Eine Rezension von Eberhard Fromm


Mit innerer Unberührtheit durch die Zeiten...

Jörg Lau: Hans Magnus Enzensberger
Ein öffentliches Leben.
Alexander Fest Verlag, Berlin 1999, 395 S.


Eine solch öffentliche Gestalt wie Hans Magnus Enzensberger, der über lange Zeiten so eindeutig festgelegt war und doch so widersprüchlich erscheint, in ihrem Lebensweg zu beschreiben ist sicher kein einfaches Unterfangen. Wenn Jörg Lau (1964) von der „Zeit“ dies trotzdem gelingt, dann vor allem deshalb, weil er die drei Ebenen einer solchen Untersuchung gekonnt miteinander verbindet: das Biographische, die Werkgeschichte und das Zeitgeschehen in seiner realen und geistigen Dimension. Vielleicht kommt insgesamt das persönliche Leben, die private Welt des Enzensberger etwas zu kurz; doch da verweist ja der Untertitel auf die Hauptrichtung des Buches: ein öffentliches Leben.

Und öffentlich ist das hier beschriebene Leben tatsächlich. Lau zitiert aus einem Brief des Weggenossen Hans Werner Richter, der Enzensberger auf einer internationalen Tagung in der damaligen Sowjetunion beobachtete: „Er kam mir vor wie ein Tänzer, der sich mit ein paar eleganten Sprüngen über alle Widrigkeiten, Gegensätzlichkeiten und alles Widersprüchliche erhebt und so die Aufmerksamkeit aller auf sich zieht.“

In wenigen „eleganten Sprüngen“ gerät der am 11. November 1929 in Kaufbeuren geborene Enzensberger in die von ihm gesuchte Öffentlichkeit: Nach dem Studium und der Promotion über Clemens Brentano arbeitet er seit 1955 im Rundfunk und läßt 1957 seinen ersten Gedichtband erscheinen. Mit verteidigung der wölfe wird er sofort bekannt.

Von nun an agiert Enzensberger auf den unterschiedlichen Ebenen, als anerkannter Poet, als Funkessayist, als Kulturkritiker. Er trifft sich mit Gleichgesinnten - so in der Gruppe47-, reist in der Welt umher, wohnt längere Zeit im Ausland, übernimmt eine Stelle als Lektor beim Suhrkamp Verlag - und schreibt. „Während er als Autor die deutsche Zerrissenheit besingt, betreibt er als Herausgeber, Lektor und Übersetzer die Horizonterweiterung des literarischen Bewußtseins.“

Lau geht intensiv auf die verschiedenen Arbeiten dieser Jahre aus der Feder Enzensbergers ein: auf seine Essays über den „Spiegel“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, auf seinen zweiten Gedichtband landessprache, vor allem aber auch auf die Sammlung Museum der modernen Poesie, in der Arbeiten von Dichtern aus den Jahren zwischen 1910 und 1945 vorgestellt werden. Ebenso ausführlich wird die weitere Entwicklung des immer noch jungen Poeten beschrieben. Vom „Star der Bewußtseinsindustrie, die er selbst analysiert hat“, wird er 1965 mit der Herausgabe des „Kursbuches“ zum „Medienunternehmer“. Seine kritische Position zur bundesdeutschen Politik, seine Haltung um den Mauerbau 1961, der Disput mit Hannah Arendt über die Bewertung von Auschwitz und der Atombombe, schließlich der Aufenthalt auf Kuba - all das sind Schritte, die in den sechziger Jahren hinführen zur Position eines Revolutionärs. „Der Ungebundene legt sich fest“, nennt Lau jenes Kapitel, in dem er diese Wandlung beschreibt und deutlich macht, daß sich Enzensberger damit immer mehr von seinen bisherigen politischen Freunden entfernt. Auch hierfür wird Hans Werner Richter als Kronzeuge angeführt, der Autoren wie Enzensberger nun für „politische Narren“ hält: „Es ist wirklich zum Kotzen, diese Revolution der Neurotiker. Sie macht die deutsche Linke nicht nur unglaubwürdig, sie nimmt ihr auch jede Chance, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten jemals zum Zuge zu kommen ...“

Nach dem Scheitern seiner kubanischen Träume wieder in Deutschland, wird es ruhiger um Enzensberger. 1975 steigt er aus der Leitung des „Kursbuches“ aus, engagiert sich für kurze Zeit in einer neuen Zeitschrift „Transatlantik“ und wechselt schließlich in das Fach des Verlegers - seit 1985 gibt er die „Andere Bibliothek“ heraus. In diesen Jahren entsteht mit Der Untergang der Titanic das „komplexeste Textgebilde“ Enzensbergers, „in dem Autobiographie, Erkenntnistheorie, politische und poetologische Reflexion, Zeitdiagnose und Gesellschaftskritik sich wechselseitig erhellen, kommentieren, affimieren und auch wieder dementieren“.

In den abschließenden Passagen des Buches muß Lau erstaunt feststellen, daß der einst so wortgewaltige Verwünscher der deutschen Zustände nunmehr über Deutschland beinahe mit Bewunderung schreibt. Zu den verschiedenen und oft gegensätzlichen Rollen, die Enzensberger seit den fünfziger Jahren bis heute gespielt hat, heißt es abschließend: „Womöglich liegt das Geheimnis seiner unermüdlichen Kreativität gerade in einer gewissen inneren Unberührtheit im Gang durch die Zeiten.“ Man könnte es vielleicht auch Wandlung durch Anpassung nennen ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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