Eine Rezension von Burga Kalinowski


Die Legende ist eine Lüge

Heribert Prantl (Hrsg.):
Wehrmachtsverbrechen.
Eine deutsche Kontroverse.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1997, 347 S.


Als die Ausstellung „Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ von Jan Philipp Reemtsmas Institut für Sozialforschung 1995 ihren Weg durch Deutschland nahm, waren Betroffenheit und Empörung gleichermaßen groß und führten zu einer heißen Debatte um soldatische Ehrenhaftigkeit oder aktive Beteiligung der Wehrmacht an deutschen Verbrechen in Europa. Im Buch, herausgegeben von dem Journalisten und Tucholsky-Preisträger Heribert Prantl, sind die unterschiedlichen Beiträge zum Thema nachzulesen. Sie spiegeln das Spektrum moralischer und politischer Positionen zu diesem Kapitel deutscher Geschichte. Haltungen werden sichtbar, die Rückschlüsse auf heutiges Werteverständnis zulassen. Aufschlußreich und lesenswert dazu das Protokoll der Bundestagssitzung zur „Wehrmachtsausstellung“ am 13.3.1997, u.a. mit den berührenden Beiträgen der Bündnis/90-Grünen Christa Nickels und des SPD-Abgeordneten Freimut Duve sowie mit der Rede von Alfred Dregger (CDU/CSU), der unter Protest vieler Abgeordneter den Sinn der Ausstellung bezweifelte, da sie nicht versöhne, sondern spalte. „Sie empört durch die Art ihrer Darstellung die Generation der Großväter und Väter und verwirrt die Generation der Söhne und Enkel.“ Wer die Kriegsgeneration als Helfershelfer einer Verbrecherbande abstemple, „der will Deutschland ins Mark treffen“. Markige Worte. Es war schon mal davon die Rede.

In einem Beitrag für die „Frankfurter Rundschau“ sieht Gerhard Schreiber in manchen Reaktionen auf die Ausstellung (so die des „Bayernkuriers“, Zentralorgan der CSU, die immerhin als demokratische Partei gilt) einen fließenden Übergang zu „neubraunem Gedankenbrei“. In der AZ kommt Ministerpräsident Edmund Stoiber mit einem Zitat vor, in dem er vom „Diffamierungscharakter“ der Ausstellung spricht und so die „große parteiinterne Solidarität“ mit dem erklärten Ausstellungsgegner Peter Gauweiler betont. Es wird da ein Klientel in der deutschen demokratischen (Wähler-)Gesellschaft bedient, das frei ist von jeglichem Unrechtsbewußtsein und weitgehend unfähig, Deutsche als Handlanger eines Mord-Regimes zu sehen. Daß dies heute immer noch von einigen mit Vaterland verwechselt oder gleichgesetzt wird, macht die Sache nicht besser. Natürlich meint „Verbrechen der Wehrmacht“ nicht jedes Individuum und ganz sicher nicht jene, die sich Anstand und humanen Anspruch auch damals erhalten hatten. Wahrscheinlich würden sie der mindestens makabren Logik von Aktion und Reaktion in bezug auf die Liquidierung von Partisanen nicht folgen können, wie sie von Franz W. Seidler im „Focus“ einfühlsam entwickelt wird. Er wirft die Frage auf, wie sich denn deutsche Soldaten hätten verhalten sollen, „wenn Kinder als Kundschafter und Melder für die Partisanen ertappt werden, wenn Frauen, die sich als Küchenhelferinnen das Vertrauen (!, d. A.) der Besatzungstruppen erworben haben, Informationen weitergeben und Sabotage betreiben; und wenn Männer tagsüber als Landarbeiter tätig sind und nachts Anschläge verüben“. Die derart subtil suggerierte Antwort kann nun nur noch in aller Offenheit heißen: Erschießen, Erhängen, Erschlagen. Na eben. Und überhaupt: „Der Partisanenkrieg ging nicht von den Deutschen aus.“ Ganz im Gegenteil: Die Russen waren's. Bereits „sechs Tage nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion“ attackierten sie die deutschen Herren. Unerhört. Und so muß Franz Seidler schon die Frage erlaubt sein, ob denn „alle Hinrichtungen wirklich mit dem Völkerrecht unvereinbar“ waren. Man denke nur an die sowjetischen Verstöße gegen die„humane(n) Kriegführung“, die es der Wehrmacht unmöglich machten, deutsche Interessen im Osten in altbewährter Noblesse durchzusetzen. Der Erlaß zum Beispiel, der das Niederbrennen aller von deutschen Truppen so friedlich und kulturvoll bevölkerten Siedlungen befahl, konnte doch nur Unmut bewirken. Und wie gesagt, die Partisanen, also die mißachteten „die Gesetze und Gebräuche des Krieges“ und verloren nach der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention sowieso jeden Anspruch, u.a. auf Leben. Der Autor vermißt in der Ausstellung entsprechende Wissenschaftlichkeit.

