jedesmal die gleichen: Wie kam es dazu? Wird die Pornokarriere den Darsteller eines Tages in seinem bürgerlichen Job einholen und Schwierigkeiten bereiten? Und so weiter. Haben die Darsteller Lebensgefährten, werden diese kurzerhand mit zum Dreh genommen, entweder, um sie ebenfalls vor der Kamera agieren zu lassen oder um ihre Eifersucht zu mildern: „Er hat mir beim Ficken zugeschaut und sich dabei überzeugen können, daß das nicht gerade der tollste Sex ist und sich keinesfalls mit dem Sex in der Beziehung vergleichen läßt.“ (Jens Hammer) Sehr niedlich die Antwort Ralf Steels, angesprochen auf das Altern: Er hält sein Sexleben (privates wird von beruflichem seitens der Modelle fast nirgendwo konkret unterschieden) auf Film fest, um „sich selbst in seiner sexuell besten Form [zu] konservieren. Wenn ich mal älter werde, habe ich dann noch die Filme.“ Daß Jens Hammer sein „pornographisches Urerlebnis“ mit Heften hatte, die er 15jährig ausgerechnet im Schrank der Mutter fand, mag ungewöhnlich sein. Verunglückt ist aber auf jeden Fall die Aussage, daß die Mutter des Darstellers Florian Manns, als sie „ihren Sohn zum ersten Mal in Sex for Sale sah, [...] von seinem Filmdebüt ziemlich begeistert“ war. In welcher Richtung soll der Leser das deuten?

Axel Schock mag sich lange mit den entsprechenden Kompetenzen der Branche unterhalten haben und sogar bei Filmaufnahmen dabeigewesen sein. Wenn allerdings die einzige Erkenntnis am Ende des Buchs ist, daß „Sex zur Schauspielkunst“ wird, wenn heterosexuelle Darsteller in Schwulenfilmen „zugange“ sind und Sex vor der Kamera - gleich, welcher Art - harte Arbeit ist, dann ist das ein bißchen wenig. Zu wissen, wie man Kunstsperma aus Kondensmilch, Eiweiß und Zucker selber anrühren kann, eignet sich höchstens für einen ausgefallenen Partygag, aber nicht, um den eigenen Partner hinters Licht zu führen oder gar beim Pornogucken doppelt stimuliert zu sein. „Selbst ist der Mann am besten“, lautet auch in diesem Fall die alte Weisheit, gemeinsam mit einem Kapitel aus einem Eric-Wohllebson-Roman (Die Abtreibung der Frau). Wenn ich andere für mich arbeiten lasse, interessiert mich vor allem das Ergebnis, nicht der Weg dorthin. Die Cazzo-Story ist ein unterhaltsames Buch, von dem am Ende leider wenig übrigbleibt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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