Die Berufung auf die internationale Kriegsgesetzgebung bewertet Karl-Heinz Janssen in einem „Zeit“-Beitrag als handfeste Heuchelei und führt als „Dokument des Zynismus und der Willkür des Herrenmenschen“ die Anordnung des Oberkommandos der Wehrmacht vom 8. September 1941 an, nach der „Bolschewistische Soldaten (...) jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafte Soldaten nach dem Genfer Abkommen verloren“ haben. „Im ganzen Krieg sind an die 600 000 Soldaten erschossen worden, abgesehen von den Millionen, die an Hunger, Kälte und Seuchen zugrunde gegangen sind.“

Als Soldaten Mörder wurden - titelt Janssen. Er diagnostiziert, daß „vom Feldmarschall bis zum letzten Gefreiten“ die NS-Parole Kampf dem jüdischen Bolschewismus verinnerlicht worden sei, „ein ideologischer Terminus, mit dem sich zwei Intimfeinde - Rotfront und Juda - auf einen Schlag beseitigen ließen“. Die Propaganda trug „blutige Früchte“. Zu dem Massenmord an Juden kämen noch zwei weitere große Verbrechen, die die Hamburger Historiker der Wehrmacht nachweisen: der Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen und der Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten des Ostens, auf dem Balkan und in Italien. In der Position zum Partisanenkrieg („Ja, das war etwas ganz anderes“) „wird das gigantische Täuschungsmanöver“ entlarvt. „Partisan“, schreibt der Autor, war nur zu oft ein Synonym für Jude. Bereits Ende September 1941 sei den Landsern eingetrichtert worden: „Wo der Partisan ist, ist der Jude, und wo der Jude ist, ist der Partisan.“ Noch ehe die Krematorien in Auschwitz rauchten, fand massiver Judenmord eben auch durch Einheiten der Wehrmacht statt. Über Jahre und Jahrzehnte wurde all dies in einem tatsächlich kollektiven Prozeß verdrängt, wenn nicht gar wie in den Fünfzigern und Sechzigern der Adenauer-Ära heldisch geschrieben. Titel von Büchern und Illustrierten-Storys geben der Selbst- und Gesellschaftslüge trübe Politur: „Getreu bis in den Tod“, „Wir standen schon vor Moskau“, „Wie der deutsche Soldat Rußland sah“, „So war der deutsche Landser“ - allein die minimale Auswahl eine umfassende Sittengeschichte. Diese Prägung könnte dauerhaft sein (leider auch vererbbar) und erfuhr ihre Bestätigung möglicherweise in der nunmehr politisch ehrenhaften Teilnahme am „guten“ Krieg im ehemaligen Jugoslawien.

Im Buch kommen Befürworter und Gegner der Ausstellung zu Wort, und manche Detailkritik zur Gestaltung und Bewertung der Fotos und Tafeln in der Ausstellung ist in puncto lokaler und zeitlicher Genauigkeit zutreffend, muß ernst genommen werden. Deshalb zogen die Hamburger Macher ihre Ausstellung im vergangenen Jahr zur Überarbeitung zurück. Die festgestellten Fehler - so bedauerlich sie sind und den Historikern den Vorwurf mangelnder Sorgfalt (wenn nicht sogar den der bewußten Manipulation) einbringen - ändern dennoch nichts an der Grundaussage: Die Legende von der „sauberen Wehrmacht“ ist eine Lüge.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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